Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, steht in der Kritik. Foto: dpa/Marijan Murat

Sexueller Kindesmissbrauch beschäftigt die katholische Kirche schon lange, doch jetzt rücken auch „MeToo“-Vorwürfe von Frauen in den Vordergrund. Dabei soll sich ausgerechnet der bekannteste Reformer allzu nachsichtig gezeigt haben.

Wenn es in der katholischen Kirche in Deutschland einen Hoffnungsträger gibt, dann ist das Georg Bätzing. Gegen massive Kritik konservativer Kirchenführer aus dem Vatikan und insbesondere aus den USA treibt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz den seit 2019 laufenden Reformprozess „Synodaler Weg“ voran. Im Auftreten ist der freundliche Herr mit Brille von einer für katholische Würdenträger ungewohnten Offenheit. Doch jetzt steht der 61-Jährige erstmals selbst massiv in der Kritik.

Unter der Überschrift „Katholisches MeToo“ hat die „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ aufgedeckt, dass Bätzing in seinem hessischen Bistum Limburg einen Pfarrer zum Bezirksdekan befördert hat, der vor Jahren zwei Frauen belästigt haben soll - eine evangelische Pfarrerin in Ausbildung und eine angehende katholische Gemeindereferentin. Ihr soll der Pfarrer 2007 „von hinten unters T-Shirt“ gefasst haben.

Betroffene reagiert mit Wut und Unverständnis

Dennoch ist eben dieser Geistliche heute in einer leitenden Funktion als Dekan. Er wurde von Bätzing in das Amt berufen, nachdem sich die Seelsorgerinnen und Seelsorger in dem Bezirk mit großer Mehrheit für ihn ausgesprochen hatten. Die Gemeindereferentin reagiert darauf mit „Wut“ und „Unverständnis“. Der Gipfelpunkt der Heuchelei war aus ihrer Sicht erreicht, als Bätzing nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens in einem Internet-Posting forderte, alles müsse auf den Tisch - und auf dem dazugehörigen Foto von ihm im Hintergrund ausgerechnet der Priester zu sehen war, der sie damals belästigt hatte.

Bätzing äußerte sich am Rande des Katholikentags in Stuttgart erstmals direkt zu den Vorwürfen: „Jede Art von Belästigung, von Übergriffigkeit, sowohl verbal als auch körperlich, ist ein No-Go“, versicherte er der Deutschen Presse-Agentur. „Und das akzeptiere ich in keinster Weise.“ Was den konkreten Fall betreffe: Hier müsse man festhalten, dass das Verhalten des Pfarrers keine Straftat gewesen sei. Er habe ihm dafür aber eine Art Abmahnung erteilt.

Geringes Problembewusstsein in der Kirche

Warum dann aber die Beförderung? Bätzings Antwort: „Kann ich einen Priester, der vor 15 Jahren einen Fehler begangen hat, den er einsieht, für den er Reue zeigt, für den er um Entschuldigung gebeten hat und eine Strafe gezahlt hat - kann ich die unendlich lange vorhalten?“ Im übrigen: „Wir sind keine Kirche der Heiligen. Wenn ich wirklich suchen würde, wo sind die Fehler, wo sind die Macken, die einer hat, dann könnte ich wahrscheinlich niemanden mehr aufnehmen in dieser Kirche und schon gar nicht in ein Amt bringen.“

„Fehler“, „Macken“ - das klingt nach einer lässlichen Sünde, die nach einem Schuldbekenntnis vergeben werden kann. Gerade das aber hat in der katholischen Kirche eine ungute Tradition: „Bei Gewalt gegenüber Frauen wird dem vermeintlich reumütigen Priester verziehen, die Frauen mit ihrem zerstörten Leben bleiben allein und müssen selber sehen, wie sie mit ihrem Schicksal fertig werden müssen“, kritisiert der Kirchenrechtler Thomas Schüller. Der Münsteraner Professor hat die Gemeindereferentin als kirchenrechtlicher Anwalt im Bistum Limburg vertreten.

Die Regensburger Theologin Ute Leimgruber hat in den vergangenen Jahren herausgearbeitet, dass in der Kirche bisher nur ein geringes Problembewusstsein für solche MeToo-Fälle besteht. In vielen Gemeinden kursieren zwar spöttische Bemerkungen wie „Das Verhältnis zwischen dem Herrn Pfarrer und seiner Haushälterin ist aber wirklich arg eng...“ Das Ganze wird aber letztlich als Privatsache abgetan - schließlich geht es ja um erwachsene Menschen und nicht etwa um Kindesmissbrauch.

Exerzitien werden kritisch gesehen

Erst viel später würden die Frauen oft erkennen, wie sie von dem Kleriker manipuliert worden seien, erläuterte Leimgruber in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Viele seien in katholischen Milieus als „brave Mädchen“ erzogen worden. „Es spielt eine Rolle, dass im katholischen Frauenbild Frauen diejenigen sind, die hinnehmen, die demütig sind, die als Ideal schweigen, sich einfügen, fürsorglich sind.“

Wie auch andere Beobachterinnen sieht Leimgruber insbesondere Einzelgespräche in sogenannten Exerzitien kritisch. Dabei berät der Priester die Gläubige oft ähnlich wie ein Therapeut, man begegnet sich also nicht auf Augenhöhe, sondern es besteht ein deutliches Abhängigkeitsverhältnis. Kirchenrechtler Schüller ist überzeugt: „Die ganze Kirche, somit auch Bätzing, müssen noch einen langen Lernprozess durchlaufen, bis die Gewalt gegenüber Frauen wirklich in ihrer Mitte ankommt und menschengerecht aufgefangen wird.“