David Castiglione am Freiberger Bahnhof: Seit er auf den Lift angewiesen ist, weiß er erst, wie wichtig er ist. Foto: factum/Weise

Sie sind dreckig, störanfällig und ohnehin die meiste Zeit kaputt: so nehmen viele Pendler die Aufzüge an Bahnhöfen wahr. Ein Mann aus Freiberg will das nun ändern – und hofft auf Unterstützer.

Ludwigsburg - Wer die Einsatzberichte der Freiwilligen Feuerwehr Freiberg studiert, stößt dabei auf ein wiederkehrendes Muster: 4. September: Eine Frau bleibt mit ihrem Kind im Aufzug am Bahnhof stecken. 17 Feuerwehrleute rücken an, um sie zu befreien. Ähnliche Vorfälle gibt es am 27. August, am 23. August, am 20. August und am 12. August. „Das ist leider ein Dauerzustand“, hat David Castiglione festgestellt. Der 30-Jährige pendelt täglich von Freiberg nach Backnang zur Arbeit. Im Dezember ist sein Sohn Dante geboren, während der Elternzeit war er wegen des Kinderwagens auf funktionierende Aufzüge angewiesen – stand allerdings immer wieder vor defekten Lifts.

Deswegen hat Castiglione Ende August eine Online-Petition ins Leben gerufen. Sie fordert von der Bahn funktionsfähige Aufzüge im Kreis Ludwigsburg. „Dadurch will ich auf das Thema aufmerksam machen. Mit mehr Leuten hat meine Beschwerde mehr Aussagekraft“, sagt Castiglione. Denn seine bisherigen Reklamationen bei der Bahn fruchteten nicht.

Sogar der Kommandant ist ratlos

Thomas Jetter, der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr kann sich die Häufung der Einsätze nicht erklären: „Lange Jahre hatten wir keine Probleme und jetzt mussten wir innerhalb von zwei Monaten sechs Mal ausrücken.“ Teilweise habe auch der Rettungsdienst anrücken müssen: Weil sich das Innere der Aufzüge im Sommer derart aufgeheizt habe, seien darin eingesperrte Menschen fast kollabiert. Jetter macht der Bahn keine Vorwürfe, sie sei kooperativ und habe der Feuerwehr auch den Schlüssel für den Schaltschrank gegeben. „Aber uns wäre es recht, wenn die Bahn das selbst in den Griff bekommt“, sagt der Kommandant, der weiß, dass Freiberg mit seinen Aufzugssorgen nicht allein ist. Ein Trost ist das natürlich keiner.

In Ditzingen, zum Beispiel, ließe sich eine ähnlich lange Liste mit Einsätzen aufstellen wie in Freiberg. Ende August gelang es allerdings nicht einmal mehr dem Servicetechniker der Bahn, den auf halber Höhe stecken gebliebenen Aufzug abzusenken. Die in der Kabine feststeckenden Kinder konnten zum Glück hinaus springen, nachdem die Feuerwehr die Tür gewaltsam geöffnet hatte. Große Probleme hatte auch eine Rollstuhlfahrerin, die Anfang September aus der S-Bahn rollte, dann aber auf dem Bahnsteig festsaß. Sie habe die Störungsnummer angerufen – und den Hinweis bekommen, dass kein Techniker verfügbar sei. Letztlich half der Frau ein anderer Reisender: Ihm gelang es die klemmende Aufzugstür manuell zuzudrücken, so dass sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung setzte. Immerhin: Die Bahn hat sich bei der Rollstuhlfahrerin entschuldigt.

Aufzüge sind besonders für Menschen mit Einschränkungen wichtig – ist ein Aufzug defekt, ist der ganze Bahnhof nicht mehr barrierefrei benutzbar. Gerade Rollstuhlfahrer können dann nur mit großen Aufwand ihre Bahn erreichen – oder müssen eine Station weiter fahren, weil dort die Aufzüge funktionieren. Der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung beklagt dieses Problem schon seit Jahren als „unendliche Geschichte“. Aus genau diesem Grund hat Stadt Ludwigsburg vor drei Jahren ihre Aufzüge an der Fußgängerbrücke beim Busbahnhof – dem Francksteg –wieder in Betrieb genommen.

