Die Justiz fürchtet, dass junge Muslims hinter Gittern radikalisiert werden Foto: dpa

Die Erkenntnis der französischen Sicherheitsbehörden, dass sich die Attentäter von Paris im Gefängnis radikalisiert haben, wirft in der Landesjustiz die Frage auf, wie man künftig mit inhaftierten Islamisten umgeht.

Stuttgart - Zwar gebe es „aktuell keine Anhaltspunkte für bedrohliche islamistische Tendenzen in unseren Vollzugsanstalten“, sagte ein Sprecher des Stuttgarter Justizministeriums unserer Zeitung. Diese Einschätzung stütze sich auf halbjährliche Berichte der Anstalten über „Strukturbildungen“. Dennoch sei man sich des Problems bewusst und könne auch nicht ausschließen, dass etwa Islamisten aus Syrien zurückkehrten und hier verurteilt werden.

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten mahnte die Politik jedoch dazu, Vorsorge zu treffen. Nach den Pariser Terroranschlägen müsse darüber diskutiert werden, ob islamistische Gefangene separat von gewöhnlichen Kriminellen untergebracht werden müssen, sagte der Vize-Landeschef der Organisation, Georg Konrath: „Die Ansteckungsgefahr im Gefängnis ist groß, weil viele der Gefangenen unter Minderwertigkeitsgefühlen leiden.“

Muslimische Gefangene könnten leichte Beute sein für Extremisten, die ihnen vorgaukeln, als Gotteskrieger einen neuen Stellenwert erhalten zu können. Konrath: „Das Problem ist noch nicht so akut, wird aber mit der wachsenden Zahl der Rückkehrer aus dem Heiligen Krieg in Syrien und dem Irak immer mehr zur Herausforderung.“

Auch im Landtag denkt man über Vorsorgemaßnahmen nach. „Es ist nicht abwegig, sich schon jetzt zu überlegen, wie man den Vollzug bei Islamisten organisiert“, sagte der SPD-Rechtspolitiker Nik Sakellariou unserer Zeitung. Die Erfahrung mit inhaftierten Russlanddeutschen habe gezeigt, dass es notwendig sei, einer Gruppenbildung vorzubeugen.

Der CDU-Strafvollzugsexperte Karl Zimmermann äußerte die Befürchtung, dass Radikale andere Gefangene „anstecken“. Er will deshalb islamistische Häftlinge ohne deutschen Pass ihre Strafen in ihrer Heimat verbüßen lassen: „Ich fordere den Bund auf, dies zu prüfen.“ Als Mitglied einer Expertenkommission zur Unterbringung von psychisch Kranken wolle Zimmermann auch den Umgang mit islamistischen Gefangenen thematisieren. Der Grünen-Justizexperte Jürgen Filius lehnt hingegen eine „politische Unterbringung“ von Islamisten ab. Der frühere Justizminister Ulrich Goll (FDP) sieht den Vorschlag ebenfalls skeptisch.

Laut Stuttgarter Justizministerium haben etwa zwei Drittel der derzeit 6700 Gefangenen im Südwesten einen Migrationshintergrund. Es gebe jedoch keine Erkenntnis darüber, wer davon Muslim sei, denn die Häftlinge müssten keine Angaben über ihre Religionszugehörigkeit machen. Nach Schätzung Konraths ist etwa ein Drittel der Gefangenen im Südwesten muslimischen Glaubens.

Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) hatte am Dienstag vor einer Islamistenwelle in den Gefängnissen gewarnt: „Wir werden absehbar mehrere Hundert radikale Islamisten in die Vollzugsanstalten bekommen.“ Viele der über 600 aus Deutschland stammenden Kämpfer in Syrien versuchten zurückzukehren.