Ohne Schutzhandschuhe läuft in diesem Jahr in Frankfurt gar nichts: Karin Schmidt-Friderichs bei der Eröffnung der Buchmesse. Foto: dpa/Arne Dedert

Reiseliteratur will zurzeit niemand lesen, anderes aber schon. Karin Schmidt-Friderichs, die Chefin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, blickt optimistisch über die von Corona demolierte Frankfurter Buchmesse hinaus.

Stuttgart - Vermutlich hat sich Karin Schmidt-Friderichs ihre erste Buchmesse als Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels etwas anders vorgestellt. Doch so leicht lässt sich die studierte Architektin nicht erschüttern, die über die Leidenschaft für schöne Bücher und ihren Mann, der ebensolche herstellt, in die Branche kam. Statik und Dynamik zusammenzudenken, fällt ihr nicht schwer.

 

Frau Schmidt-Friderichs, eigentlich müsste das Buch der große Gewinner der Krise sein, keimfrei, drinnen, sozialdistanziert. Ist das so?

Abgesehen davon, dass der Lockdown auch den Buchhandel getroffen hat, ist das Buch Krisengewinner. Ganz speziell, was mich sehr freut, das Kinder- und Jugendbuch. Die Leute haben in dieser Phase der Unsicherheit und der Schul- und Kita-Schließungen den Wert des Buches extrem zu schätzen gewusst und zusammen mit findigen Buchhändlerinnen trotz geschlossener Läden einen Vertriebsweg gefunden. Zu den Krisenverlierern zählt naheliegenderweise die Reiseliteratur.

Ihr Optimismus in Ehren, aber gab es nicht massive Einbrüche?

Natürlich ist nicht alles nur rosig. Doch wenn man das extreme Umfeld dieses besonderen Jahres berücksichtigt, ist die Buchbranche relativ gut über die Runden gekommen. Aber natürlich war das beispielsweise für Autoren eine schwierige Zeit. Sie leben nicht nur von den Honoraren, sondern von Lesungen. Und die gab es so gut wie nicht. Im digitalen Raum kam es zu tollen Initiativen, aber die lassen sich nicht in bare Münze wandeln. Da ist die Währung Aufmerksamkeit - auch schön, aber kein Ersatz.

Es sah ja schon vorher nicht rosig aus, der große Schock wegen des dramatischen Rückgangs von Buchkäufern liegt noch nicht lang zurück. Wie ist die Schadensbilanz der Corona-Krise für den Buchhandel?

Bei den Buchkäufen liegen wir im Moment noch 4,3 Prozent unter dem Vorjahr, wir waren aber unmittelbar nach dem Lockdown bei 14,9 Prozent. Wir arbeiten uns tapfer nach oben. Im Vergleich mit anderen Bereichen sind das gute Zahlen, immerhin hatten wir in Deutschland einen Totallockdown. Die Branche ist ja viel digitaler, als einem das vor Augen steht. Fast jede noch so kleine Buchhandlung hat heute einen Webshop. Das stimmt mich optimistisch, bei allen Problemen.

Der E-Book-Umsatz steigt, aber das nützt den Buchhändlern nur wenig, oder?

Die Buchhändler sind glücklicher über physische Verkäufe, das stimmt. Aber das E-Book ist inzwischen fester Bestandteil des Buchmarktes. Der E-Book-Umsatz ist im ersten Halbjahr um 17,8 Prozent gestiegen, allerdings bei einem Marktanteil von fünf Prozent.

Corona hat uns einen gesellschaftlichen Digitalisierungsschub verpasst, wie kommt das auf dem Buchmarkt an?

Ich beobachte, dass gerade vieles ausprobiert wird. Man feiert zur Buchpremiere Online-Partys. Neulich hatte ich zum ersten Mal mit einer Buchhändlerin einen Instagram-Livestream. Dieser Experimentiergeist wird bleiben, auch wenn wir die Pandemie einmal im Griff haben. Das ist einer der wenigen guten Nebeneffekte, dass sich die Branche kreativ und lösungsorientiert beweisen konnte.

Verändert dies die klassischen Formen des Buchmarkts?

Wir erleben eine Buchmesse, die deutlich anders wird als sonst. Alles was ich aus kleinen und großen Verlagen höre, ist eine große und tiefe Sehnsucht, sich im nächsten Jahr in Leipzig und Frankfurt wieder in gewohnter Weise leibhaftig treffen zu können. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschen, so wie sie wieder ins Theater strömen werden, auch wieder zu Lesungen kommen. Die digitalen Errungenschaften kommen zum Bewährten dazu, aber verdrängen es nicht.

Wenn bei der Messe das Geschäft ins Digitale abwandert, braucht man sie dann noch überhaupt?

Die Routinen und Gewohnheiten werden bleiben. Die Verlegerinnen klagen: Früher dauerte Frankfurt eine Woche, und die Woche davor fanden die großen Lizenzdeals statt, die auf der Messe dann vielleicht noch unterschrieben hat. Jetzt findet das alles neben dem normalen Tagesgeschäft statt, man steht für China zu einem Zeitpunkt auf und ist für New York dann immer noch da. Nichts deutet darauf hin, dass die Messe, wie wir sie kennen, verzichtbar wäre.

Als Lesefest hat sich die Frühjahrsmesse etabliert. Wird Frankfurt nun das neue Leipzig?

Frankfurt wird international bleiben und auch in Zukunft die durch Business charakterisierten Fachbesuchertage haben, anders als Leipzig. Am Wochenende war Frankfurt ja auch in den letzten Jahren immer schon eine Messe für das breite Publikum, sonst gäbe es ja nicht diese enormen Zahlen von 300000 Besuchern. Frankfurt hat einen eigenen Markenkern, die Buchbegeisterung des Publikums schließt Business an den anderen Tagen nicht aus.

Werden 2021 noch viele der kostbaren kleinen Verlage, die die deutsche Verlagslandschaft auszeichnen, am Start sein?

Wenn man auf den Buchhandel blickt, scheinen die kleinen Verlage die Krise in der Tendenz sogar etwas besser überstanden zu haben, als die großen. Aber es gibt da noch keine validen Zahlen. Ich habe das Gefühl, dass die kleinen Verlage ohnehin gewohnt sind, sehr schnell zu reagieren und unter anderen Konditionen zu arbeiten. Man kann nicht ausschließen, dass der ein oder andere Verlag nicht überlebt. Aber das war auch schon zu anderen Zeiten so. Die Widerstandskraft der Branche ist groß.

Info

Nach einem Architekturstudium in Stuttgart hat Karin Schmidt-Friderichs (59) gemeinsam mit ihrem Mann den Verlag Hermann Schmidtgegründet. Seit letztem Jahr ist sie Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Zuvor hat sie den Berufsbildungsausschusses des Börsenvereins geleitet, von 2011 bis 2016 war sie Vorstandsvorsitzende der Stiftung Buchkunst.