Eine Buchhandlung in einem ehemaligen Gotteshaus? Aber ja. Die katholische Kirche hat schon vor Jahren ihre Kirchengebäude auf den Prüfstand gestellt – so wurde St. Stefan zur Buchhandlung. Aktuell wird in Mönchfeld die Kirche abgerissen. Nicht nur dort gibt es große Pläne.
Stuttgart - Eine große Front an bunt-leuchtenden Kirchenfenstern, ein massiver Altar, Kreuz und christliche Malereien an den Betonwänden – der Raum ist als Gotteshaus klar erkennbar. Aber gebetet wird in St. Stefan schon länger nicht mehr.
Wo einst Kirchenbänke standen, finden sich Tische und Regale mit Büchern, Spielsachen, anthroposophischen Produkten. Im Dezember 2017 ist die Kirche entweiht, also profaniert, worden, seit rund zwei Jahren ist an dem Standort in der Rotenwaldstraße im Stuttgarter Westen die Buchhandlung „Buch und Spiel“ beheimatet. Wegen des Coronavirus musste der Verkauf zwar in den vergangenen Wochen auf einen Lieferservice umgestellt werden, aber generell ist die Inhaberin Marie-Luise Zeuch „sehr glücklich“ an dem Standort. Zuvor hatte sie in der Bauernmarkthalle am Vogelsang ihren Laden. Sie schwärmt von den Lichteffekten, die den Raum erfüllten, sobald die Sonne auf die Fenster strahlt. Sie geht sorgsam mit dem Ort um – und setzt ihn durchaus auch in Szene. Von Montag an können die Kunden dies dann auch wieder sehen. Rund um den Altar hat sie zum Beispiel Kinderbibeln und Gotteslob-Ausgaben arrangiert. „Man darf ruhig wahrnehmen, dass dies mal eine Kirche war“, findet sie.
13 Kirchenstandorte werden entwickelt – drei sind schon vermietet
Die Aufgabe von St. Stefan, die Profanierung und Vermietung der Filialkirche, ist Ausdruck eines Prozesses, der vor rund zehn Jahren begonnen hat und sich immer mehr im Stuttgarter Stadtbild zeigt. „Die Dinge gehen voran“, sagt Stadtdekan Christian Hermes. Der Sanierungsstau bei den Gebäuden und der Rückgang bei den Mitgliedern hatten dazu geführt, dass die Kirche ihren Immobilienbestand auf den Prüfstand stellen musste. So kam es 2014 zu einer Rangliste der Gebäude. Stadtdekan Hermes ist immer noch beeindruckt, wie „sachlich“ sich die Gemeinden dabei in den Prozess eingebracht und ihre Kirchen bewertet haben.
13 von 54 Kirchengebäuden „weiterzuentwickeln“ ist seither die Aufgabe der Abteilung Bauen des Stadtdekanats. Bei einigen bedeutete und bedeutet dies, sich von ihnen zu verabschieden. Die ehemalige Filialkirche St. Stefan sticht in der Liste insofern heraus, als sie nun einen kommerziellen Mieter hat. St. Bonifatius in der Zuckerbergstraße wird zwar auch vermietet, aber an die bulgarisch-orthodoxe Gemeinde. In St. Paulus in Rohracker trifft sich die Chaldäische Gemeinde, der Priesterbruderschaft St. Petrus wurde St. Albert in Zuffenhausen überlassen.
Eines schließt das Stadtdekanat aus: den Verkauf von Grundstücken inklusive Kirchengebäude. Schließlich soll es nicht zum Umbau in einen Nachtclub kommen können oder dass sich Scientology eine ehemalige katholische Kirche unter den Nagel reißen kann. „Kirchen haben eine Würde“, sagt Stadtdekan Hermes. Vor dem Verkauf eines Grundstücks würde man eine Kirche deshalb grundsätzlich eher abreißen, damit es nicht zu einer missbräuchlichen Nutzung kommen könne. Vier Kirchenabrisse sind Teil des Konzepts: St. Peter in Bad Cannstatt, die Vinzenz-Palotti-Kirche in Birkach, St. Johannes Maria Vianney in Mönchfeld und die Christus-Erlöser-Kirche in Botnang. Nur in Birkach folgt aber auf den Abriss kein Kirchenneubau. An den übrigen Standorten werden neue kleinere Kirchen gebaut – oder sind schon gebaut worden.
