Beim „Über Kunst“-Gespräch: Die Konzeptkünstlerin Karin Sander – befragt von Nikolai B. Forstbauer, Autor unserer Zeitung Foto: Steffen Schmid

Näher dran an herausragenden Persönlichkeiten der Kunst: Dies ermöglicht unsere Gesprächsreihe „Über Kunst“. Jetzt gab die Künstlerin Karin Sander in der Staatsgalerie Einblicke in ihre Arbeit und ihr Denken.

Stuttgart - Für Karin Sander ist es eine Rückkehr an einen Ort früheren Wirkens. Am Donnerstagabend spricht sie mit Nikolai B. Forstbauer, Titelautor unserer Zeitung, in der Stuttgarter Staatsgalerie. 2002 zeigte sie dort ihre Ausstellung „Museumsbesucher 1:9“, lud Besucher ein, sich vor Ort in einen 3-D-Bodyscanner zu begeben, nach dessen Daten Skulpturen angefertigt wurden.

Professorin an der ETH in Zürich

Karin Sander, geboren 1957 in Nordrhein-Westfalen, Absolventin der Stuttgarter Kunstakademie, arbeitete 1989 und 1990 in New York, war Stipendiatin der Akademie Schloss Solitude. Früh lehrend, wurde sie 1999 Professorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, hat nun den Lehrstuhl für Architektur und Kunst an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.

Mehr als 100 Besucherinnen und Besucher

Am Donnerstag blickt Karin Sander heiter in den prominent besetzten Vortragssaal der Staatsgalerie. „Ich sehe diese Räume sehr gerne wieder“, sagt sie. Im Gespräch gibt sie vor allem Einblicke in ihr Denken, die Prozesse, die ihrer Arbeit zugrunde liegen, zudem in ihre Lehrtätigkeit. Die Kunst der Karin Sander, dies wird ganz klar, will ihre Betrachter miteinbeziehen, sie einladen, auffordern, sich zu positionieren, eigene Blickwinkel zu entdecken.

„Kunst transferiert Bilder in andere Vorstellungen“

Spiegelungen, Verschiebungen und Verdoppelungen durchziehen ihr Werk. „Kunst“, sagt sie, „schafft Bilder; sie arbeitet mit der Wirklichkeit, transferiert sie auf andere Ebenen, in andere Vorstellungen. Das ist es, was sie ausmacht.“

Position der humorvollen Beobachterin

Karin Sanders Blick ist dabei stets der einer aufgeschlossenen, humorvollen Beobachterin. Etwa, wenn sie von ihrer Schau 2002 in der Staatsgalerie spricht. Gudrun Inboden, damals Leiterin der Abteilung für zeitgenössische Kunst, hatte sie eingeladen. Eingesetzt wurden Bodyscanner, die Daten in bis dahin unerreichter Dichte lieferten und erstmals die Fertigung von Körperskulpturen in 3-D-Druckern ermöglichten.

Sander verschob mit ihrem Projekt den traditionellen Begriff der Werkstatt. „Für mich“, sagt sie, „ war es wichtig, kaum Hand anzulegen. Ich habe ein Verfahren zur Verfügung gestellt, das die Personen, die die Ausstellung besuchten, für sich nutzen konnten.“ Ihr Vorschlag: Man solle die so entstandenen Skulpturen als Selbstporträts der Besucher verstehen.

Zugleich lud Sander die Galerie Mueller-Roth in der Stuttgarter Christophstraße dazu ein, für zwei Monate in ihrem Atelier zu arbeiten, stellte ihr die eigenen Archive zur Verfügung, während die Räume der Galerie auf andere Weise genutzt wurden. Zeigt sich hier eine mehrfache Umkehrung von Verhaltensweisen, ein Spiel mit den Hierarchien des Systems Kunst? Karin Sander sieht sich auch hier eher als Beobachterin.

