Angela Merkel. Foto: dapd

Die CDU-Chefin über Macht und Moral und warum es sich einfach gut leben lässt im Südwesten.

Berlin - Im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten weist Kanzlerin Angela Merkel Vorwürfe zurück, sie habe in der Affäre um den zurückgetretenen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Fehler gemacht. Sie erklärt, warum sie so lange an ihm festgehalten hat.

 Frau Merkel, wie erklären Sie die Wucht und Hitzigkeit, mit der in der Causa Guttenberg zwei Lager miteinander stritten?

Da sind zwei Empfindungen aufeinandergeprallt. Zum einen war Karl-Theodor zu Guttenberg ein außerordentlich populärer Minister, der die Menschen auf eine ganz eigene Art ansprechen konnte. Mit dieser Art, Politik zu machen, hat er die Herzen erobert und viele Bürger auch wieder neu für Politik interessiert. Andererseits wissen wir alle, dass bei einer Doktorarbeit wichtige Maßstäbe zwingend einzuhalten sind und es war unstrittig, dass er da Fehler gemacht hat. Seine Fehler hat er zugegeben, er hat sie bedauert, er hat auf seinen Doktortitel verzichtet. Dessen ungeachtet war er ein ausgezeichneter Minister, zumal seine wissenschaftlichen Fehler nicht mit seinem Amt in Verbindung standen.

Das Guttenberg-Lager spricht von einer Hatz gegen den Minister. Sehen Sie ihn auch als das Opfer einer Hetzjagd?

Karl-Theodor zu Guttenberg sah keine Möglichkeit mehr, sein Ministeramt mit der nötigen Kraft auszuüben, die er für dieses schwere Amt brauchen würde. Diese Entscheidung musste ich akzeptieren, und ich habe sie schweren Herzens akzeptiert. 

"Geben wir Guttenberg die Möglichkeit, Abstand zu finden"

Ist eine Rückkehr abhängig von den Ergebnissen der Universitären oder staatsanwaltschaftlichen Prüfungen?

Warten wir alle Klärungen und Prüfungen ab und geben wir Karl-Theodor zu Guttenberg auch einmal die Möglichkeit, Abstand zu finden von den Geschehnissen. Danach wird man sehen, ob Karl-Theodor zu Guttenberg eines Tages wieder Lust und Elan zur politischen Arbeit hat. Die Türen zur Politik sind ihm jedenfalls aus meiner Sicht nicht verschlossen.

Haben Sie Fehler gemacht? Es gab Ihren Satz, Sie hätten Guttenberg ja nicht als wissenschaftlichen Assistenten oder Promovierenden berufen, sondern als Minister. Würden Sie sagen, dass diese Äußerung zu salopp war, weil sie im Wissenschaftsbetrieb provozieren musste?

Nein, denn ich war ja selbst viele Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin, mein Mann ist heute noch in der Wissenschaft. Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich sage, dass die Tätigkeit als Minister nicht zu vergleichen ist mit der Arbeit als Doktorand oder der eines wissenschaftlichen Mitarbeiters. Das ist keine Abwertung, sondern schlicht die Beschreibung zweier verschiedener Berufsbilder, nicht mehr und nicht weniger. Diese Unterscheidung können die Wissenschaftler ruhig mit Selbstbewusstsein hinnehmen, meine Hochachtung vor ihrer Arbeit steht doch wirklich nicht in Frage.

Es konnte der Eindruck entstehen, da wurde kühl abgewogen zwischen den Verletzungen von Werten, für die Bürgerliche in besonderer Weise stehen, und der politischen Zukunftsversicherung der Union, für die Guttenberg stand. Eine Abwägung also zwischen Macht und Moral?

Ich habe abgewogen zwischen Fehlern und Leistungen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass Karl-Theodor zu Guttenberg, der ein hochbegabter Politiker ist, sich als Verteidigungsminister bewährt hatte. Mir ging es um die zentrale Frage, ob seine unbestreitbaren Fehler, derentwegen ihm der Doktortitel aberkannt wurde, seine weitere Amtsausübung negativ beeinflussen oder sie gar unmöglich machen würden. Seine Dissertation ist Teil eines früheren, von der Ministertätigkeit völlig getrennten Lebensabschnitts. Für die Fehler im Zusammenhang mit seiner Dissertation ist ihm der Doktortitel aberkannt wurden, er trägt also dieselbe Konsequenz wie jeder andere in vergleichbarer Lage. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass er sein Amt als Bundesverteidigungsminister weiter ausüben konnte, bis er mich am Dienstag schließlich bat, ihn aus dem Amt zu entlassen.

Warum sagen Sie nicht: Da ist etwas passiert, von dem ein Bürgerlicher sagen muss - das tut man nicht und das disqualifiziert grundsätzlich für ein Ministeramt?

