Bei den Luftangriffen Ende des Zweiten Weltkriegs gingen rund 100 000 Tonnen Bomben auf Baden-Württemberg nieder. Das sind Fälle für die Kampfmittelbeseitiger. Dass zunehmend private Metallangler mit suchen, alarmiert die Experten.
Stuttgart-Vaihingen - Es ist ein gefährlicher Trend. „Die Menge an Kampfmitteln, die über das Sondeln oder Metallangeln aufgespürt werden, hat nachweislich zugenommen“, sagt Mathias Peterle und seufzt. Er ist der stellvertretende Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdiensts Baden-Württemberg, angesiedelt im Regierungspräsidium in Stuttgart-Vaihingen. Immer mehr Menschen vertreiben sich offenbar ihre Freizeit damit, mit Magneten nach alter Munition zu suchen.
Und zu finden gibt es genug. Auch für Experten wie Peterle. „In den nächsten drei, vier Jahrzehnten wird uns die Arbeit wohl nicht ausgehen“, sagt er. „Bei den Sprengbomben etwa verzeichnen wir seit Langem vergleichsweise konstante Fundmengen.“ 2020 gab es landesweit 961 Munitionsfunde, darunter 14 Bomben, 2019 sind es 16 gewesen.
Rund um den Flughafen taucht immer wieder Munition auf
Mit der Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten an Stadträndern kämen zu den Blindgängern, die von den Luftangriffen herrührten, Funde aus vorgelagerten Flakstellungen hinzu, so Peterle. Auch Munitionsreste von Bodenkämpfen. „In der Filderregion tauchen rund um den Flughafen immer wieder Kampfmittel auf“, nennt der Experte typische Fundorte. „Am Uni-Gelände, nahe des Pfaffenwaldrings, wurden Flakstellungen bombardiert. Auch dort stößt man auf Überbleibsel aus dem Krieg, ebenso wie in den Waldgebieten rund um Stuttgart.“
Im vergangenen Jahr seien sogenannte Metallangler vermehrt fündig geworden. Erfreut ist Peterle über diese Hilfe beim Aufspüren explosiven Materials nicht: „Ich rate jedem, der damit angefangen hat, sich lieber ein anderes Hobby zu suchen“, appelliert er an die Schatzsucher der besonderen Art. „Wenn jemand einen Magneten von vier oder fünf Kilogramm Gewicht ins Wasser wirft, dann hat der eine Zugkraft von etwa 150 Kilo. Das reicht locker, um Handgranaten oder Granaten mit vorgespannten Zündsystemen anzuziehen“, sagt er. „Wenn man an denen ordentlich ruckelt, besteht akute Gefahr, dass sie hochgehen.“ Neben der Selbstgefährdung setzten Metallfischer auf diese Weise auch Menschen in der Umgegend einer nicht zu unterschätzenden Gefahr aus.
Mathias Peterle sieht bei den Freizeit-Metallsuchern eine Tendenz zum gefährlichen Halbwissen hinsichtlich der Risiken im Umgang mit aufgespürten Kampfmitteln. „Es wird oft unterschätzt, wie gefährlich die Relikte aus dem zweiten Weltkrieg immer noch sein können“, gibt er zu bedenken. „Ein Beispiel: Mit Phosphor gefüllte Munition kann immer noch schlagartig anfangen zu brennen, sobald sie mit der Luft in Berührung kommt.“ Das sei eine Gefahr, der sich auch die Profis nicht aussetzen wollen. „Ungelernte sollten es erst recht meiden.“
Viele Finder haben offenbar Glück, dass nichts passiert
Angst habe aber keiner der vorwiegend im metallverarbeitenden Gewerbe ausgebildeten und oft über Bundeswehrerfahrung verfügenden Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdiensts. Sie sei ein schlechter Ratgeber. Respekt aber habe jeder vor der Materie, betont der Fachmann. Oft seien explosive Objekte im Schlamm praktisch luftdicht abgeschlossen und kämen gewissermaßen frisch aus dem Boden, erklärt Peterle. Das gelte nicht nur für Gewässer, sondern auch für lehmige Ackerböden. „Es gibt Zündsysteme, bei denen schon eine leichte Verlagerung ausreicht, um eine Detonation auszulösen“, fügt er hinzu. „Solche Funde müssen vor Ort entschärft werden. Sonst rumpelt es.“
Offenbar haben viele Finder schlichtweg Glück, dass ihnen nichts zustößt. „Teilweise werden die Funde mit nach Hause genommen, auch weil ihre wahre Natur zunächst nicht erkannt wird. Erst im Nachhinein erfolgt dann die Meldung bei der Polizei.“
Historische Luftaufnahmen sollen helfen
Erfreut äußert sich Peterle, der vor mehr als 19 Jahren als gelernter Verwaltungsfachangestellter zum Kampfmittelbeseitigungsdienst kam, hingegen über die Entwicklung in der Baubranche. Dort gehe man heute wesentlich sensibler mit dem Thema um als in der Vergangenheit: „Früher hat man erst einmal gebaut und spontan Alarm geschlagen, wenn es zu einem Fund kam.“ Heute müssten Baufirmen im Vorfeld prüfen, ob mit Kampfmitteln zu rechnen sei, ehe sie loslegen.
Grundlage für solche Einschätzungen sind historische Luftaufnahmen der Alliierten. Insgesamt suchte der Kampfmittelbeseitigungsdienst 2020 Flächen von rund 83 900 Quadratmeter nach Kampfmitteln ab, um eine Bebauung zu ermöglichen. Das entspricht ungefähr der Größe von zwölf Fußballfeldern.