Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (im Vordergrund) hat sich Gehör verschafft. Foto: dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge gegen Ceta abgewiesen. Doch hat es klare Bedingungen mit dem Urteil verbunden. Somit zeigt sich Karlsruhe der Bedeutung des Verfahrens für die demokratische Kultur im Lande sehr bewusst, meint Matthias Schiermeyer.

Karlsruhe - Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist mit seinem plastischsten Argument durchgedrungen. Vor einem „gigantischen Schaden für das Ansehen der EU und der Bundesregierung“ hatte er während der Anhörung am Vortag gewarnt, sollte das Verfassungsgericht die Zustimmung Deutschlands zum EU-Freihandelsabkommen Ceta am 18. Oktober verwehren. Der Vertrag mit Kanada wäre als Ganzes gestoppt worden. Der Zweite Senat sah es schon zu diesem Zeitpunkt ähnlich, zog er doch nach den Worten von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bereits da mögliche völkerrechtliche und außenpolitische Auswirkungen in Betracht.

Folglich hat Karlsruhe die Eilanträge abgewiesen, den Ceta-Verfechtern aber keinen Blankoscheck ausgestellt. Es hat die Nachteile als schwerwiegend genug anerkannt, falls die vorläufige Anwendung des Abkommens jetzt gebremst würde – mehr noch nicht. Und es hat wie gewohnt Eigenständigkeit bewiesen, indem es seine Entscheidung mit strengen Maßgaben versehen hat. Damit dürfen die Gegner einen Teilerfolg verbuchen. Karlsruhe würdigt ausdrücklich die Notwendigkeit der Kontrolle durch das nationale Parlament. Und es erteilt der Bundesregierung die Auflage, keinen Regelungen zuzustimmen, die in die nationale Zuständigkeit fallen.

Sorge vor dem Verlust an Rechtsstaatlichkeit

Eine spätere Ablehnung behält sich das Gericht vor. Es geht direkt auf die wachsende Sorge der Menschen ein, dass nationale Befugnisse an ungenügend legitimierte außerstaatliche Gremien abgegeben werden. Und es reagiert auf die Angst vieler vor dem Verlust an Rechtsstaatlichkeit und einer Übermacht der Konzerne. Die Bedenken werden nicht beiseite gewischt.

Freihandelsabkommen sind in ihrer Komplexität schwer überschaubar. Doch geht es hier nicht nur um ein Kommunikationsproblem für Politik und Wirtschaft. Ebenso darf den Gegnern nicht pauschal unterstellt werden, dass sie sich von einer nationalistischen Stimmung oder gar transatlantischen Antipathie tragen ließen. Eigenständige Gerichtsbarkeiten zum Beispiel werfen in der Tat Fragen auf – dass Karlsruhe sich da alarmiert zeigt, ist klar.

Breite Debatte in Gang gesetzt

Die Gegner haben eine seit dem Ausbruch des Agenda-2010-Konflikts nicht mehr erlebte breite gesellschaftspolitische Debatte in Gang gesetzt. Diese hat bereits zu deutlichen Verbesserungen des Vertrags mit Kanada geführt, diverse Einwände wurden berücksichtigt. So mag ein Teil der Kritik, die auf das völlig ungeliebte Pendant TTIP zielt, zu Unrecht jetzt Ceta treffen.

Das Exportland Deutschland ist auf den freien Warenverkehr mit dem Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen wie kaum ein anderes Land angewiesen. Wie er gestaltet werden soll, darüber muss aber offen geredet werden. Insofern hat dieses Verfahren nicht nur eine große politische und wirtschaftliche Bedeutung, auf dem Spiel steht auch die demokratische Kultur im Lande. Die Verfassungsrichter sehen vorerst die Zwänge der europäischen Verflechtung, nehmen aber zugleich die Herausforderung in aller Ernsthaftigkeit an.