Pfarrer Joseph Doetsch hält heute noch Messen in Heumaden und Hohenheim. Foto: Florian Dürr

Joseph Doetsch lebte 70 Jahre in England. Dieses Jahr feierte er sein 55-jähriges Priestersein. Er steht trotz seiner 80 Jahre nach wie vor aushilfsweise in Stuttgart am Altar und hält Messen. Weil er nicht anders will.

Filder/Stuttgart - Beim Betreten der St. Thomas Morus Kirche in Heumaden an diesem Donnerstagnachmittag sitzt Pfarrer Joseph Doetsch schon auf einer der Bänke, den Blick nach vorne in Richtung Altar und Kreuz gerichtet. Seine Hände liegen gefaltet auf seinem Schoß. Er blickt auf viele Jahre als Priester zurück. Dieses Jahr feierte der 80-Jährige sein 55-jähriges Priestersein.

Nach dem Krieg nach England

Geboren und aufgewachsen ist Doetsch in Berlin. Sein Vater, ein Wissenschaftler, Flugbaumeister und Pilot, wurde nach nach dem Zweiten Weltkrieg nach England geholt. Ein Jahr später kamen Frau und Sohn hinterher. Da war Jospeh Doetsch sieben Jahre alt. In Farnham, einer Kleinstadt im Süden Englands, ging er zur Schule. „Ich war in Deutschland erst ein Jahr in der Schule – ohne ein Wort Englisch“, erinnert er sich. Drei Monate in England – und Doetsch hatte die sprachliche Hürde überwunden.

Nach seinem Abschluss studierte er sechs Jahre Theologie in Guildford, eine Stadt nicht weit entfernt von Farnham. Es folgten drei Jahre weitere Jahre Studium: Mathematik und Ingenieurwesen an der berühmten University of Cambridge. „Ich hätte auch als Wissenschaftler arbeiten können“, sagt der 80-Jährige heute stolz.

2017 wieder zurück nach Deutschland

Es kam anders: Doetsch wurde 1965 mit 25 Jahren zum Priester geweiht. „Der Wunsch, Priester zu werden, war etwas, was langsam in mir gewachsen ist.“ Er war davor schon lange als Messdiener in der Kirche aktiv gewesen. Sein Vater sang im Kirchenchor, als Familie gingen die Doetschs regelmäßig zur Sonntagsmesse.

Wenn Doetsch heute an den Tag seiner Priesterweihe zurückdenkt, werden seine Augen glasig. Ein französischer Priester, ein Vorbild für den jungen Doetsch, schenkte ihm damals seinen goldenen Kelch. „Es fühlte sich an, als würde er mich als seinen Nachfolger sehen“, erinnert sich Doetsch.

Nach 70 Jahren in Großbritannien, kehrte er 2017 wieder nach Deutschland zurück. Genauer nach Heumaden, wo eine seiner Schwestern lebt. „Ich wollte in der Nähe von Verwandten sein“, sagt Doetsch. Im Norden Englands, wo eine weitere Schwester lebt, fand er keine passende Wohnung. „Es gab nur welche ganz draußen auf dem Land. Aber wenn man auf die 80 zugeht, will man nicht mehr so weit entfernt von einer Stadt leben“, begründet Doetsch.

Seine Entscheidung, aus England wegzugehen, hat übrigens auch mit dem Brexit-Referendum von 2016 zu tun: „Normalerweise sind die Engländer vernünftige Leute, aber plötzlich wurde die Stimmung so rau, und man konnte mit einigen nicht mehr diskutieren.“ Diese Entwicklung habe ihm nicht gefallen.

Warum die Kirche in England sparsamer wirtschaften muss

In Deutschland sind ihm die Unterschiede zu seiner Priestertätigkeit in England gleich aufgefallen. Hier gebe es die Kirchensteuer. In England hingegen finanzieren sich die Kirchengemeinden durch Spenden – und die Kollekte, die jeden Sonntag eingenommen werde. „Und davon muss der Priester auch was zu essen bekommen“, sagt Doetsch. Einmal sei ein Bischof in England auf ihn zugekommen und habe gemeint: „Ich sehe, Sie geben sehr, sehr wenig Geld aus. Wie schaffen Sie das?“ Doetsch antwortete: „Frugally.“ Bedeutet übersetzt: sehr sparsam. Damit die Gemeinde nicht viel Geld ausgeben musste, nutzte Doetsch auch seine Kenntnisse aus dem Ingenieursstudium, erledigte beispielsweise Reparaturen selbst. So baute er in einer seiner Kirchen kurzerhand eine Gaszentralheizung ein.

Seit drei Jahren lebt Doetsch jetzt in Heumaden – und springt trotz des formalen Ruhestands immer wieder als Priester ein. Regelmäßig zelebriert er in der Kirche von St. Thomas Morus die Werktagsmesse und englischsprachige Gottesdienste in der Kirche St. Antonius in Hohenheim – für die Studenten aus dem Ausland. „Ruhestand? Was ist denn das?“, fragt er und schmunzelt. „Ich war immer sehr aktiv, sehr sportlich“, erzählt der 80-Jährige, der während seines Studiums in Cambridge drei Ruder-Wettrennen auf dem River Cam gewann. Heute fährt er mit seinem Pedelec immer wieder nach Hohenheim – in 17 Minuten. „Der Bus braucht 20 Minuten“, erzählt er stolz.

Wie lange hält Pfarrer Doetsch noch Messen?

Wenn der Priester gerade nicht in der Kirche steht, geht er gerne laufen. Er fotografiert viel, früher in der Schule hat er seine Fotos selbst entwickelt. Einmal im Monat geht er zu einer Druckwerkstatt in Ostheim: „Ich erfreue mich daran, etwas Kreatives zu machen.“ Oder er löst Sudokus. Dafür hat er sogar ein eigenes Programm entworfen. „Wenn ich Hilfe brauche und zum Beispiel alle Einsen sehen möchte, zeigt es mir das Programm an.“ Wissenschaftler zu werden, wäre also eine ernsthafte Option gewesen.

Bei der Frage nach seiner Zukunft, wie lange er noch Messen feiern möchte, lacht er. „Oh, da habe ich keine besondere Vorstellung“, sagt er dann. „Solange ich noch die Fähigkeiten dazu habe.“ Bei einem ist er sicher: „Ich bin froh und glücklich mit meinem Leben, wie es gelaufen ist.“