Viele Rumänen sind wütend auf ihre Regierung. Foto: AFP

Rumänien droht in einem Sumpf aus Korruption zu versinken. Die Diaspora hat von der Vetternwirtschaft in der alten Heimat genug.

Bukarest - Den erstmaligen Besuch der Hauptstadt ihres Heimatlands wird die Rumänin Irina Blaj nie vergessen. Zusammen mit anderen Auslandsrumänen demonstrierte sie gegen Korruption und den Abbau des Rechtsstaats in Bukarest – wie das schon an so vielen anderen Wochenenden junge Leute und ganze Familien getan hatten. Sie alle fordern eine „echte Demokratie“ sowie ein Ende der Korruption im Land. Das sei die „schönste und schlimmste Erfahrung“ ihres Lebens gewesen, berichtet die seit fünf Jahren in München lebende Soziologin, denn dass der Protest – nach zahlreichen weitgehend friedlichen Veranstaltungen – so gewaltsam enden würde, damit hatte sie nicht gerechnet: Die Prügelorgien der Polizei, die Wasserwerfer und die auf Frauen, Kinder und Rentner abgefeuerten Tränengasgranaten seien für sie „ein Schock“ gewesen, sagt die aus Baia Mare stammende Exilrumänin.

Mehr als 450 Menschen wurden bei der von Exilrumänen organisierten Großdemonstration am 10. August in Bukarest verletzt. Wer die Verantwortung für die Eskalation trägt, ist noch immer ungeklärt. Kritiker werfen der sozialistischen Regierung vor, mit Hilfe angeheuerter Fußballschläger den völlig überzogenen Polizeieinsatz provoziert zu haben. Obwohl ihr die Gewaltexzesse traumatische Panikattacken, eine Krankschreibung und einen schmerzhaften Meniskusschaden bescherten, blickt Blaj auf ihren Demonstrationseinsatz in der Heimat auch positiv zurück: „Es war ein schönes Gefühl, dass wir Rumänen zusammenkamen und auf die Gewalt nicht mit Gewalt reagiert haben.“ Und die Proteste sollen weitergehen.

Die Regierungspartei wird zunehmend nervöser

Immer nervöser reagiert die von der sozialistischen Partidul Social Democrat (PSD) geführte Regierung auf die anhaltenden Demonstrationen gegen die geplante Aushebelung der Gewaltenteilung. Mit aller Macht will der wegen Wahlmanipulation und Amtsmissbrauch verurteilte PSD-Chef Liviu Dragnea den drohenden Gang ins Gefängnis verhindern – und noch viel mehr: Die Regierung will die Justiz unter ihre Kontrolle bringen – und das wenige Monate vor Beginn der ersten rumänischen EU-Ratspräsidentschaft im Januar 2019. Von den Warnungen Brüssels vor dem Abbau des Rechtsstaats zeigt sich Bukarest bis jetzt kaum beeindruckt. Aber die Auslandsrumänen gelten als Störfaktor. Die Versuche, eine „legitime Regierung mit Gewalt zu stürzen“, sei ein „gefährlicher Präzedenzfall“, rechtfertigte die Dragnea treu ergebene Regierungschefin Viorica Dancila jetzt den Prügeleinsatz der Polizei in einem Brief an die EU-Kommission.

Auf vier Millionen Menschen wird die Zahl der im Ausland lebenden Rumänen geschätzt: Die Diaspora macht damit rund ein Fünftel der Bevölkerung des Karpatenstaats aus. Insgesamt 40 Milliarden Euro sollen die Arbeitsemigranten im vergangenen Jahrzehnt an ihre Angehörigen in der Heimat überwiesen haben. Doch nicht nur wirtschaftlich sind die Emigranten ein Faktor. Auch politisch spielen sie eine zunehmend wichtigere Rolle – und haben sich in den vergangenen Jahren als eine wichtige Triebkraft der Veränderung entpuppt. 2009 gingen bei den Präsidentenwahlen noch 200 000 Exil-Rumänen an die Urnen. 2014 waren es bereits 500 000. Aber nicht nur deshalb sollten sie bei dem Urnengang den Ausschlag geben. Der damalige Versuch der regierenden PSD, die eher oppositionsnahe Diaspora im ersten Wahlgang mit einer viel zu kleinen Zahl von Wahlkabinen an der Stimmabgabe zu hindern, führte zu langen Warteschlangen vor den Botschaften – und zu aufgebrachten Reaktionen auch in Rumänien. Die Empörung der Diaspora schwappte auf die Heimat über, denn fast jeder Rumäne hat Verwandte in der Fremde. Der zweite Wahlgang wurde zur Protestwahl: Die ungewöhnlich hohe Beteiligung in der Stichwahl verhalf dem Oppositionskandidaten Klaus Johannis zum überraschenden Sieg.

Exil-Rumäne: In Frankreich funktioniert das System

Schon seit 2001 lebt der bei einem staatlichen Forschungsinstitut angestellte Chemiker Andrei Corbu in Paris. Natürlich würden auch die Franzosen über Missstände klagen, aber letztlich seien sie stolz auf ihr „großartiges und stabiles Land“, berichtet der 38-jährige Familienvater: „Frankreich ist eine offene Demokratie – und das System funktioniert.“ Ganz anders sei die Situation in Rumänien, seufzt der gebürtige Bukarester: „Bei uns bekleiden verurteilte Straftäter öffentliche Ämter. Unsere Regierung kümmert sich nicht um den Bau von Brücken, Straßen, Krankenhäusern oder Schulen. Das Einzige, was sie interessiert, ist der persönliche Vorteil.“

Die Korruption in Rumänien sei so groß und öffentlich geworden, dass sich Politiker deswegen nicht einmal mehr verstecken würden, klagt die Wahl-Münchnerin Irina Blaj: „Korruption ist bei uns sozusagen transparent. Unsere Politiker sind vor allem damit beschäftigt, Gesetze zu schaffen, um nicht ins Gefängnis zu wandern.“Die Diaspora werde von westlichen Geheimdiensten gesteuert, die in Rumänien ein ihnen genehmes Regime installieren wollten, verkünden die von der Regierung kontrollierten Medien. Die Auslandsrumänen ließen sich von der Regierung nur sehr schwer manipulieren und hätten vor dieser „auch keine Angst“, sagt hingegen die Soziologin Blaj: „Man kann uns nicht mit versprochenen Lohn- oder Rentenerhöhungen beeindrucken. Wir haben mittlerweile eine andere Mentalität. Wir sehen, dass es in jedem Land Probleme gibt, aber dass Demokratie überall in Europa möglich ist und dass es besser geht als in Rumänien.“

In den Medien kursieren Verschwörungstheorien

Wie Blaj war auch der Familienvater Corbu zu der Großdemonstration in seine Geburtsstadt gereist. Auch wenn seine beiden Kinder „fast schon französisch“ seien, fühle er sich weiter als Rumäne, erklärt der Chemiker, warum er sich in der Auslandsorganisation der Antikorruptionspartei USR engagiert: „Es gibt trotz aller Apathie in Rumänien auch viel positive Energie. Ich glaube daran, dass wir gemeinsam die Dinge verändern können.“

Er wolle seinen Kindern einmal sagen können, dass er zumindest alles versucht habe, damit Rumänien ein Land werde, in das sie zurückkommen könnten, wenn sie das wollten, sagt Andrei Corbu: „Ich will ihnen nicht sagen müssen, ich komme aus einem Land, das weit weg und schlecht ist – vergesst es. Das kann ich nicht, ich bin immer noch Rumäne.“