Rudolf Bopp (links) und Detlef Weik Foto: Lichtgut/Ines Rudel

Das Sprichwort „Scherben bringen Glück“ kann die Kunden von Detlef Weik nicht trösten. Sie kommen in seine Porzellanwerkstatt, damit der 53-Jährige aus ihren Scherben wieder etwas Ganzes macht. Sei es, weil das zerbrochene Stück wertvoll ist oder weil Erinnerungen daran hängen.

Stuttgart - „Die Scherbe“, so heißt die Werkstatt von Detlef Weik in Kemnat. Kein Wunder also, dass auf der Werkbank des gelernten Zahntechnikers unzählige Scherben liegen: Derzeit sind es Entenköpfe, Entenflügel, gefiederte Körper. „Das krieg’ ich auch noch hin“, stellt Weik fest. Die Scherben hat ihm ein Ehepaar vorbeigebracht. Die beiden sammeln seit Jahrzehnten Enten und Gänse. Alles aus Porzellan – von Meißen, Rosenthal, Heubach, ENS. Kleine und große Enten und Gänse, antike Raritäten, aber auch Schnäppchen vom Flohmarkt. Und dann ist sie passiert, die Katastrophe: Der oberste Regalboden mit den Sammlerstücken ist durchgebrochen, auf den unteren gekracht. Die darunter liegenden Regalböden sind ebenfalls gebrochen – und von den Enten und Gänsen war nur noch ein Haufen Scherben übrig. Mittlerweile schnattern die meisten wieder in einem sichereren Regal in der Wohnung der Sammler. „Etwa 60 Vögel sind bereits heil. Jetzt sind noch ein paar Nachzügler dran“, sagt Weik. Die Sammler sind begeistert: Mit jeder Figur verbinden sie besondere Erlebnisse. Dass die Reparatur der Erinnerungen mit rund 6000 Euro zu Buche schlägt, schmerzt weit weniger, als es der Verlust der Sammlung getan hätte.

Doch es sind nicht nur die großen Aufträge, die den Arbeitstag des Porzellanchirurgen bestimmen. In seiner Werkstatt liegen der sauber in zwei Teile zerbrochene Kuchenteller, der Bierkrug mit Riss, das Weinglas mit kaputtem Rand, die Puppe mit eingeschlagenem Porzellankopf, die Kaffeekanne mit abgerissenem Henkel: alles Stücke, an denen die Besitzer hängen, weil die Teile seit langem im Besitz der Familie sind und mit Erinnerungen an die Eltern und Großeltern, liebe Freunde oder den verstorbenen Partner verbunden sind. „Ich rate oft von der Reparatur ab, weil sie mehr kostet, als das Stück wert ist“, stellt der 53-Jährige fest – und kennt die Antwort seiner Kunden im Voraus: Sie lassen ihre Schätze trotzdem reparieren. Auch die Kundin, die für 60 Cent eine Mokkatasse auf dem Flohmarkt erstanden hat, will sie für 60 Euro restaurieren lassen – einfach, weil sie Tasse so hübsch findet.

Die Kosten für die Reparatur richten sich nach dem Arbeitsaufwand: Zunächst werden die Bruchkanten der Scherben gesäubert. Viele Kunden haben zuvor versucht, die Teile mit Uhu zusammenzukleben – was die Sache erschwert. Danach werden die Scherben mit Spezialglasur zusammengefügt. Fehlen Teile, werden sie aus keramischer Masse nachmodelliert. Anschließend geht’s ab in den Brennofen. Porzellan wird bei etwa 850 Grad gebrannt. Die Temperaturen für Keramik liegen drunter. Nach dem Brennen werden die Reparaturstellen „verschliffen“ und eventuell bemalt. „Ein wenig gezittert“ haben Weiks Hände, als er eine Vase restaurierte, die einst König Wilhelm in der Porzellanmanufaktur Ludwigsburg zusammen mit einer weiteren Vase anfertigen ließ.

„Ich habe sie zusammen mit ihrem nicht kaputten Gegenstück auf 150 000 Euro geschätzt“, sagt Weik. Damit lag er völlig daneben: Kaum war die Vase restauriert, holte sie ein Mitarbeiter des Auktionshauses Christie’s zur Versteigerung ab. „Beide Vasen wechselten für insgesamt 900 000 Euro den Besitzer“, erinnert sich Weik. 5000 Stücke hat er im vergangenen Jahr restauriert, auch die hüfthohe Madonna ohne Hand, die ihm der Angehörige einer Glaubensgemeinschaft aus den USA gebracht hat. Die Hand ist längst wieder dran, die 2000 Euro für die Reparatur sind in der Kasse – und die Madonna ist immer noch da. „Die müssen sie vergessen haben, und eine Adresse habe ich nicht“, sagt Weik.

Was er noch nie gesehen, geschweige denn repariert hat, stellt ihm Rudolf Bopp auf den Tisch. Der 53-jährige EDV-Experte sammelt alte Radios. Vor kurzem aufgetrieben hat er ein Rondo-Ponti-Gerät, das in den 50er Jahren in einer Firma aus Bonlanden hergestellt worden ist. Das Besondere daran: Die Technik steckt in einem Keramiktopf mit Deckel. „Leider ist ein Stück Keramik aus dem Deckel gebrochen. Das ärgert mich“, sagt Bopp und will es richten lassen. Auch das kriegt Weik hin: Die Frage ist nur, ob die Reparatur so ausgeführt werden soll, dass sie nicht sichtbar ist. Oder ob man sie sehen darf. Das ist eine Preis- und eine Einstellungssache.Weik hält es mit den Japanern: Geht ihnen Geschirr für ihre Teezeremonie kaputt, wird in die Bruchstelle sichtbar Silberdraht eingefügt. „Das zeigt, dass ihnen die Stücke so viel wert sind, sie reparieren zu lassen, statt einfach was Neues zu kaufen“, sagt er. Rudolf Bopp will sich noch überlegen, ob auch er es wie die Japaner hält.

Und Weik? Er hat noch nie bereut, vor zehn Jahren den Beruf gewechselt zu haben. Denn wenn er den Satz sagt, den seine Kunden hören wollen, blickt er in glückliche Gesichter. Auch Lori Bond strahlt, als Weik versichert: „Das kriegen wir schon wieder hin.“ Sie hat ihm eine Hebamme mit abgebrochenem Baby gebracht. An ihr hängt sie, weil sie selbst Hebamme ist und die Figur ein Geschenk zur bestandenen Prüfung war.

In Hamburg gibt es gleich mehrere Porzellanwerkstätten. In der Region Stuttgart sind sie dagegen selten. Außer Detlef Weiks „Die Scherbe“, Neidlinger Straße 6a, 73760 Kemnat (Ostfildern), Telefon: 07 11 / 47 05 99 33, gibt es zum Beispiel in 73269 Hochdorf bei Esslingen die Porzellanwerkrestaurierung Hess, Kirchstraße 12, Telefon: 0 71 53 / 95 87 97.