Karin Grafmüller gewöhnt sich langsam an die neue Freiheit. Foto: Judith A. Sägesser

Mehr als 18 Jahre hat Karin Grafmüller die Fritz-Leonhardt-Realschule in Stuttgart-Degerloch geleitet. Nun beginnt ein neues Kapitel für sie.

Degerloch - Bisher kam kein Anruf. Karin Grafmüller hatte den Kollegen gesagt, dass sie sich melden können, wenn es noch eine offene Frage gibt. Aber offenbar kommen sie zurecht – ohne Karin Grafmüller. An den Gedanken muss man sich erst gewöhnen: die Fritz-Leonhardt-Realschule in Degerloch ohne die Rektorin Karin Grafmüller. Sie selbst ist mittendrin, sich damit zu arrangieren. Auch wenn der Kopf es genau so wollte, hinken die Gefühle hinterher.

Umzug von Möhringen nach Bisingen

Die 63-Jährige sitzt in einem Café in Tübingen, während sie erzählt, wie es ihr als Neu-Ruheständlerin geht. Dass sie es genießt, morgens länger zu schlafen, vormittags durch die Stadt zu bummeln, abends in die Oper zu gehen, zum Schulstart eine Woche in Stralsund zu urlauben. Karin Grafmüller zieht gerade von ihrer Wohnung in Möhringen zu ihrem Mann ins gemeinsame Nest nach Bisingen nahe der Burg Hohenzollern.

Vor zehn Jahren hatten sich die beiden dort ein Haus gekauft, doch Karin Grafmüller wollte nicht nach Degerloch pendeln. Also haben sie eine Wochenendbeziehung geführt. Mehr Zeit miteinander zu haben, war ein Grund dafür, dass Karin Grafmüller schon vor Längerem entschieden hatte, vorzeitig aufzuhören. Auch wenn sie finanzielle Abzüge in Kauf nehmen muss. „Aber Sie können Geld ja nicht essen“, sagt sie.

Nun ist der räumliche Abstand zur langjährigen Arbeitsstätte genau das Richtige, um loszulassen. Etwas mehr als 18 Jahre war sie die Rektorin der Fritz-Leonhardt-Realschule in Stuttgart-Degerloch. „Manchmal kann ich es gar nicht glauben. Wo ist die Zeit geblieben?“, fragt sie in den Raum. Wenn Karin Grafmüller über die Schule spricht, die Nachmittagsbetreuung, die sie aufgezogen hat, die Vorteile dieser Schulart, dann ist sie sofort wieder im Rektorinnen-Modus. Sie sagt, sie habe ihren Job immer gern gemacht. „Man kann was bewirken in diesem Beruf.“ Deshalb erinnert sie sich gern an die Schulfeste, die gleichzeitig riesige Ehemaligen-Treffen waren. Da haben sie und die Kollegen die Früchte ihrer Arbeit bestaunen können.

Das einzige Kind aus der Familie, das aufs Gymnasium ging

Karin Grafmüller stammt aus dem Südbadischen. Sie war eines von fünf Kindern und das einzige, das aufs Gymnasium gegangen ist. Der Vater war Elektromeister, die Mutter Hausfrau, die Familie hatte etwas Landwirtschaft: zwei Schweine, ein Getreide- und Kartoffelfeld, einen Spätburgunder-Weinberg. Letzterer gehört jetzt Karin Grafmüller. Das sei auch für den Nachwuchs viel Arbeit gewesen. „Ich war aber privilegiert, ich durfte mich um die Schule kümmern.“

Nach dem Studium war ihre erste Stelle an der Schickhardt-Realschule. Eine Zeit war sie nebenher in der Lehrerausbildung in Reutlingen tätig. Allerdings habe sie sich zerrissen gefühlt – und sich letztlich für die Schule entschieden. Es folgte die Konrektoren-Stelle in Ostheim, wo sie schon ihr Referendariat gemacht hatte. Und dann schließlich Degerloch für fast zwei Jahrzehnte.

Kein rauschendes Abschiedsfest wegen Corona

Unter normalen Umständen hätte es zu ihrem Abschied im Juli sicher ein rauschendes Fest gegeben. Doch wegen Corona fiel es klein aus. Als sie dann an ihrem letzten Tag die Schule verließ, ratterte es in ihrem Kopf: „Habe ich an alles gedacht?“ Auch deshalb hat sie den Kollegen gesagt, dass sie erreichbar sei. Das Problem: Zu dem Zeitpunkt war ihre Stelle noch unbesetzt. Inzwischen gibt es eine Nachfolgerin: Bettina Hofmann.

Nach einer Zeit des Abstands möchte Karin Grafmüller die Fritz-Leonhardt-Realschule unbedingt wieder besuchen. „Ich möchte vor allem sehen, was aus dem neuen Technikraum geworden ist.“ Das hatte sie schließlich mit vorangetrieben. Aber einfach so werde sie nicht an der Schule auftauchen. „Wenn jemand kommt, der nicht angemeldet ist, dann stört man eher“, sagt sie aus Erfahrung. Ob das wirklich auch für eine Karin Grafmüller gilt?