Fabian Reiß berät eine Mutter mit krankem Kind Foto: Paul Hahn

Ein mulmiges Gefühl hatte Fabian Reiß schon bei seinem ersten Katastropheneinsatz. Kurz nach dem ein Taifun Tausende Menschen in den Tod gerissen und das Land verwüstet hat, war der ehrenamtliche Johanniter dort, um zu helfen.

Stuttgart - Dass auf den Philippinen der Taifun Haiyan gewütet hat, erfuhr Fabian Reiß am Wochenende aus den Medien. Dann ging alles ganz schnell: Am Montag danach, am 11. November, kam eine SMS von der Bundesgeschäftsstelle der Johanniter in Berlin. Man wollte wissen, ob der 30-Jährige bereit ist, zum Einsatz in den Inselstaat auszurücken. Der Ingenieur, seit zehn Jahren ehrenamtlich bei den Johannitern, beantragte in seiner Firma Sonderurlaub. „Am Dienstag war ich noch am Arbeitsplatz und abends schon auf dem Flughafen in Frankfurt“, sagt der Stuttgarter. Dort hat er sein Team getroffen: elf Männer und Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet: alles ehrenamtliche Johanniter, alle nicht bekannt miteinander.

Im Team waren Ärzte und Rettungsassistenten, die Verletzte versorgen und ein Psychologe, der sie seelisch betreuen sollte. Die Aufgabe von Reiß: die Organisation von Lastern, um medizinischen Güter zu transportieren, Trinkwasser und Nahrungsmittel aufzutreiben, die Stromversorgung sicherzustellen und den Transport des Teams vom Ankunftsort Cebu zum Einsatzort Ormoc mit seinen 190 000 Einwohnern in der Provinz Leyte zu managen.

Parallel zu dem Team schickten die Berliner Johanniter auch ein so genanntes Emergency Health Kit nach Ormoc: Hunderte Kartons mit Medikamenten, Spritzen, Verbandszeug mit einem Gewicht von einer Tonne. Damit können 10 000 Menschen drei Monate medizinisch versorgt werden.

Als der Hilfstrupp nach 20 Stunden am Donnerstag früh in Cebu auf den Philippinen landete, organisierte Reiß dort Lebensmittel, Trinkwasser und einen Generator zur Stromerzeugung. Da die 500 000-Einwohner-Stadt von dem Taifun nicht betroffen war, hat er alles Notwendige bekommen.

Vom Lebensmut der Menschen tiefbeeindruckt

Von Cebu ging es mit der Fähre weiter nach Ormoc: „Auf der Überfahrt hörten wir Gerüchte, dass es dort gefährlich sei und wir mit Plünderung rechnen müssten, weil die Leute dort nichts mehr zu Essen und kein Trinkwasser hätten.“ Reiß, der zum ersten Mal zu einem solchen Einsatz ausgerückte, räumt ein, dass ihm „schon etwas mulmig zumute “ war.

Als das Team von Bord ging, hat die Realität die Bilder, die alle aus dem Fernsehen kannten, noch übertroffen: Keine Hütte stand mehr. Und selbst Gebäude aus Beton sind stark beschädigt worden. Tausende Menschen waren in verschiedenen Schulen untergebracht. Die Dächer fehlten. Duschen gab es nicht. Und nur eine Toiletten funktionierte. Die Johanniter haben sich in einem nur teilweise zerstörten Hotel einquartiert – ohne Strom und fließendes Wasser. Der Trupp war darauf eingestellt, eine Art Lazarett einzurichten und auch schwere Operationen in Narkose wie Amputationen vorzunehmen. Das war zum Glück nicht notwendig. Die kleinen Gesundheitszentren funktionierten schon wieder. Deshalb haben die Helfer in den Schulen, in denen die Taifun-Opfer untergebracht waren, Medizinstationen eingerichtet, Krankheiten wie Durchfall und Fieber behandelt und den Menschen Mut zugesprochen. „Für viele war es wichtig zu spüren, dass sie nicht alleine sind, dass die Welt Anteil an ihrer Not nimmt und hilft“, sagt Reiß. 16 Stunden dauerte der Arbeitstag des Teams – auch am Wochenende. Von 7 bis 18 Uhr wurden Patienten versorgt, dann bis 1 Uhr nachts Patientenlisten angelegt, weil die philippinischen Behörden wissen wollten, was die Helfer machen

Helfen konnte das 12-köpfige Team nur, weil auch die Hilfsgüter pünktlich eingetroffen sind. Bis es soweit war, war es für alle eine Zitterpartie: Hilfstransporte anderer Organisationen wurden teilweise durch zerstörte Straßen und Flugplätze ausgebremst.

Der Einsatz von Fabian Reiß und seinen Kollegen war auf 14 Tage begrenzt. Danach wurden sie von Kollegen abgelöst. Seit vier Tagen ist Reiß wieder in Stuttgart. Gefährdungen durch die Einwohner habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben, sagt er. Dass der Einsatz an den Kräften gezehrt hat, sehen seine Freunde sofort. Denn er ist schmal geworden. Trotzdem würde Reiß jederzeit wieder mitmachen, weil er gut dafür geschult worden ist und weil ihn die Dankbarkeit und der Lebensmut der Philippinos tief beeindruckt hat. „Statt zu verzweifeln, blicken die Menschen nach vorn“, stellt Reiß fest. Und als er mit seinem Team Ormoc verließ hat, waren einige Straßen bereits wieder passierbar.