Die syrische Luftwaffe bombardiert Aleppo fast pausenlos. Die Bevölkerung leidet. Foto: Getty

Die Entscheidungsschlacht um Syrien tobt. Das Leiden nimmt immer größere Ausmaße an. Noch vor Weihnachten könnten Teile der Rebellenhochburg Aleppo fallen. Der Westen ist offenbar machtlos.

Aleppo - Der Krieg um Aleppo steht vor der Entscheidung. Mitte Juli gelang es den Truppen des Assad-Regimes zum ersten Mal seit 2012, den Ostteil der Aufständischen zu umzingeln und vom Nachschub aus der Türkei abzuschnüren. Seitdem wird die Enklave mit ihren 250 000 Bewohnern – abgesehen von kurzen Feuerpausen – aus der Luft rund um die Uhr bombardiert. Der Wintereinbruch naht, die Temperaturen könnten bald ins Minus rutschen. Die Weißhelme zählten allein in den vergangenen acht Tagen 490 Luftangriffe. Nach ihren Angaben wurden 300 Menschen getötet und 820 verletzt.

Wird Aleppo fallen?
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Assads Truppen konnten Anfang der Woche erstmals in das zentrale Rebellenviertel Masaken Hanano eindringen. Sie versuchen damit, den Osten der Stadt in zwei Teile zu zerschneiden. Die zivilen Bewohner, darunter etwa 100.000 Kinder, rechnen mit dem Schlimmsten. UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien bezeichnete die Lage vor Ort als „kaum noch überlebbar“. Viele Familien versuchen momentan, sich in anderen Stadtvierteln in Sicherheit zu bringen, die weniger stark unter Beschuss liegen. UN- Syrienvermittler Staffan de Mistura befürchtet einen Kollaps von Aleppos Osten noch vor Weihnachten.
Was bedeutet ein Sieg in Aleppo für das Regime?
Für Bashar al-Assad und seine Verbündeten Russland und Iran wäre dies der seit Jahren wichtigste Erfolg gegen die Rebellen. Doch mit einer Einnahme der Stadt wären die Kämpfe wahrscheinlich nicht beendet. Ein Teil der etwa 5000 bis 6000 bewaffneten Rebellen könnte sich weiter in den Wohnvierteln verschanzen. Die meisten der 250 000 Bewohner aber werden versuchen, irgendwie zu entkommen – entweder in die Türkei oder in die kurdischen Gebiete. UN-Syrienvermittler de Mistura versuchte am Wochenende, das syrische Regime zum Innehalten und zu einer humanitären Pause zu bewegen, eine Initiative, die vom syrischen Außenminister Walid Muallem brüsk zurückgewiesen wurde. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf dem UN-Diplomaten danach sogar vor, eine Friedensregelung in Syrien zu sabotieren.
Wie ist die Lage der Menschen?
Ihre Situation ist total verzweifelt. Alle acht Krankenhäuser im Ostteil der Stadt sind zerbombt und außer Betrieb. Die Vorräte an Lebensmitteln, Sprit und Medikamenten sind aufgebraucht, seit vier Monaten können die umzingelten Stadtteile nicht mehr von außen versorgt werden. Für das Assad-Regime ist das Aushungern und Bombardieren aufständischer Wohnbezirke inzwischen die wichtigste Strategie in dem bald sechsjährigen Bürgerkrieg. Die UN-Helfer schätzen, dass momentan eine Million Syrer auf diese Weise zur Kapitulation gezwungen werden sollen. Über Aleppo ließ das Regime Flugblätter abwerfen, in denen den Rebellen vorgeworfen wird, Vorräte zu horten und die Bewohner mit Waffengewalt an der Flucht zu hindern. Die Aufständischen werden aufgefordert, sich zu ergeben, den Zivilisten angeboten, sie könnten sich über Fluchtkorridore in den vom Regime kontrollierten Westteil Aleppos in Sicherheit bringen. Nach Angaben der in London ansässigen „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ wollen momentan etwa hundert Familien in den von Kurden kontrollierten Stadtteil Sheikh Maqsud im Westen fliehen, wurden jedoch bisher durch Gefechte im Bereich des Korridors daran gehindert.
Wie verhält sich der Westen?
Weder Europa noch die USA sind bisher bereit, in das Geschehen um Aleppo militärisch einzugreifen. Präsident Barack Obama erklärte, er sehe die nahe Zukunft Syriens „nicht sehr optimistisch“. Die amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power verlas bei der jüngsten Sitzung des Weltsicherheitsrates die Namen syrischer Generäle, die sie für die Schlächterei verantwortlich machte. Sie drohte, man werde alle zur Verantwortung ziehen – eine Geste, der eher hilflos wirkte. Der neugewählte US-Präsident Donald Trump lässt bisher keine klare Syrienstrategie erkennen. Dieses Vakuum in Washington will das Assad-Regime nutzen, um vor Trumps Amtseinführung am 20. Januar Fakten zu schaffen. Frankreich dagegen lud jetzt überraschend alle westlichen Staaten und Golfnationen, die die moderaten Rebellen in Syrien unterstützen, für Anfang Dezember zu einem Treffen nach Paris ein. Die internationale Gemeinschaft müsse aufhören, „den Blick von der schrecklichen Realität in Syrien abzuwenden“, erklärte Außenminister Jean-Marc Ayrault. „Es ist dringend an der Zeit, dass wir reagieren.“