Lucia Rothwein aus Fellbach erläutert ihren Mitarbeitern Pierre Boettel (l.) und Tim Frey einen Bauplan. Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Die Zahl der Chefinnen im Handwerk hat in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen. Der Handwerkstag sieht aber noch viel Luft nach oben.

Stuttgart - Das Handwerk wird weiblicher. Der Anteil der Frauen, die in einem Betrieb Regie führen, hat in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen. Vor etwa 20 Jahren, so Reiner Reichhold, der Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages, seien erst in 13 Prozent der Betriebe Frauen an der Spitze gestanden, bis 2015 – neuere Zahlen liegen nicht vor – sei der Anteil auf mehr als 23 Prozent gestiegen. Oskar Vogel, der Hauptgeschäftsführer des Handwerkstags im Südwesten, schätzt, dass sie heute bei 25 Prozent liegt. Dies würde bedeuten, dass in mehr als 32 000 südwestdeutschen Handwerksbetrieben eine Frau an der Spitze steht – sei es als Meisterin, sei es als Geschäftsführerin, die Meister beschäftigt.

Eine dieser Frauen ist Lucia Rothwein, zusammen mit ihrem Mann Bernd Geschäftsführerin und Gesellschafterin von Schneider Bau in Fellbach. In dem Unternehmen ist sie zwar schwerpunktmäßig im Büro tätig, ihr Mann eher auf der Baustelle, was durchaus in das traditionelle Rollenbild passt. Doch immerhin gehört ihr die Hälfte des Unternehmens mit 20 Mitarbeitern und einem Umsatz von 3,5 Millionen Euro. Die gelernte Bankkauffrau ist zwar keine geprüfte Handwerksmeisterin, doch sie leitet Meister an, die im Betrieb angestellt sind.

Lucia Rothwein ist in die Baubranche „reingerutscht“

Als Frau am Bau tätig zu sein, ist für Lucia Rothwein zur Selbstverständlichkeit geworden. „Mit den Jungs komm’ ich gut zurecht“, sagt sie, als sie auf der Baustelle Pläne für ein Wohnhaus erläutert. In den Betrieb sei sie eben „so reingerutscht“. Neuland indes war die Bauwirtschaft nicht – auch die Eltern hatten schon einen Baubetrieb.

Ähnlich war es auch bei Sarah Maier, die in Stuttgart eine Schreinerei mit 22 Beschäftigten und einem Umsatz von zwei Millionen Euro führt – inzwischen in der vierten Generation. Sie ist zwar selbst ebenfalls keine Meisterin, sondern hat Wirtschaftswissenschaften und Architektur studiert. Doch wie es in einer Schreinerei zugeht, hat sie schon früh mitbekommen: „Ich bin unter der Hobelbank groß geworden“. Sie war das einzige Kind der Familie – und schon deswegen entschloss sie sich, das Geschäft weiterzuführen.

Frauen sind in der Regel jünger als Männer, wenn sie ein Unternehmen gründen

Keinen Unterschied gibt es nach den Worten von Vogel in der Frage, wie man zu einem Handwerksbetrieb kommt – durch die Übernahme des elterlichen Betriebs, durch eine Neugründung oder durch die Übernahme eines Unternehmens. Unterschiedlich dagegen ist das Alter der Gründer: „Die Frauen sind in der Regel jünger als die Männer“, berichtet der Hauptgeschäftsführer des Handwerkstags. Dies auch deswegen, weil sie weniger als Männer eine handwerksspezifische Ausbildung haben und eher in Bereiche gehen, für die keine Meisterprüfung erforderlich ist – etwa als Kosmetikerin oder Fotografin. Gmerade diese Berufe haben zur weiteren Steigerung der Zahl der Handwerksbetriebe im Südwesten auf insgesamt 133  000 geführt. Die Zahl der Betriebe, die von einem Meister geführt oder in denen angestellte Meister beschäftigt werden, um der „Meisterpflicht“ Genüge zu tun, sinkt dagegen.

Bundesweit seien 2017 fast 17 Prozent der bestandenen Meisterprüfungen von Frauen abgelegt worden, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin. Vor allem im Lebensmittelhandwerk oder im Gesundheitshandwerk – wie Optikerinnen oder Hörakustikerinnen – seien die Frauen gut vorangekommen. „Die Frauen haben inzwischen ihren Platz im Handwerk“, meint Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, „es gibt aber noch gehörig Luft nach oben“. Dies gilt nicht nur für den Metallbau, aber dort ganz besonders. „Unter unseren 75 Betrieben gibt es drei, die von Frauen geführt werden“, sagt Bernd Bruchmann, Vorstandsmitglied der Metallinnung Stuttgart, „zu wenig, mehr täten dem Handwerk gut“.

Bei Frauen in technischen Berufen hat das Handwerk ein Defizit

Gerade bei Frauen in technischen Berufen hat das Handwerk ein Defizit. So liegt im Südwesten der Anteil an den Auszubildenden gerade mal bei sieben Prozent. „Bei Schulabschlüssen sind die Mädchen besser als die Jungs, auch in technischen Fächern“, sagt Vogel. „Die Sorge, sie könnten es also später im Beruf nicht schaffen, ist unbegründet“. Doch bei technischen Berufen, so räumt der Hauptgeschäftsführer ein, „bewegt sich leider nichts“.

Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn weist darauf hin, Studien zeigten, dass gemischte Teams innovativer sein könnten – was durchaus auch für das Handwerk gelten könne. Der Handwerkstag jedenfalls plant zusammen mit der Stuttgarter Landesregierung ein Projekt zur stärkeren Förderung von Frauen in handwerklichen Berufen. Und Lucia Rothwein will im Herbst mit einem Coaching für Handwerksbetriebe beginnen – bei dem sie auch über eigene Erfahrungen berichten will.