Weil ich der Auffassung bin, dass er weiter ein guter Minister hätte sein können. Es ging nicht darum, ob Karl-Theodor zu Guttenberg ein guter Wissenschaftler ist. Auf diesem Gebiet muss er die schmerzlichen Folgen seines fehlerhaften Verhaltens zu Recht tragen, und zwar wie jeder andere auch. Der Doktortitel ist aberkannt, in der akademischen Welt ist das eine große Belastung. Dem gegenüber steht für mich als Bundeskanzlerin seine wertvolle Arbeit für die Bundeswehr, die begonnene Bundeswehrreform, sein Engagement für die Soldaten, seine klaren Worte zum Afghanistaneinsatz - das alles bleibt richtig und wichtig, und das zählt für mich in der politischen Bewertung. Mit seiner Auffassung einer modernen Bundeswehr hat Karl-Theodor zu Guttenberg sich um unser Land verdient gemacht. Wie groß dieses Verdienst ist, wird vielen vielleicht erst später bewusst werden. Das zählt für mich in der Abwägung von Fehlern und Leistungen. 

"Für die CDU geht es am 27. März um die Zukunft ihres Landes"

 Schauen wir auf den spannenden Wahlkampf im Südwesten. Was sagen Sie den durch den ganzen Trubel stark verunsicherten Stammwählern der CDU?

Am 27. März geht es um die Zukunft ihres Landes, das eine absolute Spitzenstellung in Deutschland hat und sie behalten muss. Deshalb spreche ich mit den Wählern über die Schlüsselthemen für eine erfolgreiche Zukunft: Bildung und Forschung. Der Südwesten hat eine Reihe von Spitzenuniversitäten, viele prominente Forschungseinrichtungen. Die CDU hat das immer voran getrieben, und das muss so bleiben. Und natürlich spreche ich auch über die Infrastruktur, die wir für eine gute Zukunft brauchen.

Und schon sind wir bei Stuttgart 21.

Ja, aber nicht nur. Da ist vieles zu nennen: andere Bahnstrecken, Pumpspeicherkraftwerke, Trassen für Hochspannungsleitungen - alles notwendige Infrastruktur-Investitionen, die Baden-Württembergs Wohlstand sichern und doch beinahe alle politisch umkämpft sind. Das Land hat die niedrigste Arbeitslosigkeit, großartige Pisa-Ergebnisse, es lebt sich hier einfach gut. Das ist ein Verdienst der Union. Und dann ist da noch der solide Haushalt...

A propos, Ministerpräsident Stefan Mappus will den Länderfinanzausgleich ändern...

...und er hat Recht, wenn er sagt, dass der Länderfinanzausgleich nicht dazu führen darf, dass der Südwesten für andere Bundesländer Dinge finanziert, die sich Baden-Württemberg selbst nicht leisten kann. Ab 2014 wird der Haushalt ausgeglichen sein. All das sind Leistungen und Erfolge, für die unsere Wähler zu begeistern sind. Sie finden es auch gut, dass wir in der Schulpolitik eine klare Haltung zeigen. Wir wollen keine Einheitsschule.

Hat das lange politische Gezerre um die Hartz-IV-Regelsätze der Union geschadet?

Im Gegenteil. Ich spüre bei meinen Wahlkampfauftritten, dass gerade im Südwesten unser Grundsatz verstanden wird, dass Leistung auch anerkannt werden muss. Wer arbeitet, muss mehr haben als wenn er nicht arbeitet. Wir wollen, dass Kinder von Langzeitarbeitslosen gerechte Chancen im Leben bekommen. Dafür tun wir mit Ursula von der Leyens Bildungspaket jetzt eine Menge. Aber Hartz IV muss immer eine Brücke zurück in die Arbeitswelt sein und nicht ein Zustand, in dem man sich dauerhaft einrichtet. Ich denke, diese Haltung der Union wird von den Bürgern in Baden-Württemberg sehr geschätzt.

Zurück zu Stuttgart 21: Sie haben im Herbst gesagt, dass die Landtagswahl in Baden-Württemberg eine Abstimmung über dieses Projekt wird. Würden Sie das noch einmal sagen?

Ich habe damals gesagt, dass die Wahl eine Befragung der Bürger über viele Zukunftsprojekte, über Stuttgart 21und vergleichbare Infrastrukturprojekte wird - und das gilt unverändert. Mit dieser Äußerung ist im Herbst eine wichtige Diskussion in ganz Deutschland über die Machbarkeit von Großprojekten in Gang gekommen. Viele Menschen hat es nachdenklich gemacht zu erfahren, dass die Grünen eben nicht nur in Baden-Württemberg, sondern bundesweit gegen wichtige Zukunftsprojekte demonstrieren. Die Bürger fragen sich stärker als früher, in welche Richtung wir als Industrienation gehen wollen, woher in Zukunft unser Wohlstand kommen soll. Und wir Politiker haben die Pflicht, für solche notwendigen Projekte auch zu werben und sie immer wieder zu erklären.

Kann es nicht sein, dass die Wahl zu einer Abstimmung über die Causa Karl-Theodor zu Guttenberg wird?

Nein, bei dieser Wahl werden sich die Menschen die Frage stellen: Bei welcher Partei spüren wir, dass unsere Zukunft, unsere Erwartungen und unser Land insgesamt in den besten Händen sind? Politiker werden ja meist nicht für ihre Erfolge in der Vergangenheit gewählt, sondern dafür, ob sie den Menschen Vertrauen in die Zukunft geben können.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Stuttgart-21-Schlichtung für eine Bürgerbeteiligung in der Zukunft?

