Bevor man am Karpaltunnelsyndrom erkrankt, wurde häufig die Hand einseitig belastet, zum Beispiel beim Klicken mit der Maus. Foto: Calado/Fotolia

Das Karpaltunnelsyndrom ist zwar weit verbreitet, wird aber von den Betroffenen nicht immer ernst genommen. Dabei wäre eine frühzeitige Therapie wichtig, um irreparable Nervenschädigungen zu verhindern.

Stuttgart - Wachen Sie nachts auf, weil Ihre Hand schmerzt? Stellen dann fest, dass die Fingerkuppen pelzig sind oder die Hand eingeschlafen ist? Dann gehören Sie möglicherweise zu jenen geschätzten ein Prozent der Bevölkerung, die an einem Karpaltunnelsyndrom leiden.

Was versteckt sich hinter diesem etwas exotisch anmutenden Begriff „Karpaltunnel“? Der Karpaltunnel wird durch die Handwurzelknochen und ein straffes Bindegewebsband in Höhe des Handgelenks gebildet. In diesem engen Tunnel verläuft nebst den rigiden und wenig komprimierbaren Fingersehnen der Nervus medianus. Dieser Nerv besteht aus sensiblen und motorischen Fasern und versorgt bestimmte Handmuskeln, Finger und die Handflächen mit Signalen.

Vor dem Karpaltunnelsyndrom wurde häufig die Hand eintönig belastet

Eine besonders ausgeprägte Enge des Karpaltunnels kann bereits angeboren sein. „Aber auch ohne sie kann aufgrund der konstruktionsbedingten Enge des Tunnels jede Volumenzunahme der Umgebung des Nervus medianus dazu führen, dass der Nerv ständig gedrückt wird“, sagt der Handchirurg Elias Volkmer, Oberarzt am Klinikum Großhadern, München. Das führt zu häufigem Einschlafen der Hände, Taubheitsgefühlen, Taststörungen und unangenehmen Empfindungen in den Händen. „Häufig haben die Betroffenen längere Zeit die Hand sehr eintönig belastet oder überlastet“, sagt Volkmer.

Die Liste weiterer möglicher Ursachen ist lang: Fehlstellungen nach Knochenbrüchen oder nach Verletzungen im Handgelenksbereich und rheumatologische Erkrankungen mit entzündlichen Prozessen am Knochen. Narbengewebe, das auf den Nerv drückt, sowie schwangerschaftsbedingte und altersbedingte Flüssigkeitseinlagerungen bei Menschen mit Nieren- und Herzerkrankungen können den Nerv ebenfalls stressen. Weiterhin können frühere chronische Sehnenscheidenentzündung und chronisch-entzündliche Schwellungszustände dem Nervus medianus zusetzen. Abhängig von der Ursache tritt das Karpaltunnelsyndrom an beiden Händen oder nur an einer Hand auf.

Frühzeitig zum Arzt gehen statt abwarten

Je länger der Druckzustand anhält, desto stärker wird der Nerv geschädigt. Im Extremfall kann sogar die Muskulatur des Daumenballens schwinden. „Die Nervenschäden und der dadurch bedingte Muskelschwund sind irreparabel“, warnt Volkmer. Deshalb rät er Betroffenen, frühzeitig zum Neurologen und zum Handchirurgen zu gehen. Der Neurologe testet die Muskelfunktionen an der Hand und überprüft die Reaktion des Nervus medianus auf Reize wie Beklopfen des Kanals von oben. Um die Diagnose abzusichern, wird zumeist die Leitfähigkeit des Nervs mittels Elektroneurografie gemessen. Dabei überprüft der Neurologe mit Hilfe kurzer elektrischer Reize der Funktionszustand einzelner Nerven. Ist der Nervus medianus geschädigt, ist die Nervenleitgeschwindigkeit verlangsamt.

Der Handchirurg führt zunächst eine gründliche Anamnese durch. „Pelzige Finger sind typisch, ebenso, dass die ersten drei Finger betroffen sind sowie der Ringfinger nur zur Hälfte“, so Volkmer. Anfangs treten mehr sensorische Symptomen auf, in fortgeschrittenen Fällen aber auch motorische Beschwerden wie eine Kraftminderung im Daumen.

Im Anfangsstadium treten die Beschwerden vornehmlich nachts und nur zeitweise auf, im fortgeschrittenen Stadium dann auch tagsüber. „Die Nachtschmerzen sind ebenfalls typisch. Die Betroffenen schlafen schmerzfrei ein und wachen nachts auf, weil sie Schmerzen bis zum Oberarm haben, unangenehmen Empfindungen in der Hand auftreten oder die Hand eingeschlafen ist. Wenn sie die Hand schütteln, verschwinden die Beschwerden“, erzählt Volkmer. Der Nachtschlaf der Betroffenen sei aber dadurch sehr gestört.

