Gewalt kann sich vielfältig äußern, nicht nur körperlich. Foto: Imago/Photothek/Thomas Trutschel

Sarah Knöffel und Elen Orth schreiten ein, wenn es zu gewaltsamen Konflikten kommt. Ziel ihrer Präventionsarbeit ist es aber, dass es in der Karl-Schubert-Gemeinschaft in Filderstadt von vornherein ruhig bleibt.

Filderstadt - Wo Menschen mit unterschiedlichen Biografien zusammenleben, können körperliche Übergriffe nie ganz ausgeschlossen werden – auch in den Einrichtungen der Filderstädter Karl-Schubert-Gemeinschaft kann dies vorkommen – sei es zwischen Klienten oder auch zwischen Klienten und Mitarbeitern. Oft steckt keine böse Absicht dahinter, oder der vermeintliche Übergriff ist schlicht der engen Zusammenarbeit geschuldet. Dennoch sollte sich freilich niemand belästigt fühlen. Sarah Knöffel und Elen Orth sind in der Karl-Schubert-Gemeinschaft, einer anthroposophischen Einrichtung für Menschen mit Behinderung, für Gewaltprävention zuständig. Ihr Ziel ist es, solche Situationen zu schlichten beziehungsweise sie im besten Fall gar nicht erst entstehen zu lassen.

Vor vier Jahren haben Sarah Knöffel und Elen Orth die Gewaltprävention in der Karl-Schubert-Gemeinschaft aufgebaut. Beide haben bereits vorher in der Einrichtung gearbeitet und sind mit jeweils zehn Prozent Stellenanteil in die neue Aufgabe gestartet. Vor etwa einem Jahr haben sie auf 20 und 40 Prozent aufgestockt. Sarah Knöffel ist vorrangig für die Mitarbeiter und Klienten im Werkstattbereich zuständig, Elen Orth kümmert sich um die Wohnbereiche und das ambulant betreute Wohnen.

Viele seien sexuell nicht aufgeklärt

„Man muss mit den Menschen anders reden, weil sie ein anderes Verständnis haben“, sagt Elen Orth. Die beiden Frauen arbeiten viel mit Bildern und Puppen. Sarah Knöffel lässt gerne Fotos beschreiben und fragt, was an der dargestellten Situation unangenehm sein könnte. „Das Problem ist, dass viele nicht sexuell aufgeklärt sind“, sagt Knöffel, „dann können sie gar nicht benennen, wo sie angefasst wurden, oder wissen nicht, dass es nicht okay ist, da angefasst zu werden“. Aufklärung sei erforderlich.

Grundsätzlich unterteilen Knöffel und Orth ihre Arbeit in Prävention und Intervention. Zum einen gibt es also die Aufklärungsarbeit und präventive Gespräche, die oft wiederholt werden müssen. „Wenn wir das nur einmal erzählen, ist es nach einem Vierteljahr wieder vergessen“, sagt Knöffel. Und zum anderen werden die beiden Frauen aktiv, nachdem schon etwas vorgefallen ist. „Wir nehmen jede Meldung ernst und untersuchen, was da passiert ist“, sagt Elen Orth. Sie führen Gespräche mit Klienten und Mitarbeitern und schalten wenn nötig jemanden von außen ein. „Wir schauen, ob psychiatrische, neurologische oder andere Hilfe notwendig ist“, sagt Sarah Knöffel, „wir fragen uns also, woran es liegen könnte, dass jemand immer wieder ausrastet oder in dem Moment so reagiert hat“.

In der Coronakrise haben die Klienten mehr Sorgen

Sarah Knöffel und Elen Orth arbeiten mit Fachberatungsstellen zusammen, organisieren Fortbildungen für Mitarbeiter und Kurse für Klienten. „Es ist auch ganz wichtig, den Mitarbeitern zu helfen und ihnen zu zeigen, dass sie zum Beispiel mit einem Übergriff nicht allein klarkommen müssen“, sagt Elen Orth.

Jede Form von Gewalt, sei es physisch oder psychisch, müsse gemeldet werden. Sonst drohe den Mitarbeitern, Helfern oder Busfahrern der Karl-Schubert-Gemeinschaft arbeitsrechtliche Konsequenzen. „So wissen die Klienten auch ganz genau, wo sie hingehen müssen“, sagt Orth. Sie findet es wichtig, dass sie und ihre Kollegin dem Thema Gewaltprävention ein Gesicht geben und sich als Ansprechpartner vor Ort zeigen.

Seit der Coronakrise sei die Arbeit anders geworden, erzählen die Frauen. Es gebe mehr Konflikte in den Gruppen, weil man enger aneinander gebunden sei. Außerdem kämen die Klienten vermehrt mit Sorgen auf die beiden Mitarbeiterinnen zu. „Sie haben Zukunftsängste und weinen oft“, sagt Knöffel. Dass sich die Menschen nicht mehr mit anderen treffen dürfen, sei auch eine Form von Gewalt. Viele leiden darunter, dass sie seit Corona unter anderen Umständen zu Mittag essen müssen. „Normalerweise gibt dieser Rhythmus Sicherheit, aber der ist jetzt weg“, sagt Knöffel, „und man muss sich im Speisesaal anders bewegen, weil überall der Abstand eingehalten werden muss, das ist mit einer körperlichen Einschränkung nicht so einfach“.

Jeder Gewaltausbruch habe eine Vorgeschichte

Insgesamt meint Sarah Knöffel, dass die Klienten zurzeit extrem viel leisten und gut mit der Situation umgehen. „Die Frage ist, wie es danach aussieht, wenn wir alle wieder langsam in die Normalität zurückgehen“, sagt Orth. Die beiden nutzen gerade die Zeit, um eine zweijährige Fortbildung zu machen. Diese soll helfen, einzelne Klienten und damit auch ihre Reaktionen besser zu verstehen. „Ein Gewaltausbruch hat immer eine Vorgeschichte“, sagt Knöffel. Das Ziel ist, so mit den Menschen zu arbeiten, dass es gar nicht erst zum Gewaltausbruch kommt.