Mit Islamunterricht gegen Islamismus: Innenminister Gall, Ministerpräsident Kretschmann (l.) Foto: dpa

Dem Extremismus beugt man am besten schon in der Schule vor, meint die Landesregierung. Vor allem der islamische Religionsunterricht soll junge Muslime immun machen gegen die Einflüsterungen radikaler Gruppen.

Stuttgart - Schulen sollten nach Meinung der Landesregierung maßgeblich dazu beitragen, dass Kinder und Jugendlichen einen reflektierten und friedvollen Zugang zur Religion finden. Dazu gehöre der islamische Religionsunterricht, an dem mittlerweile 2000 Schüler im Land teilnehmen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann will, dass der Ausbau dieses Angebots „an Tempo zulegt“.

Der Regierungschef – selbst engagierter Katholik – beklagte, unter den Muslimen gebe es teilweise einen „religiösen Analphabetismus“. Kinder und Jugendliche sollten sich auf hohem qualitativen Niveau religiös bilden können, um nicht durch „Versatzstücke“ von Terroristen in die Irre geleitet zu werden, so der Grünen-Politiker. Das Land bietet deshalb seit 2006 islamischen Religionsunterricht an – allerdings noch nicht an Gymnasien.

Auch Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hob in einem Schreiben an alle Schulleiterinnen und Schulleiter die „große Bedeutung“ des islamischen Religionsunterrichts hervor. Der im Rahmen eines Modellprojekts angebotene Unterricht biete jungen Muslimen eine gute Möglichkeit, sich mit ihrer Religion fundiert und konstruktiv auseinanderzusetzen.

Stoch rief die Schulleiter aber auch dazu auf, einer möglichen Radikalisierung von Schülern im Unterricht generell vorzubeugen. Dazu böten die Bildungs- und Lehrpläne zahlreiche Anknüpfungspunkte. Auch im Rahmen von Projekttagen und anderen schulischen Veranstaltungen lasse sich das Thema behandeln.

Neben Eltern, Angehörigen und Freunden gehörten häufig auch Mitschüler und Lehrer zu den ersten, denen die Radikalisierung eines Jugendlichen auffalle. Bewältigt werden können das Problem aber nur in einem engen Zusammenwirken mit dem gesamten Umfeld eines Schülers.

Stoch verwies auch auf die Beratungs- und Veranstaltungsangebote des Landesverfassungsschutzes und der „Beratungsstelle Radikalisierung“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hin. Lehrer könnten sich auch bei der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung über Präventionsmöglichkeiten gegen religiöse Radikalisierung informieren.

Kretschmann warnte davor, Islam und islamistischen Terror in einen Topf zu werfen. Der Terrorismus habe mit dem Islam so wenig zu tun wie etwa der Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF) mit dem Christentum. Die Demonstrationen in Paris und andernorts in Europa zeigten, dass sich die Menschen nicht von Terroristen einschüchtern ließen. Es gehe um die Verteidigung universaler, nicht rein westlicher Werte.

Innenminister Reinhold Gall (SPD) sprach sich unterdessen erneut für die Wiedereinführung der sogenannten Vorratsdatenspeicherung aus. Dabei dürfen Behörden personenbezogene Daten vorsorglich sammeln, um sie im Bedarfsfall auszuwerten. Das Bundesverfassungsgericht hatte die bundesgesetzliche Regelung im Jahr 2010 verworfen, dass sie zu weit geht und unter anderem auch den Informantenschutz für Journalisten einschränkt.

Der Europäische Gerichtshof wiederum hatte die Brüsseler Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung verworfen. Dennoch mehren sich zurzeit die Stimmen, die umfassende Speicherbefugnis auf eine neue rechtliche Basis zu stellen.

Gall sagte, die Möglichkeit, die Daten von Telekommunikationsverbindungen zu speichern sei „ein Baustein“, von dem er sich mehr Sicherheit erwarte. Er diene nicht nur zur Bekämpfung des Terrorismus, sondern auch anderer verbrechen wie Kinderpornografie. Gall: „Ich werbe dafür.“ Bei diesem Thema sollte die EU seiner Meinung nach zusammenarbeiten.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht dies allerdings ebenso kritisch wie Kretschmann. Der Regierungschef sagte, er sei offen dafür zu prüfen, was unterhalb der Vorratsdatenspeicherung im Rahmen der Rechtsprechung möglich sei.

Zur Kritik von Gewerkschaften, wonach Personal fehle, um sogenannte Gefährder in Deutschland zu überwachen, meinte Gall: „Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass wir jemals in der Lage sein könnten, alle Menschen, von denen eine theoretische Gefährdung ausgeht, rund um die Uhr überwachen können.“ Dies gehe schon aus personellen und finanziellen Gründen nicht, aber auch die Bürger wollten das nicht.

Für Baden-Württemberg gibt es nach wie vor keine konkreten Hinweise auf möglicherweise geplante Terroranschläge. Gall sagte, für den Südwesten und Deutschland insgesamt sei die Gefahr nach den Terroranschlägen von Paris weiterhin abstrakt. Baden-Württemberg habe nach den Anschlägen Sofortmaßnahmen eingeleitet und Spezialkräfte in Grenznähe aufgestellt, falls aus Paris Bezüge nach Deutschland erkennbar gewesen wären.