Vermummte Teilnehmer eines „Autonomen Staffellaufs“ sind am 2015 beim Schanzenfest in Hamburg am Neuen Pferdemarkt unterwegs. Foto: dpa

Die Verharmlosung linksextremer Gewalt muss ein Ende haben, fordert unser Kommentator Wolfgang Molitor nach den schweren Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg.

Stuttgart - Jetzt blasen sie wieder die Backen auf. Rufen nach der ganzen Härte des Gesetzes und finden urplötzlich eine europaweite Extremisten-Datei unerlässlich. Kaum lässt der Schock nach den linksextremen Hamburger Gewaltnächten nach, da versucht die Politik wie im Reflex, so schnell wie möglich die Deutungshoheit über Abläufe und Konsequenzen zurückzugewinnen; die offenkundige Ahnungslosigkeit durch verbale Handlungsfähigkeit zu übertünchen; mit neuen Plänen und alten Forderungen dort muskelzeigend die Initiative an sich zu sich zu reißen, wo unter Mitwirkung einflussreicher extremroter und grüner Parteikreise seit langem larmoyantes Wegsehen und verständnisvolle Tatenlosigkeit herrscht.

In den Parteien wächst, oft erkennbar widerwillig, erst unter dem Eindruck sich zusammenrottender linksextremer Verbrecherbanden endlich die Einsicht, dem selbstherrlichen Treiben einer gewaltbereiten Szene am brutallinken Rand mit idealisierend spätpubertärer Widerstandsromantik allzu nachsichtig begegnet zu sein. Doch so einfach geben die Verharmloser asozial-linksextremer Mordlust nicht auf. Nicht wenige werden auch künftig der Versuchung nicht widerstehen, süffisant zwischen linker und rechter Gewalt, zwischen Mittel und Zweck zu unterscheiden – statt Verbrechen einfach Verbrechen zu nennen.

Berechtigter Protest mit Gewaltexzessen konterkariert

Es wird wohl dauern, bis eine europaweite Extremisten-Datei aufgebaut ist. Und so richtig und wichtig die Forderung im Kampf gegen marodierende in Europa herumreisende linksextreme Gewalttäter auch ist: Vor allem muss es darum gehen, in Deutschland klare Zeichen zu setzen, dass der Staat nicht bereit ist, gewaltfreie Räume als Ausdruck einer speziellen pseudopolitischen Selbstverwirklichung hinzunehmen. Dazu gehört zwangsläufig die Schließung des Hamburger Linksautonomenzentrums Rote Flora, das nicht zum ersten Mal als Eiterherd lokaler Zerstörungswut geortet wurde.

Noch nie hat es in Deutschland so viele linksextremistische Menschen gegeben wie heute. Der Verfassungsschutz schätzt ihre Zahl auf 28 000, darunter rund 8500 gewaltorientierte (in der rechtsextremen Szene sollen es nach Behördenangaben 12 100 sein). Es wird höchste Zeit, beide staatsfeindlichen Ränder gleichermaßen hart bereits in ihrem Umfeld zu bekämpfen. Gerade dort, wo sich Gewerkschaften, Kirchen und viele gutmeinende Nichtregierungsorganisationen friedlich engagieren, bietet sich Linksextremen ein weites Feld, um sich mit ihrer Vulgärkritik am Kapitalismus einzureihen und den berechtigten Protest mit ihren Gewaltexzessen zu konterkarieren.

Kapitalismuskritikern die Augen geöffnet

Wer Autos anzündet und Polizisten mit Steinen bewirft, verdient keine politische Relativierung wie die von Linkspartei-Chefin Katja Kipping, die mit dem Finger auf die Polizei zeigt, um in völliger Verkennung der Fakten „eine maßlose Einschränkung des Demonstrationsrechtes“ zu beklagen. Möglich, dass die Hamburger Bürgerkriegsszenen so manchem Kapitalismuskritiker die Augen geöffnet haben, welche schmutzigen Ziele die linksextreme Szene in diesem Land wirklich verfolgt und dass schwarze Blöcke keine Brüder im Geiste sein können. Garantiert aber ist das nicht.

Der Kampf gegen den Extremismus links und rechts ist nicht allein mit härteren Gesetzen und internationalen Dateien zu gewinnen. Er setzt eine gesellschaftliche Ächtung und klare politische Ausgrenzung statt naive Toleranz voraus. Daran aber hapert es. Solange ihre Motive für irgendwie tolerabel und förderungswürdig gehalten und nur ihre Brutalität abgelehnt wird, kann sich die linksextreme Szene weiter auf die Schenkel klopfen.

wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de