Im Inneren des Bahnhofs stand die Modernisierung der drei störanfälligen Lifte an – was dazu geführt hätte, dass für die Zeit der Bauarbeiten gar keine Aufzüge betriebsbereit gewesen wären. Nach landläufiger Beobachtung sind die inzwischen neuen Aufzüge noch immer in regelmäßigen Abständen defekt. Fragt man jedoch bei der Stadt nach, zeigt sich ein anderes Bild: Die Aufzüge seien zuletzt „weitgehend reibungslos“ gelaufen. Störungen oder Beschädigungen seien die Ausnahme.

Der Fahrgastverband beklagt zu viele Modelle

Das Thema defekte Aufzüge beschränkt sich jedoch nicht auf den Kreis Ludwigsburg. So gibt es Berichte von defekten Aufzügen an den Haltestellen Universität und Österfeld in Stuttgart, Befreiungseinsätzen in Fellbach im Rems-Murr-Kreis oder Zuständigkeitswirrwarr in Leinfelden im Kreis Esslingen. Auf einer Internetseite der Deutschen Bahn werden alle Aufzüge auf einer Karte angezeigt. Dort sind derzeit alle Aufzüge im Kreis Ludwigsburg funktionsfähig. Defekte gibt es etwa in Zuffenhausen, Esslingen, Schorndorf oder in Stuttgart-Vaihingen. Das Kuriose: Als die Aufzüge in Freiberg am Neckar defekt waren, tauchten sie auf der Karte gar nicht auf.

Karl-Peter Naumann, der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, sieht darin auch ein systemisches Problem: Für Vandalismus könne die Bahn nichts, sehr wohl aber dafür, dass es zu viele verschiedene Aufzugsmodelle gebe. „Da fehlt es an guter Standardisierung“, sagt Naumann. Einer Liste der Bahn zufolge, auf der alle ihre Aufzügen aufgeführt sind, unterhält das Unternehmen deutschlandweit Lifts von mehr als 70 Herstellern.

Im Raum Stuttgart betreibt die Bahn eigenen Angaben zufolge 96 Aufzüge an 93 Bahnhöfen. Ein Live-Überwachungssystem soll gewährleisten, dass der für die Reparatur zuständige Mitarbeiter der Bahntochter DB Service schnellstmöglich vor Ort ist, falls ein Aufzug ausfällt. „90 Prozent aller Störungen im Raum Stuttgart lassen sich innerhalb eines Tages beheben“, sagt ein Bahnsprecher. Dazu gehörten Türstörungen oder defekte Elektronikmodule. Wer im Aufzug feststecke, werde über die Notruftaste mit der Leitstelle verbunden, die wiederum einen Monteur schickt.

Doch hier steckt der Teufel im Detail: Gilt die Gewährleistung noch, ist es der Hersteller, der den Monteur schicken muss. Ist sie abgelaufen, muss die Bahn ran. Die Feuerwehr werde von der Bahn nicht verständigt, sagt der Bahnsprecher. Was er nicht sagt: Sie hat auch kein Interesse daran. Denn die Feuerwehrleute schlagen in Ermangelung eines Schlüssels häufig einfach die Scheiben ein, um die Menschen aus dem Aufzug zu bekommen.

Die Aufzüge sollen nach 15 Jahren ausgetauscht werden

Die Bahn erfasst auch die Verfügbarkeit der Aufzüge statistisch. So war der Aufzug am Freiberger Bahnhofseingang in diesem Jahr in 82,4 Prozent der Fälle einsatzbereit. In Ludwigsburg schwanken die Werte je nach Aufzug zwischen 87 und 98 Prozent. Und in Ditzingen waren es 97,5 beziehungsweise 95,5 Prozent. Das selbst auferlegte der Ziel der Bahn sind 97 Prozent.

Womöglich gibt es wenigstens für das Freiberger Aufzugsproblem bald eine Lösung, jenseits von David Castigliones Petition. Laut der Bahn sollen Lifte nämlich nach 15 Jahren ausgetauscht werden. Die in Freiberg haben das Baujahr 2003.