Im Frühjahr waren die Kliniken in Frankreich, wie hier in Straßburg, mit der Anzahl an Corona-Patienten überfordert – auch jetzt könnten sie in wenigen Tagen wieder an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, warnen Verantwortliche. Foto: imago /Hans Lucas

In Frankreich steckten sich am Wochenende mehr als 50 000 Menschen an einem Tag mit dem Coronavirus an, die Lage droht, außer Kontrolle zu geraten. Die Politik will die Wirtschaft aber nicht abwürgen, auch die Grenze zu Deutschland soll offen bleiben.

Paris - Frankreich gelingt es nicht, die Corona-Pandemie wirksam einzudämmen. Zum ersten Mal hat die Zahl der täglichen Neuinfektionen die Marke von 50 000 übersprungen. Jean Rottner, Präsident der deutsch-französischen Grenzregion Grand Est, ist angesichts dieser Entwicklung alarmiert. Im Nachrichtendienst Twitter schreibt der Politiker, dass „wir auf einen Lockdown“ zusteuern. Allerdings, glaubt Rottner, werde dieser anders aussehen als während er ersten Corona-Welle im Frühjahr. Damals war die französische Wirtschaft durch eine rigorose Ausgangssperre schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.

Die Wirtschaft muss weiter funktionieren

In einem Interview mit dem Radiosender France Info präzisierte Rottner seine Vorstellungen. Die Wirtschaft müsse weiter funktionieren, Arbeitsstunden könnten etwa besser verteilt und das Homeoffice ausgeweitet werden. Auch sollten die Schulen weiter geöffnet bleiben. Wichtig sei es aber, unterstreicht Jean Rottner, dass alle Verantwortlichen schon jetzt über mögliche harte Maßnahmen offen diskutierten und nicht erst, wenn die Infektionszahlen weitere kritische Werte übersteigen. Die Regierung müsse deshalb schnell das Gespräch mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften suchen.

Auch Jean-François Delfraissy warnt vor einer gefährlichen Entwicklung. Der Leiter des wissenschaftlichen Ausschusses, der die französische Regierung berät, sagte am Montag, dass die Pandemie in Frankreich bis auf 100 000 Neuinfektionen pro Tag anwachsen könnte. Die „Situation ist sehr schwierig, sogar kritisch“, sagte der Mediziner in einem Interview mit dem Sender RTL. Er sei erstaunt von der „Brutalität“, mit der die Pandemie voranschreite. „Diese zweite Welle wird sicherlich viel stärker als die erste“, erklärte Jean-François Delfraissy.

Frankreich schwer von Corona getroffen

Frankreich gehört zu den am schwersten vom Corona-Virus betroffenen Ländern in Europa. Seit Beginn der Pandemie starben fast 35 000 Menschen in Zusammenhang mit dem Virus. Derzeit werden den Angaben zufolge mehr als 2570 Menschen auf Intensivstationen behandelt. Auf dem Höhepunkt der Pandemie im Frühjahr waren es mehr als 7000 Patienten. Als zweites europäisches Land nach Spanien hatte Frankreich am Freitag die Marke von einer Million nachgewiesenen Corona-Infektionen überschritten. Die Kliniken melden, dass sie bereits in den nächsten Tagen wieder an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen könnten.

In den Griff bekommen will die französische Regierung die Lage unter anderem mit der Ausweitung der Ausgangssperre vor allem in den großen Städten des Landes. Davon sind inzwischen rund zwei Drittel der Bevölkerung betroffen. Seit Samstag dürfen 46 Millionen Franzosen ihre Häuser in der Zeit zwischen 21 Uhr und sechs Uhr nicht verlassen. Die Regelung gilt zunächst für sechs Wochen.

Die Grenze soll offen bleiben

Im deutsch-französischen Grenzgebiet sollen sich die chaotischen Zustände während der ersten Welle nicht wiederholen. „Neue Grenzschließungen und eine Rückkehr zu einer ähnlichen Situation wie im Frühjahr dieses Jahres müssen unter allen Umständen vermieden werden“, erklärte jüngst der französische Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentarier-Versammlung, Christophe Arend. Aus diesem Grund hat sich die deutsche Seite inzwischen auf eine einheitliche Regelung von Einreisen ins Bundesgebiet geeinigt – überaus wichtig sind dabei die Ausnahmen für den kleinen Grenzverkehr. Das bedeutet konkret, dass ab dem 8. November die Quarantäne nach der Einreise aus einem ausländischen Risikogebiet von 14 auf zehn Tage verkürzt wird. Nach frühestens fünf Tagen kann sie mit einem negativen Corona-Test abgekürzt werden.

Neu ist, dass es – anders als zu Beginn der Pandemie – umfassende Regelungen für Grenzregionen gibt. So gilt nach Paragraf 2 der Verordnung für „Personen, die sich im Rahmen des Grenzverkehrs mit Nachbarstaaten weniger als 24 Stunden in einem Risikogebiet (..) aufgehalten haben oder für bis zu 24 Stunden in das Bundesgebiet einreisen“, eine generelle Ausnahme. Aufenthalte von weniger als 72 Stunden sind ohne Formalitäten oder Quarantäne möglich, wenn einreisende Personen Verwandte ersten Grades, den Ehepartner, Lebensgefährten oder den anderen Elternteil besuchen, mit dem sie nicht zusammenwohnen.