„In keiner Schulklasse würde ein solches Verhalten geduldet“ – Katja Leikert mahnt ihre CDU nach der historischen Wahlschlappe zur Selbstbeherrschung. Foto: Lipicom/Michael Ebner

Die stellvertretende Unionsfraktionschefin Katja Leikert mahnt ihre CDU zur Selbstbeherrschung und benennt die Fehler, die zum großen Wahldebakel führten.

Berlin - Frau Leikert, Ihr Parteichef wird öffentlich demontiert, obwohl Jamaika theoretisch möglich bleibt. Was ist da los?

 

Es täte manchen in meiner Partei gut, sich an das schöne Wort von der Selbstbeherrschung zu erinnern. Besonders konservativ war der Umgang der vergangenen Tage übrigens auch nicht. Wir brauchen unbedingt eine ehrliche und schonungslose Analyse des Wahlausgangs. Solange wir noch in Gesprächen stecken, sind persönliche Ambitionen oder Befindlichkeiten aber fehl am Platz.

Die Vertraulichkeit der Jamaika-Gespräche wurde gebrochen. Wo sind die bürgerlichen Tugenden der Union?

In keiner Schulklasse würde ein solches Verhalten geduldet. Schülerinnen und Schülern wird beigebracht, was geht und was nicht geht – es ist zutiefst unbürgerlich, sich nicht an die ausgegebenen Spielregeln zu halten. Die gezielte Durchstecherei grenzt an parteischädigendes Verhalten. Auch wenn die Chancen dafür nicht mehr groß sind, fände ich eine Zukunftskoalition mit nachhaltiger Finanzpolitik weiter attraktiv.

Hätte man nicht die Niederlage eingestehen, der Ampel den Vortritt lassen und sich für Jamaika nur aus Verantwortung bereithalten sollen?

Sicher hat Armin Laschet nicht alles richtig gemacht, ich habe von ihm aber auch keine Siegerpose gesehen, sondern ihn sehr demütig erlebt – in der Fraktionssitzung hat er um Entschuldigung gebeten. Uns ist wohl bewusst, dass der Ball im Spielfeld der SPD liegt und wir als Volkspartei mit unter 25 Prozent – wenn ich mal in die Sprache der Industrie wechseln darf – am Markt vorbei produziert haben. Es ist aber zu billig, alles am Kandidaten festzumachen, Selbstkritik ist gefragt.

Wollen Sie den Anfang machen?

Wir Konservativen sollten die Themen, die andere Parteien aufbringen, nicht immer nur als Lifestyle abtun. Warum haben wir uns so lange gegen das Tierwohl gestemmt? Der Kohleausstieg kommt zu spät, die garantierte Ganztagsbetreuung auch. Wir haben das Thema der sozialen Gerechtigkeit vernachlässigt, das Auseinanderdriften der Vermögensentwicklung zu sehr kleingeredet und Abstiegsängste der Mitte nicht genug wahrgenommen. Wir sollten der Angst vor sozialem Abstieg aber nicht mit den Mitteln der AfD begegnen. Unsere Wirtschaft braucht Zuwanderung. Eine Abkehr von Europa, ein Zurück in den Nationalstaat, würde unser Land kaputt machen. Statt auf der Bremse zu stehen müssen wir als Partei von Helmut Kohl vielmehr mit mutigen Schritten die europäische Einigung vorantreiben.

Taugt das Konzept Volkspartei noch? Oder anders: Lassen sich Katja Leikert, Friedrich Merz oder Hans-Georg Maaßen noch in einer Partei integrieren?

Mit Merz finde ich immer wieder politische Gemeinsamkeiten. Unsere Aufgabe ist vielmehr, dass wir wieder die ganze inhaltliche Bandbreite zulassen, die uns als Volkspartei so attraktiv und in alle gesellschaftlichen Bereiche anschlussfähig gemacht hat. Eine Volkspartei ist wie eine Familie, die man zusammenhalten muss. Aber bei Maaßen hört es auf. Seine Anbiederei nach rechtsaußen lehne ich ab. Zum Glück haben die Wähler ein klares Urteil zu Maaßen gesprochen.

War es ein Fehler der Parteispitze, sich im Wahlkampf nicht deutlich genug von ihm zu distanzieren?

Ja.

Und die Fehleranalyse soll aus Ihrer Sicht erst beginnen, wenn die Koalitionsfragen geklärt sind?

Das muss so oder so passieren – und hat ja auch schon angefangen. Zur Aufarbeitung gehört auch unser Umgang mit den Korruptionsaffären, die ebenfalls massiv geschadet haben. Wir müssen das gesamte Berufsfeld „Politiker“ entrümpeln. Wir müssen loswerden, was uns ziemlich unsympathisch macht - die übergroßen Pensionsansprüche, die Autoflotten, der ganze Popanz. Das sollte jede Koalition angehen – Ampel oder Jamaika.