Kardinal Reinhard Marx – und ein Blick in die Zukunft Foto: dpa

Weil Geistliche immer weniger werden, erprobt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, daheim in München einen neuen Weg zur Reform der Seelsorge. Für katholische Verhältnisse sind die Pläne geradezu revolutionär.

München - Der katholischen Kirche gehen die Priester aus. Diesem zunehmend dramatischen Notstand will die Erzdiözese München-Freising nun „nicht eine neue Notplanung, sondern etwas Zukunftsfähiges“ entgegensetzen. So sagt es Kardinal Reinhard Marx, Bischof in der bayerischen Landeshauptstadt und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Dieser Tage präsentierte er ein Konzept, das für katholische Verhältnisse geradezu revolutionär ist: Künftig sollen nicht unbedingt mehr geweihte Priester die Pfarreien leiten, sondern ein Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen in gemeinsamer Verantwortung. Marx und seine Personalplaner wollen „weg von der dauernden Defizit-Orientierung“; sie wollen „die vorhandenen Begabungen und Ressourcen“ nutzen. „Und da sagen Tausende: Mir ist es wert, mitzuwirken in der Arbeit der Gemeinde.“

Die Situation im katholischen Oberbayern ist nicht besser als in den anderen 26 Bistümern Deutschlands. Noch vor zwanzig Jahren zählte die Erzdiözese München mehr als 1400 Priester. Heute sind nur mehr 569 im aktiven Dienst, und die Ausbildung begonnen hat 2016 lediglich ein einziger junger Mann. Bisher versucht man überall in Deutschland dem Mangel dadurch zu begegnen, dass man Kirchengemeinden zu „Pfarrverbänden“ oder „Seelsorgeeinheiten“ zusammenfasst. Aber das, sagt Marx, könne man nicht ewig so weitertreiben; da verliere die Kirche ihre Verwurzelung und ihre Sichtbarkeit am konkreten Ort. Beliebt sind die tendenziell anonymen Großstrukturen an der Basis schon jetzt nicht. Norbert Lappy, der Leiter des Zukunftsprojekts, gibt zu: „Die Leute wünschen sich oft einfach nur einen Pfarrer.“

Der Pfarrer wird abgeschafft

Den wird zwar auch Lappy nicht bieten können, aber die Erzdiözese hofft, geistlichen Nachwuchs durch die Trennung von Priester-Sein und Pfarrer-Amt gewinnen zu können. Heute werde ein geweihter Priester tendenziell automatisch zum Pfarrer, also zum Manager eines Gemeindeverbands mit zum Teil hundert und mehr Beschäftigten. Das könne nicht jeder, das schrecke womöglich künftige Priester ab, überlegt Marx. Wenn aber – womit München-Freising viel später begonnen hat als etwa die Diözese Rottenburg-Stuttgart – die Buchhaltung und sonstiger Büro-Kram an „weltliche“ Profis gehe und wenn künftig die seelsorgerliche Gemeindeleitung in die Hände eines ganzen Teams gelegt werde, in dem der jeweilige Priester lediglich ein Mitglied von mehreren sei und – neben dem Feiern der Messe– frei für jene Tätigkeiten, die ihm persönlich am besten lägen, dann fänden sich neue Interessenten am Priesterberuf.

Teams leiten die Gemeinde

Seelsorge-Teams gibt es jetzt schon, aber sie brauchen zwingend einen Priester als Leiter. So verlangt es das Kirchenrecht, und jede „pragmatische“ Abweichung davon hatte Marx unterbunden, als er 2007 aus Trier nach München kam. Heute – „auch ein Bischof darf ja dazulernen“ – sieht er in der faktischen Unmöglichkeit, jede Pfarrstelle mit einem Geweihten zu besetzen, eine vom Kirchenrecht nicht erfasste Sonderlage und darin die Möglichkeit, alternative Formen der Gemeindeleitung zu erproben. „Pfarrer“ im Sinne des Gesetzes bliebe dann formell der Bischof beziehungsweise der für den jeweiligen „Landkreis“ zuständige Dekan; die Aufgabenverteilung vor Ort wäre Sache des Teams – je nach den konkreten Erfordernissen und der gezielt vorgenommenen Zusammensetzung.

Die Hauptamtlichen in den Seelsorgeteams: das wären – wie bisher – vor allem die theologisch und religionspädagogisch ausgebildeten PastoralassistentInnen oder GemeindereferentInnen sowie die geweihten Diakone, die nicht dem Zölibat unterliegen. In diesen drei Berufen – zusammen etwa genausoviele Beschäftigte wie die Priester – kennt München-Freising laut Auskunft von Personalchef Klaus Peter Franzl praktisch keine Nachwuchssorgen.

Das Ende des Priestermangels?

Schwieriger wird das Finden von Ehrenamtlichen, die in die Leitung der neuen Strukturen intensiver eingebunden werden sollen als heute beispielsweise im örtlichen Kirchengemeinderat – und dies auch noch eine Ebene höher, im Pfarrverband. „Dass man solchen Leute faktisch einen Halbtagesjob abverlangt, das wird nicht funktionieren“, sagt Franzl.

Noch im März will das Erzbistum in seinen drei Regionen jeweils einen Pfarrverband als „Piloten“ für das neue Projekt auswählen – „ohne Selbstverpflichtung vor Ort geht das aber nicht“, sagt Projektleiter Lappy; im Herbst soll’s praktisch losgehen. Und im Endausbau wäre – jedenfalls rechnerisch – auch das Problem des Priestermangels behoben: „250 bis 270 Seelsorgeeinheiten mit jeweils einem Geistlichen im Team, das werden wir leicht erreichen, sehr leicht“, sagt Personalchef Franzl.