Kurz nach dem Anpfiff des Länderspiels gegen Italien zeigen Mönchengladbacher Ultras ihr Katar-kritisches Plakat – was nicht ohne Folgen bleibt. Foto: imago/Revierfoto

Der Katar-Protest von 15 Fans während des Länderspiels gegen Italien zog eine vom DFB initiierte Polizeikontrolle nach sich. Die Kritik an der WM begleitet die Nationalelf und wird sie auch bis zum Turnier nicht mehr loslassen.

Aus Sicht der Mönchengladbacher Ultra-Gruppierung Sottocultura hätte es nicht besser laufen können. Das Banner mit der Aufschrift „15 000 Tote für große Kulissen – Fifa und Co. ohne Gewissen. Boykott Katar“ hat mehr Aufsehen erregt, als es sich die Initiatoren wohl erträumt hatten. Das Transparent, am Dienstagabend hereingeschmuggelt zum Nations-League-Spiel zwischen Deutschland und Italien im Borussia-Park (5:2), ist in aller Munde. Weil die Reaktion des DFB darauf in aller Munde ist.

Die Zahl „15 000“ auf dem gegen den WM-Gastgeber und den Weltverband gerichteten Plakat, so viel ist klar, bezieht sich auf einen Bericht von Amnesty International. Sie umfasst Regierungsdaten zu allen Todesfällen von Nicht-Katarern zwischen 2010 und 2019, unabhängig von Alter, Todesart oder Bezug zu WM-relevanten Baustellen. Noch immer nicht klar ist dagegen das Motiv des DFB, bei der Polizei während des Spiels in Mönchengladbach eine Kontrolle der 15 Ultras zu veranlassen. Von einem Trauerspiel ist bei einigen Kommentatoren und in den sozialen Medien seither die Rede – angesichts der zuletzt wachsenden Verbandsbemühungen, eine aufgeklärte Haltung gegenüber dem WM-Gastgeber Katar einzunehmen, wirkt die Aktion von Mönchengladbach wie ein Eigentor.

Der DFB lässt Katar-kritische Anhänger kontrollieren – jener DFB also, der zuletzt im Trainingslager-Camp von Herzogenaurach einen Expertenworkshop mit seinen Nationalspielern abhielt, um sie für das heikle Thema „WM in Katar“ und den Umgang mit Themen wie Menschenrechten, den Arbeitsbedingungen für Migranten oder den Rechten Homosexueller zu sensibilisieren.

Schwarz auf weiß, 20 Meter lang, direkt an der Mittellinie, live vorgelesen und gelobt von ZDF-Kommentator Oliver Schmidt: Damit wäre die Sache mit dem Plakat am Dienstagabend nach wenigen Minuten wohl vorbei gewesen, es hätte also nach dem Protest wohl keine weiteren Debatten gegeben – hätte nicht die Polizei Mönchengladbach die Fans festgesetzt und deren Personalien festgestellt. Auf explizite DFB-Bitte.

„Untypisches Verhalten“ der Fangruppe

„Es bestand zunächst der Verdacht, gegen das Hausrecht verstoßen zu haben“, sagte ein Polizeisprecher später. Doch diesen Verdacht konnten die Gladbacher Ultras bei der Kontrolle ausräumen: Sie hatten allesamt gültige Tickets fürs Spiel.

Der Verband wies den Eindruck, es würden Überbringer unliebsamer Botschaften gegängelt, am Tag nach dem Spiel weit von sich. Die Fangruppe habe nach ihrem Protest das Stadion schnell verlassen, sich aber weiter im Umfeld bewegt: „Aufgrund dieses untypischen Verhaltens und aus Sorge um die Sicherheit informierte der DFB die Polizei.“ Es liege „nicht im Interesse“ des Verbands, teilte der DFB weiter mit, die Meinungsfreiheit einzuschränken, im Gegenteil: Die Fragen der WM-Austragung in Katar (. . .) bedürften eines kritischen Diskurses.

Kontrolle für Fans ohne Folgen

Für die Fans bleibt die Kontrolle folgenlos. Der DFB verzichtete auf Ansprüche, auch polizeilich wird es „keine Maßnahmen“ geben, das Plakat ist strafrechtlich irrelevant.

Die Sache aber ist zum Politikum geworden – weil die Haltung des DFB und der gesamten Fußballwelt mit Blick auf den WM-Gastgeber Katar mehr denn je im öffentlichen Fokus steht. Es geht dabei stets um Haltungen und Nichthaltungen – Fakt ist: Aufgrund des latenten öffentlichen Drucks wissen die Strategen des DFB um den Direktor Oliver Bierhoff längst, dass sie sich nicht mehr wegducken können. Und dass jedes Handeln und jede Aussage, die in Richtung Katar geht, öffentlich gedeutet wird.

Bierhoff will dabei erreichen, dass sich die europäischen Verbände auf gemeinsame Aktionen und Botschaften verständigen und es vor und während der WM „nicht zu einem Ideenwettbewerb“ der einzelnen Verbände und Nationalteams kommt. Eine weltweite Protestallianz ist dabei aber ausgeschlossen, denn in diesem Kontext muss man wissen, dass die asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Verbände die WM in Katar nicht ansatzweise so kritisch sehen wie Teile der europäischen.

Nordische Verbände klar gegen Katar

In Europa wiederum verschiebt sich die Protesthaltung aufsteigend in Richtung Norden. So fielen zuletzt der dänische, der finnische und der norwegische Verband mit klarer Kante gegen Katar auf, etwa beim Kongress des Weltverbands im Dezember in Doha – südlichere europäische Verbände wie der italienische positionierten sich inhaltlich bisher nicht gegen den WM-Gastgeber.

Die Deutschen befinden sich knapp fünf Monate vor Beginn des Turniers nicht nur geografisch irgendwo dazwischen. Der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Bierhoff weisen zwar immer wieder auf die Dringlichkeit klarer Botschaften und einer Haltung gegenüber Katar hin – die wirklich klare Kante aber war von ihnen bisher nur ansatzweise zu hören. Die nächsten Monate bis zur WM also werden spannend bleiben.

Die Mönchengladbacher Ultras können sich fürs Erste zurücklehnen. Sie haben das Ziel, ihre Botschaft rüberzubringen, am Dienstag im Borussia-Park übererfüllt.

Wie es bis zur WM weitergeht

TV-Quote
 Das letzte der vier Nations-League-Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Juni erzielte auch die höchste TV-Quote. Im Schnitt 8,919 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer schalteten laut AGF Videoforschung am Dienstag das ZDF ein und sahen das 5:2 des DFB-Teams gegen Europameister Italien. Das ergab einen Marktanteil von 36,3 Prozent. Die Partie war damit der klare Tagessieger. Beim Spiel zuvor in Ungarn (1:1) hatten im Durchschnitt 6,62 Millionen Menschen der deutschen Auswahl bei RTL zugeschaut, was einem Marktanteil von 31,1 Prozent entsprochen hatte.

Fahrplan
 Die Nationalelf geht in die Sommerpause. Danach geht es wie folgt weiter: 23. September in Leipzig: Deutschland – Ungarn (20.45 Uhr/Nations League); 26. September in London: England – Deutschland (20.45 Uhr/Nations League); 23. November im Khalifa International Stadium: Deutschland – Japan (14 Uhr/WM); 27. November im Al-Bayt-Stadion: Deutschland – Spanien (20 Uhr/WM); 1. Dezember im Al-Bayt-Stadion: Deutschland – Costa Rica (20 Uhr/WM)