Große Ausstellung im Kuntmuseum Winterthur bis zum 18. November

Die Einladung, der Betrachter, der als Künstler aktiviert wird, sein Blick, seine Perspektive – dies sind Momente, die auch in der Ausstellung wiederkehren, die Sander aktuell noch bis zum 18. November im Kunst Museum Winterthur zeigt. Dort gibt sie Besuchern die Möglichkeit, die Gestaltung eines ganzen Raumes mitzubestimmen, der als Gästebuch fungiert: Sie dürfen notieren, malen – auf Blätter, die dann zwischen zwei Glasplatten gefügt und von ihnen selbst gehängt werden.

Verführung mit Obst und Gemüse

Sander nutzt die bewusst provisorische Architektur von Gigon und Guyer in Winterthur, um den Besuchern ein Bewusstsein ihrer Position im Raum zu geben. Sie führt mit Obst und Gemüse, das an die Wände genagelt wurde, durch die Räume, stellt dem klassischen Stillleben mit diesen „Kitchen Pieces“ das natürliche gegenüber, erweitert die Ausstellung um ein virtuelles, nicht vollständig deckungsgleiches Double und um Geschichten, die sie von zwei Kriminalautoren verfassen ließ.

Das Konzept: Ideen aufladen

Vor Fensterflächen spannt Karin Sander im Außenraum Leinwände auf, die sie von der Witterung zeichnen lässt; sie versendet Bilder, die erst durch Poststempel zu ihren Werken werden, schafft – wie auch als Teil der Sammlung in der Staatsgalerie – hochpolierte Flächen, in denen sich das Publikum spiegelt. Inwiefern möchte sie damit an die Konzeptkunst der 1960er Jahre anknüpfen? „Es ist nicht wichtig, wer etwas ausführt“, sagt sie. „Aber zunächst muss eine Idee vorliegen, der in der Ausführung noch etwas hinzugefügt, die dabei aufgeladen oder in etwas anderes übersetzt wird.“

„Transzendenzaufzug“ schießt in den Himmel

Hat all dieses auch mit Humor zu tun? Die Idee, die Karin Sander als Kunst am Bau an der Kunstuniversität Linz umsetzen ließ, besaß zunächst einmal praktischen Charakter. Von Architekten angehalten, nur geringfügig in das Gebäude selbst einzugreifen, entwarf sie den „Transzendenzaufzug“, der nun aus dem Universitätsinneren scheinbar ziellos in die Höhe führt. Ausgangspunkt ist ein Lastenaufzug, unentbehrlich für die Studierenden. „Ich wollte dieses Bild durch die Decke in den Himmel hinausschießen lassen“, sagt sie. Und um den Studierenden in Linz noch mehr als den Weitblick auf die Donau in die Hand zu geben, ließ Karin Sander ihren „Transzendenzaufzug“ mit modernster Technik zur Präsentation von Kunst in luftiger Höhe ausstatten. „Kreative Tools“, wie sie sagt.

Lehre und künstlerische Arbeit durchdringen sich

Seit 2007 lehrt Karin Sander das Fach Architektur und Kunst an der ETH Zürich. Dort erlebt sie „ein Ineinandergreifen künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit“. In Sanders Lehrtätigkeit spiegelt sich, nahezu konzeptionell, ihre Arbeit als Künstlerin: Den Studierenden möchte sie, wie den Besuchern ihrer Ausstellungen, ein Bewusstsein ihrer eigenen Möglichkeiten, ihres Blickes geben.

Kunst als Einladung

„So wie man arbeitet“, sagt sie, „so lehrt man auch.“ Und: „Das Lehren hat mir gezeigt: Wenn man über Dinge spricht, dann merkt man erst, wie viel man weiß und auch weitergeben kann.“ Ihre Arbeit in Zürich sieht sie auch als Impuls. Die Hochschulen, sagt sie, müssten sich beständig ändern, um zu bleiben, was sie sind. Der Weitblick, den sie in Linz anbietet, öffnet Horizonte. Auf die Frage, welche Wahrnehmungsebene des „Transzendenzaufzuges“ ihr die wichtigste sei, antwortet Karin Sander schlicht: „Die Aussicht ist fantastisch“ – und lädt, mit gewinnender Heiterkeit, nicht nur Studierende ein, an ihr teilzuhaben.