Nachwuchspolitiker: Valentin Heiderich und Miran Ildeş (re.). Foto: /Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Miran Ildeş und Valentin Heiderich sind bei der Kommunalwahl, wo sie für Grüne und FDP kandidieren, 17 Jahre alt. Sie engagieren sich für Klimaschutz, wollen mehr öffentliche Räume für Jugendliche und kritisieren die politische Polarisierung durch Social Media.

Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das 16-Jährigen bei Kommunalwahlen das passive Wahlrecht zugesteht. Zwei junge Leute werden in Stuttgart dieses neue Recht wahrnehmen: Miran Ildeş und Valentin Heiderich. Sie sind die beiden einzigen, die bei der Wahl im Juni noch keine 18 sind. Was sind ihre Beweggründe, was ihre Erwartungen an die Politik?

 

Herr Ildeş, Herr Heiderich, Sie sind beide erst 17. Wie kommt man in diesem noch jungen Alter in die Politik?

Miran Ildeş: Ich hab das Ziel, im Leben mich selbst zu finden und herauszufinden, was ich hier erreichen und hinterlassen will. Deshalb engagiere ich mich gerade politisch, was mir sehr viel Spaß macht. Bei meinem Bruder Mehmet, der auch für die Grünen bei der Kommunalwahl kandidiert, habe ich gesehen, wie viele Leute er erreicht mit seinem Engagement, wie viele Menschen er ermutigen und ein Vorbild für sie sein kann. Jeder will doch ein Vorbild sein und Gutes hinterlassen.

Valentin Heiderich: Ich bin in einer politischen Familie großgeworden. Meine Eltern haben oft über Politik mit mir geredet. Mein Opa hat in Landesministerien gearbeitet, seine Schwester ist in der FDP. Da habe ich vielleicht ein bisschen was aus der Familie geerbt, sodass ich schon immer Interesse an der Politik hatte. Aber wichtig ist bei mir auch, dass ich in meiner Umgebung immer wieder Leute erlebe, die sich beschweren und ich mich dann frage: Was kann man da ändern? Wenn man etwas bewirken will, kommt man in die Politik.

Als Sie von der neuen Möglichkeit gehört haben, dass man nun schon vom 16. Lebensjahr an für die Kommunalwahl kandidieren kann, haben Sie da sofort gedacht: da mache ich mit?

Valentin Heiderich: Ich bin von einem aus der Partei angesprochen worden, ob ich Interesse hätte. Ich bin seit einem guten Jahr in der FDP und noch etwas länger bei den Jungen Liberalen. Zuerst musste ich schauen, ob das zeitlich mit dem Abi überhaupt geht.

Miran Ildeş: Als ich das gehört habe, dachte ich sofort: Ich lasse mich aufstellen. Da kann man Erfahrungen sammeln und zeigen: Ein junger Mensch kann etwas bewirken.

Warum die Grünen, warum die FDP?

Miran Ildeş: Ich bin in einer sozial schwachen Familie aufgewachsen und wir versuchen uns hochzuarbeiten. Die Grünen sprechen mir da am meisten zu, weil sie jemandem wie mir die meisten Chancen bieten.

Valentin Heiderich: Wir sind in der Familie viel gereist. Ich mag die Idee eines vereinten Europas. Fortschritt ist mir wichtig, dass wir als Gesellschaft vorankommen, dass wir unsere Wirtschaft unterstützen, stabil halten und gleichzeitig den Klimaschutz fördern. Das ist ganz wichtig, auch wir Jungen wollen eine lebenswerte Zukunft haben.

Miran Ildeş: Mir sind Zukunftsthemen wie das Klima auch am wichtigsten. Auch meine Kinder sollen noch eine gute Zukunft haben und etwas aufbauen können.

Wie geht die Partei mit Ihnen um? Werden Sie besonders unterstützt und gefördert? Oder laufen Sie einfach mit?

Valentin Heiderich: In der FDP ist die Integration in die Partei sehr gut. Ich war zuerst bei den Jungen Liberalen, das ist eine getrennte Organisation mit vielen jungen Leuten. Die Jungen Liberalen sind aber sehr gut in die FDP integriert. Es gibt Leute, die sich um einen kümmern und schauen, dass man sich engagieren kann. Mir wurde viel zugetraut, man hat mir viele Angebote gemacht.

Miran Ildeş: Die Grünen setzen sich sehr dafür ein, junge Wähler zu gewinnen, ich bin sehr gut aufgenommen worden. Ich bin ein halbes Jahr in der Partei, und es ist immer toll gewesen, dabei zu sein.

Was würden Sie als junge Menschen in Stuttgart ändern, verbessern wollen?

M iran Ildeş: In der Corona-Zeit sind junge Menschen sehr eingeschränkt worden in ihrer Freiheit, man konnte gar nicht mehr sagen, dass man gerne in Stuttgart lebt. Deshalb sollte es mehr Orte geben für Aktivitäten, wo sich junge Menschen treffen können. Zum Beispiel sollte man den Wasen außerhalb der Zeiten des Volksfestes und des Frühlingsfestes für Jugendliche zugänglich machen und dort Fußballfelder oder Basketballfelder anlegen. Viele Anregungen bekomme ich bei meiner Arbeit als Respekt-Lotse.

Valentin Heiderich: Die Attraktivität des ÖPNV muss erhöht werden, dass wir auch klimaneutral werden können. Wir brauchen Mobilitätshubs, an denen die Leute schnell vom Auto in die Stadtbahn umsteigen oder zu Fuß weitergehen können. Wir brauchen mehr Grünflächen in der Stadt, auch um der Hitzeentwicklung im Sommer entgegenzuwirken. Und wir brauchen innovative Lösungen wie das Umlegen von Parkplätzen in Quartiersgaragen, dass oberirdisch mehr Platz für Grünanlagen frei wird. Auch ich finde, man sollte mehr Räume für Jugendliche schaffen, wo man sich aufhalten und aktiv sein kann, ohne Geld auszugeben zu müssen.