Nicht immer ist beim Karpaltunnelsyndrom eine Operation nötig

Bei einem schweren Karpaltunnelsyndrom ziehen die Schmerzen typischerweise von der Hand ausgehend Richtung Ellenbogen, die Finger kribbeln nachts ständig. „Ausschütteln im Handgelenk“ bessert auch hier die Beschwerden. Eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung des Nervus medianus kann morphologische Veränderungen aufdecken und zeigt auf, wie weit der Karpaltunnel ist. Eine Röntgenuntersuchung macht mögliche Arthrose-ähnliche Veränderungen des Handgelenks sichtbar, die für die Kompression verantwortlich sind.

Solange Schmerzen die Hauptbeschwerden darstellen, kann oftmals eine nachts zu tragende Handschiene zur Ruhigstellung des Handgelenks, die Nachtlagerungsschiene, bereits den gewünschten Erfolg bringen. Sie verhindert, dass die Hände in Beugestellung sind, so dass sich der Druck auf den Nervus medianus vergrößert. „Abgesehen davon ist eine Lymphdrainage möglich, um die Flüssigkeit aus dem Karpaltunnel zu entfernen sowie Physiotherapie, um den Kanal aufzudehnen“, sagt Volkmer. Das helfe aber nur in Einzelfällen. Ganz wichtig sei es, auslösende Situationen zu meiden. „Es besteht auch die Möglichkeit, eine Kortisonspritze zu geben, jedoch ohne dauerhaften Erfolg. Allerdings besteht bei mehreren Kortisonspritzen das Risiko, dass das Kortison lokal die Sehnen spröde macht, so dass diese reißen können“, warnt Volkmer. Dann müsste die Sehne rekonstruiert werden, was nicht einfach sei.

Handchirurgen operieren meist ambulant unter örtlicher Betäubung

In einigen Fällen verschwindet das Karpaltunnelsyndrom mit der konservativen Behandlung. Vielfach ist aber eine OP nötig. „Das ist dann der Fall, wenn der Leidensdruck groß und das Taubheitsgefühl dauerhaft da ist“, sagt Volkmer. Das Risiko, dass der Nerv geschädigt würde, sei groß und das könne man nicht rückgängig machen. Außerdem sei die Operation relativ risikoarm bei sehr guten Erfolgschancen. Der richtige Ansprechpartner hierfür ist der Handchirurg. „Es ist leider noch nicht allgemein bekannt, dass es uns als Spezialisten gibt“, bedauert Volkmer. Sie kann zumeist ambulant unter örtlicher Betäubung erfolgen, entweder minimalinvasiv oder als offene Operation.

In beiden Fällen wird das Bindegewebsband durchtrennt. Bei der offenen Operation wird über dem Karpaltunnel ein etwa drei Zentimeter langer Schnitt angebracht. Die Finger kann und muss man direkt nach dem Eingriff bewegen. „Die Schmerzen sind bereits in der ersten Nacht weg, was den Nachtschlaf merklich verbessert. Bis alles wieder ganz gut ist, vergeht etwa so viel Zeit, wie vorher die Beschwerden andauerten“, so der Münchner Mediziner. Auch das ein Argument dafür, frühzeitig zum Arzt zu gehen.

Tests zur Feststellung eines Karpaltunnelsyndroms

Ist sich der Arzt bei der Diagnose „Karpaltunnelsyndrom“ noch nicht ganz sicher, führt er folgende Tests durch:

•Der Zwei-Punkte-Diskriminations-Test. Damit kann die Sensibilität an den Fingerkuppen gezielt geprüft werden. Mit einer zurechtgebogenen Büroklammer wird an den Fingerkuppen überprüft, bei welchem Abstand zwischen den beiden Klammerenden im Bereich der Fingerkuppen der Patient zwei getrennte Punkte wahrnehmen kann. Der Normalwert beträgt etwa 4 mm. Bei einer Sensibilitätsstörung ergeben sich höhere Werte, mitunter um die 10 mm oder mehr.

•Hoffman-Tinel-Test: Bei diesem Test wird die Haut über dem Karpaltunnel abgeklopft. Löst dies beim Patienten Schmerzen und Missempfindungen aus, sprechen Mediziner von einem positiven Hoffman-Tinel-Zeichen als Anzeichen für ein Karpaltunnelsyndrom.

•Phalen-Zeichen: Für diesen Test muss der Patient die gebeugten Hände mit den Handrücken aneinander legen. Verstärken sich dabei die Schmerzen, ist dies Indikator für ein Karpaltunnelsyndrom.