Ich persönlich fand das Schlichtungsverfahren ungemein spannend und wertvoll. Wir alle, die Union, und vor allem Ministerpräsident Stefan Mappus sind da ja ganz neue Wege gegangen. Ich selbst hätte gern mehr Zeit vor dem Fernseher verbracht und beobachtet, wie die Gegner und Befürworter unter Leitung von Heiner Geißler ihre Argumente vorbringen. Es war eine urdemokratische Erfahrung, wie die beiden Lager da ihre Positionen präsentieren und Rede und Gegenrede aushalten mussten. Jede Schlichtung muss dann irgendwann auch zu einem Ergebnis kommen und das habe ich in diesem Fall als fair empfunden. Es hat ja auch den Befürwortern von Stuttgart 21 einiges abverlangt.

Und was lernen wir daraus?

Die Stuttgarter Schlichtung ist nicht einfach auf einen anderen Fall übertragbar. Schlichtungen brauchen Freiheit. Je nachdem, wie der Fall liegt, ob es sich um Projekte im ländlichen Raum handelt oder in Städten, wird ein Schlichtungsverfahren jeweils anders aussehen. Und weil jeder Fall anders ist, denken wir über ein Gesetz nach, das mehrere Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung vorsieht, also nicht nur die eher schematisierte Bürgerbeteiligung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens. Stuttgart 21 lehrt uns zudem, dass es bei der Bürgerbeteiligung auf den richtigen Zeitpunkt ankommt. Ich möchte also dem Beteiligungsmodell die Möglichkeit geben, sich an die örtlichen Wünsche und Notwendigkeiten anzupassen.

Und was halten Sie von einem bundesweiten Volksentscheid?

Bundesweite Volksentscheide halte ich für schwierig. Wir haben hierzulande zwei Kammern, Bundestag und Bundesrat. Wenn wir jetzt noch die Bürger direkt befragen, bekommen wir eine dritte Instanz. Das bringt uns verfassungsrechtlich in ein sehr schwieriges Fahrwasser. Was gilt denn, wenn es da ganz unterschiedliche Mehrheiten gibt? Deswegen finde ich lokale oder regionale Volksentscheide nützlich, da haben sie sich ja auch bewährt, aber auf Bundesebene halte ich nichts davon.

Zum Thema Schwarz-Grün. Es fällt auf, dass Ministerpräsident Stefan Mappus die Option Schwarz-Grün ausdrücklich im Spiel hält. Dabei hatten Sie ja kürzlich Schwarz-Grün als Hirngespinst bezeichnet.

Ja, Schwarz-Grün ist mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 ein Hirngespinst. Da rechne ich bei vermutlich wieder 6 Parteien bzw. 5 Fraktionen im Bundestag mit einer klaren Alternative: christlich-liberale Koalition oder Rot-Rot-Grün, einer Versuchung, der die SPD nicht wird widerstehen wollen. Im Südwesten geht es nun konkret darum, dass CDU und FDP weiter miteinander erfolgreich regieren wollen. Stefan Mappus will das auch, und wenn ich mit ihm im Land unterwegs bin, spüre ich, dass es dafür viel Zustimmung gibt. 

"Ich sehe eine sehr zerrissene SPD"

 Haben Sie eigentlich den Eindruck, dass die SPD wieder stärker in die politische Mitte rückt?

Ich sehe eine sehr zerrissene SPD. Da gibt es Verfechter der politischen Mitte, da gibt es aber auch starke linke Tendenzen. Sie finden in der SPD fast alle Positionen und immer auch das Gegenteil: für und gegen die Rente mit 67, für 60 Prozent Spitzensteuersatz und dagegen. Auch bei den Hartz-IV-Verhandlungen ging es bei der SPD sehr weit auseinander.

Gibt es bis zu den nächsten Wahlen 2013 noch Steuersenkungen?

Es gab ja zu Beginn der Legislaturperiode schon erhebliche Steuersenkungen für Bürger und Unternehmen, nun müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass die Schuldenbremse richtig greift. Da liegen wir gut im Plan. Ich konzentriere mich jetzt auf den Haushalt 2012. Solide Finanzen sind für jeden Bürger ein Gewinn, weil wir nur so als Staat handlungsfähig bleiben und in un-sere Zukunft investieren können. Wenn wir den Spielraum dafür haben, kann man auch wieder an Steuersenkungen denken, aber wann das sein wird, kann ich nicht vorhersagen. Wir wissen auch nicht mit Gewissheit, wie sich die Weltkonjunktur und die Ölpreise entwickeln.

Zum Schluss etwas weniger Politisches: Was sagen Sie zu der Olympiabewerbung, und wie halten Sie es mit dem Widerstand dagegen?

Ich setze mich gerne und mit Begeisterung für die Olympischen Winterspiele 2018 in München ein. Und genauso gerne für die Paralympischen Spiele, um die es ja auch geht. Der deutsche Behindertensport ist weltweit hochanerkannt, da wäre es eine Ehre, die Spiele ausrichten zu können.