Zwei Kirchen sind schon abgerissen, der dritte Abriss ist im Gang
So ist das Projekt St. Peter bekanntlich bereits abgeschlossen. Der Abriss der alten Kirche war 2016, die neue, deutlich kleinere, aber flexibel nutzbare Kirche wurde im Dezember 2018 geweiht. Der Neubau wurde finanziert, indem ein Teil des Grundstücks an die Stiftung Liebenau verkauft wurde, die dort ein sozialtherapeutisches Wohnheim gebaut hat. Eine Kita gibt es auch. In Birkach wurde die Kirche Anfang 2018 abgerissen, das Siedlungswerk baut hier Wohnungen für Studenten und Flüchtlinge.
Abrisstermin für Botnanger Christus-Erlöser-Kirche steht noch nicht fest
Aktuell laufen die Abrissarbeiten in Mönchfeld, die im Januar begonnen haben. Aktuell werde ein Entwässerungskanal verlegt, so der Abteilungsleiter Bauen des Stadtdekanats, Alexander Schmidt. Alles laufe nach Plan – trotz Corona. Wie bei St. Peter ermöglicht der Abriss in Mönchfeld ein großes Projekt: die Grötzinger-Stiftung wird in Kooperation mit der Caritas-Stiftung Wohnungen für Senioren bauen. Auch eine Kita entsteht.
Im Fall der Botnanger Christus-Erlöser-Kirche wiederum hat der Bischof der Profanierung zugestimmt. Wann der Abriss startet, ist aber noch unklar. In Botnang soll in Hinblick auf die Internationale Bauausstellung ein „baulich und sozial innovatives Konzept“ entwickelt werden, das generationenübergreifendes Wohnen einschließt, sagt Hermes. 3500 Quadratmeter stehen zur Verfügung.
„Wir gehen verantwortungsvoll mit den Standorten um“, betont Stadtdekan Christian Hermes. Es gehe nicht darum, Kirchen zu schließen. Die Projekte würden Hand in Hand mit den Gemeinden entwickelt, betont auch Schmidt.
Für die Kirche am Frauenkopf fehlt eine Nutzungsidee
Nicht immer geht es um die Aufgabe eines Standortes. Auf der Liste finden sich auch die Weiterentwicklungen von Gemeindekirchen zu Zentren: wie das Jugendpastorale Zentrum in St. Nikolaus im Osten oder St. Fidelis (Spirituelles Zentrum). Noch in der Planungsphase ist, die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Degerloch als Trauerpastorales Zentrum aufzuwerten. St. Maria im Süden soll Kirche des Dialogs werden, hier ist die Initiative Stadtlücken bereits länger aktiv, wobei Veranstaltungen wegen Corona aktuell nicht stattfinden.
Nur bei einer Kirche auf der Liste der 13 Standorte ist völlig unklar, was aus ihr wird: Bischof Gebhard Fürst hatte die Profanierung von Mariä Verkündung am Frauenkopf 2006 abgelehnt. Dabei hatte dieser Standorte auf der Rangliste ganz unten gestanden. Zwischenzeitlich wurde sie an eine äthiopisch-orthodoxe Gemeinde vermietet, doch seit Jahren steht sie leer. Derzeit plant das Stadtdekanat nicht, einen zweiten Anlauf für die Profanierung vorzunehmen. „Der Bischof stimmt einer Profanierung nur zu, wenn es ein überzeugendes Folgekonzept gibt“, sagt Hermes. Und das gebe es schlichtweg nicht.