Wie ist in Ihrer Altersgruppe das Verhältnis zur Politik? Was müsste man tun, die jungen Leute besser abzuholen?

Miran Ildeş: Die meisten meiner Freunde interessieren sich eher nicht für Politik. Das ist bei denen verständlich, die in Elternhäusern aufwachsen mit wenig Geld, die andere Probleme und nicht viel Zeit haben, sich mit Politik zu beschäftigen. Unsere Mutter zum Beispiel ist geflüchtet, hat ihren Mann verloren, da war das Thema Politik weit entfernt.

Va lentin Heiderich: Viele interessieren sich schon für Politik, oft können sie sich aber nicht einer bestimmten Partei zuordnen und meinen, sie können nicht aktiv werden. Deshalb ist es sehr wichtig, den jungen Leuten zu vermitteln: Politik ist etwas, das wir alle zusammen machen. Man muss auch nicht immer die gleiche Meinung haben. Ich habe viele Freunde in anderen Parteien, mit denen ich mich super verstehe.

Macht die Schule da genug?

Valentin Heiderich: Es hält sich in Grenzen. Früher gab es an unserer Schule mehr politische Talkrunden. Das ist jedoch viel Aufwand, auch weil man auf Neutralität achten muss, aber nicht immer alle Parteien erwünscht sind.

Miran Ildeş: Da wird zu wenig gemacht, finde ich. Gerade wegen der gegenwärtigen Konflikte gibt es bei den Schülern sehr viel Gesprächsbedarf, da kommt es zu vielen Konflikten, die irgendwo behandelt werden müssen. Ein Lehrer hat den Krieg zwischen Israel und den Palästinensern mal mit uns angesprochen, das war eine sehr schöne Doppelstunde, aber er war auch der einzige, der sich das getraut hat.

Es findet eine politische Polarisierung im Land statt. Wie erleben Sie das?

Valentin Heiderich: Auch junge Leute werden polarisiert, mit der Folge, dass sie dann ganz oft alle Parteien ausschließen, weil sie dadurch auf Meinungen festgelegt werden, die so von keiner Partei vertreten werden. Das führt zu Politikverdrossenheit. Dabei gibt es auch in den Parteien unterschiedliche Meinungen. Wir müssen versuchen, die Polarisierung aufzulösen. Es gibt nicht nur links und rechts, das ist viel zu einseitig.

M iran Ildeş: Wenn ich erzähle, dass ich mich politisch engagiere, kommt sofort die Frage: Bist du links oder rechts? Aber man kann die Politik nicht in zwei so einfache Kategorien einteilen. Wenn man sagt, man ist links, wird man gleich als Linksextremist abgestempelt, wenn man eher rechts ist, als Rechtsextremist. Deshalb haben Leute Angst, sich in der Öffentlichkeit politisch zu positionieren.

Wie machen Sie Wahlkampf als junge Kandidaten? Auch per Social Media?

Miran Ildeş: Im Wahlkampf bin ich nicht sehr aktiv, wegen der Schule habe ich nicht so viel Zeit. Auf Social Media mache ich gar nichts. Ich finde, man sollte seine politische Meinung nie nur auf der Grundlage von Social Media bilden. Man sollte immer den Wahlkampf der Menschen verfolgen, mit den Kandidaten kann man bei Veranstaltungen auch persönlich reden.

Valentin Heiderich: Ich habe von Anfang an gesagt, ich gehe auf eine Listenposition, bei der ich nicht ständig Wahlkampf machen muss. Ich hatte bis vor kurzem Abiturprüfungen, das nahm viel Zeit in Anspruch. Auf Social Media mache ich ohnehin nicht viel. Durch die eingesetzten Algorithmen werden die Wähler zu populistischen und polarisierenden Positionen getrieben. Da müssen wir als Demokratie wachsam sein. Wir brauchen eine offene Gesellschaft, die sich alle Meinungen anhören kann.

Die beiden jüngsten Kandidaten bei der Kommunalwahl

Miran Ildeş
ist seit kurzem 17 Jahre alt, beim Gespräch war er noch 16. Er lebt auf dem Burgholzhof in Bad Cannstatt und besucht die elfte Klasse des Ferdinand Porsche Gymnasiums in Zuffenhausen. Nach der Schule wird er vielleicht Sport studieren, oder er macht etwas Soziales oder er geht zur Polizei. Außer bei den Grünen, für die er bei der Kommunalwahl auf Platz 26 antritt, engagiert sich Miran Ildeş als Respekt-Lotse etwa in Freibädern. Und er ist aktiv in dem von seinem Bruder Mehmet 2023 gegründeten Verein Local Diversity, der sich dafür einsetzt, dass mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in die Politik kommen.

Valentin Heiderich
ist 17 Jahre alt, nicht lange nach der Kommunalwahl noch im Juni wird er 18. Er lebt in Zuffenhausen und besucht das Eschbach Gymnasium in Freiberg, wo er in diesem Jahr Abitur macht. Für das Interview hatte er erst nach dem letzten Tag der schriftlichen Prüfung Zeit. Valentin Heiderich engagiert sich in der FDP, für die er bei der Kommunalwahl auf Platz 57 kandidiert, aber auch überparteilich. So ist er für die Jungen Liberalen im Ring politischer Jugend (RPJ) tätig, die überparteiliche Organisation macht Veranstaltung zur Politik. Sein Plan ist, nach der Schule Wirtschaftsrecht in Mannheim zu studieren.