Nach monatelangen Kämpfen steht die irakische Armee kurz vor dem Sieg über die Terrormiliz Islamischer Staat in Mossul. Foto: dpa

Die Terrororganisation Islamischer Staat wird aus der irakischen Stadt Mossul vertrieben. Aber der Westen kann sich nicht zurücklehnen, meint unser Kommentator Franz Feyder. Denn der Terror ist noch lange nicht besiegt.

Stuttgart - Noch gut 20 Quadratkilometer, dann ist Mossul wieder in der Hand der irakischen Regierung. Dann sind jene Schergen aus der Metropole verschwunden, die genau hier vor genau drei Jahren ihren „Islamischen Staat“ ausriefen. Ein Kalifat, das vom Atlantik bis zum Indischen Ozean, von den Alpen bis zum Ruwenzori-Gebirge im Herzen Afrikas reichen sollte. Eine Welt für die Muslime, die den Islam genau so interpretieren wie sie selbst: blutrünstig, voller Unterdrückung, menschenverachtend – den Gott der Muslime verleugnend. Wer sich dieser, ihrer Vision nicht beugt, den zwingen die Terroristen des Abu Bakr al-Baghdadi brutal unter ihre Knute. Gleichgültig, ob er Christ, Jude, Atheist – oder Muslim ist.

Mossul also wird in den kommenden Wochen den Mördern des „Islamischen Staates“ (IS) entrissen. Das syrische Rakka wird in Jahresfrist folgen. Unbestreitbar sind das empfindliche Niederlagen. Das Ende der Terrororganisation, ein Ende der weltweiten Anschläge bedeutet das aber noch lange nicht.

Die Anführer des IS programmierten genau im Augenblick ihres bisher scheinbar größten Erfolges, den blutigen Attentaten in Paris, genau das, was in diesen Tagen geschieht: Die Niederlage auf einem Gefechtsfeld, auf dem nach mehr oder wenigen konventionellen Maßstäben gekämpft wird. Auch den Terrorführern musste klar sein, dass Frankreich und die gesamte westliche Welt nach den Anschlägen im November 2015 ihre Militärmaschinerie in Gang setzen würden, um Rache zu üben und dem IS auf den Schlachtfeldern der Levante, in Syrien und im Irak, den Garaus zu machen. Das ist weitestgehend gelungen. Warum jedoch al-Baghdadi und seine Kumpane den offenen Kampf überhaupt in Kauf nahmen, bleibt Spekulation.

Bereit zum Selbstmordattentat in der Fußgängerzone

Sicher ist allerdings das, was derzeit parallel zu der sich abzeichnenden Niederlage des IS in Syrien und zur Vertreibung aus dem Irak geschieht: ein Anstieg von Terroranschlägen – vor allem in der westlichen Welt, in Indonesien und Malaysia. Konventionell unterliegt der IS, terroristisch erstarkt er wie nie zuvor. Hunderte kampferprobte Männer und Frauen stehen bereit, sich weltweit in Fußgängerzonen in die Luft zu sprengen, in Bars und Restaurants um sich zu schießen, ihr Wissen in Ausbildungslagern an junge Menschen – vor allem an Kinder – weiterzugeben. Das belegen zahlreiche Videos, die die Terroristen verstärkt seit Mitte vergangenen Jahres im Internet verbreiten.

Sie folgen damit den Überlegungen ihres Gründers und Ziehvaters al-Baghdadis, Abu Mus’ab az-Zarqawi. Der 2006 bei einem US-Luftangriff im Irak getötete Anführer von Al-Kaida im Irak impfte seiner Terrorgruppe ein, bei einer drohenden Niederlage in der konventionellen Auseinandersetzung auf dem Gefechtsfeld ihr Heil in Terroranschlägen zu suchen. Gedanken, die sein Ziehsohn al-Baghdadi beherzigte: Er gründete nicht nur den IS, sondern auch die vor allem in Syrien aktive Gruppe „Jabhat al-Nusra“, die sich heute zu Al-Kaida bekennt. Ein unerschöpflicher Quell für den Terrornachwuchs.

Nur gut 20Quadratkilometer noch, bis die Terroristen aus Mossul vertrieben sind. Das ist aber keine Zeit für Jubelfanfaren und Siegesparaden. Denn der IS verschwindet damit nicht. Die jüngste Vergangenheit in England, Frankreich und Berlin hat gezeigt: Die Terroristen werden dort zurückschlagen, wo der Westen am verwundbarsten ist: bei Konzerten, auf Volksfesten, in Fußgängerzonen. Nicht nur heute. Sondern noch viele Jahre lang.