Die ersten beiden Tage des Christentreffens in Leipzig haben zwei Stars: Joachim Gauck und Papst Franziskus.
Leipzig - Kann es noch echte Neuheiten geben, wenn eine Veranstaltung zum 100. Mal über die Bühne geht? Um 18.40 Uhr am Eröffnungsabend des Katholikentags ist es so weit: Der Papst erscheint den rund 10 000 Besuchern auf dem Leipziger Markt und meldet sich auf Deutsch zu Wort. Er ist nicht persönlich gekommen, sondern blickt freundlich von einer großen Videoleinwand auf die Pilger herunter. Ein Novum. Früher – etwa unter Benedikt war dies anders. Der päpstliche Nuntius verlas zum Beginn der Christentreffen lediglich das, was im fernen Rom zu Papier gebracht war. Meist wandte sich das Kirchenoberhaupt an den gastgebenden Bischof, oft konnte man die Botschaft unterschwellig auch als Mahnung zur Disziplin an die tendenziell aufrührerischen Laien in Deutschland verstehen. Doch dies ist nicht Franziskus‘ Art. Er spricht die Gläubigen direkt an, nicht von oben herab, sondern als einer von ihnen. „Betet auch für mich“, sagt der Pontifex. Und in diesem Moment herrscht vor dem Alten Rathaus andächtige Stille, als wüssten die Gäste, dass sie einen besonderen Augenblick erleben.
Was Franziskus sagt, ist nicht spektakulär, aber er bleibt sich selbst treu. Das Kirchenoberhaupt nimmt das Motto des Katholikentages „Seht, da ist der Mensch“ auf, um sein Zentralthema – Barmherzigkeit – erneut einzuschärfen. Die Christen sollten der „Stimme der Armen und Zerschlagenen mehr Raum“ geben, sich zum Beispiel für Flüchtlinge und Arbeitslose einsetzen und „Zeugen der Hoffnung“ sein. Der folgende dankbare Applaus zeigt: der Papst spricht den Christen in Leipzig aus dem Herzen. „Er lebt vor, was er predigt. Deshalb tut Franziskus mir momentan so gut“, sagt hernach strahlend eine Dominikanerin mit schlohweißem Haar.
Jeder Satz von Joachim Gauck wird beklatscht
Noch mehr Begeisterung löst allerdings ausgerechnet ein evangelischer Pfarrer aus: Fast jeder Satz von Joachim Gauck wird beklatscht. Der Bundespräsident trifft den richtigen Ton, als er scherzhaft darauf anspielt, dass die Gründer des Katholikentages im Jahr 1848 niemals gedacht hätten, dass je ein evangelischer Staatsoberhaupt zu ihren Treffen eingeladen werde und dann diese Einladung auch noch annehme. Mit Sonnenbrille und grünem Katholikentagsschal um den Hals lobt Gauck die Ehrenamtlichen ebenso wie den Beitrag der Leipziger zur Wende in der DDR. Geschichte könne sich eben auch in eine gute Richtung entwickeln, folgert Gauck und spendiert noch ein paar Steicheleinheiten für die hier versammelten Frommen: Christen jammerten nicht, sondern handelten. Sie würden helfen, „diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.“
Das Staatsoberhaupt ist der Star der ersten zwei Tage des Christentreffens mit 32000 Dauerteilnehmern. Er nimmt sich viel Zeit, erweist der konfessionellen Konkurrenz so seine Referenz. Zu Beginn ist er ebenso mit dabei wie am Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion zum Miteinander in der pluralen Gesellschaft. Und diesmal haben die Veranstalter dazugelernt. Hatten beim letzten Katholikentag in Regensburg noch viele Besucher stundenlang vergeblich im Regen gestanden, um Gauck diskutieren zu hören – weil der Platz nicht reichte, ist nun Leipzigs Arena reserviert. Die bietet Raum für bis zu 12000 Gäste. Elisabeth Pannenweg ist dennoch schon fast anderthalb Stunden vorher da, um ganz sicher den Bundespräsidenten live erleben zu können. „Er spricht Klartext und nimmt kein Blatt vor den Mund“, lobt die Rentnerin vom Niederrhein vor der Debatte. „Ich wünsche mir, dass er für eine zweite Amtszeit antritt.“ Wie sie denken hier viele. Der Bundespräsident hat ein Heimspiel, und er zeigt anschließend, warum. Gauck liefert in den folgenden rund anderthalb Stunden ein Paradebeispiel für seine feinsinnige und rhetorisch einnehmende Art der Welterklärung. Der Theologe belehrt die Christen einerseits, streut aber auch andererseits scherzhafte Bemerkungen ein. Die Gläubigen sollten nicht illusionär von der Politik einen perfekten Zustand des Friedens und der Gerechtigkeit einfordern. Dieser sei angesichts der menschlichen Schwächen nämlich unrealistisch: „Politik hat vielmehr die Aufgabe, das zu erden, wovon wir träumen“, schärft der 76-Jährige ein.
Das Publikum nimmt die Botschaft dankbar auf
Er verteidigt auch die Demokratie als bester aller Staatsformen und kommt auf das Thema zu sprechen, das als eines der heikelsten auf dem Katholikentag gilt: die Flüchtlingsfrage und das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen im Land. Der Ostdeutsche Gauck schüttelt den Kopf darüber, dass ausgerechnet im Osten die Überfremdungsängste am größten seien, ausgerechnet dort, „wo es wenig Menschen gibt, die andere überfremden können“, wo kaum jemand Moscheen oder Minarette bauen wolle. Er grenzt sich scharf ab von jenen, die solche Ängste missbrauchten, um ihr „politisches Süppchen zu kochen“ und Hetze zu verbreiten. Und er rät, die Sorgen zu vertreiben – etwa durch Besuche in der Region Stuttgart. Dort seien die Gefühle der „Biodeutschen“ zwar einst ähnlich gewesen, aber mittlerweile habe sich im Südwesten vielfach Fremdheit in Vertrautheit verwandelt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass zusammenwächst, was ursprünglich nicht zusammengehörte“, sagt Gauck und verbreitet so Optimismus, dass die Integration gelingt.
Diese Botschaft nimmt das Publikum dankbar auf. Die anderen Podiumsteilnehmer machen aber auch deutlich, dass diese Zukunftsaufgabe keinesfalls einfach wird. Ulrike Kostka von der Caritas Berlin erzählt zum Beispiel, dass sie selbst in kirchlichen Kreisen angefeindet worden sei, weil sie geholfen habe, ein muslimisches Seelsorgetelefon aufzubauen. In dieses Horn stößt auch der Religionssoziologe Detlef Pollack. Der Professor empfiehlt mit Blick auf die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen den Islam einen schwierigen Spagat: Einerseits soll für mehr Verständnis gegenüber anderen Kulturen und deren Gewohnheiten geworben werden, andererseits müsse die Gesellschaft auch den Anhängern von AfD und Pegida das Gefühl geben, wahrgenommen zu werden. Vor einer solchen Herausforderung schreckt der Freiheitskämpfer Gauck freilich nicht zurück. Angesichts der Verunsicherungen durch die Globalisierung werde es noch eine Zeitlang nationalistische Bewegungen in Europa, prognostiziert er. „Diesen Meinungsstreit gilt es jetzt auszuhalten“, sagt der evangelische Christ und man spürt seinen Glauben, dass Liberalität und Toleranz am Ende siegen werden.