Inklusion? Das gibt’s nur für andere, meinen gehörlose Eltern. Kein Gesetz gesteht ihnen eine ausreichende Kostenübernahme für Dolmetscher zu.
Stuttgart - Janina Dieudonné gerät in Rage, wie sie so von ihren Erlebnissen erzählt. Ihre kleine Tochter Emilia, die ihr während des Gesprächs auf dem Schoß sitzt, muss sich die Ohren deshalb nicht zuhalten: Die Mutter ist gehörlos und gebärdet, das heißt, sie spricht in Gebärdensprache.
„Ich mache mir wirklich Sorgen wegen der Kita. In einem Kinderhaus, in dem ich einen Platz gefunden habe, ist meine Tochter zunächst abgelehnt worden, weil mit mir und meinem Mann, der schwer hörend ist, keine Kommunikation möglich sei“, erzählt sie mit zackigen Bewegungen der Hände und gelegentlich klatschenden Geräuschen. Sie selbst ist Heilerziehungspflegerin und beruflich als Integrationshelferin an einer Schule für Gehörlose tätig. Mit Hilfe eines Dolmetschers hätte sie die Kita-Hürde locker nehmen können, „aber ich habe keinen Anspruch auf Kostenersatz, und meinen Antrag auf Kostenübernahme hat der Behindertenbeauftragte der Stadt abgelehnt“, erzählt Janina Dieudonné weiter.
Situation seit 30 Jahren unverändert
„Noch nicht einmal dann, wenn Emilia in der Kita ist – sie ist jetzt 1,5 Jahre alt und kann hören und sprechen – übernehmen Land oder Stadt die Finanzierung für Dolmetscher bei Elternabenden oder für Gespräche mit den Erzieherinnen“, ergänzt Sonja Fertig, die Leiterin der Dolmetschervermittlung für Gebärdensprache Baden-Württemberg. Janina Dieudonné ist 29 Jahre alt; sie sagt: „Auch meine Eltern sind gehörlos und haben sich an Mitschrieben anderer Eltern orientieren müssen oder ein Familienmitglied gesucht, das sie zu solchen Anlässen begleitet hat. Es kann doch nicht sein, dass sich das nach 30 Jahren noch immer nicht geändert hat.“
Und doch ist es so: Für die Kommunikation in Kitas müssen Eltern den Dolmetscher selbst bezahlen. Pro Stunde fallen dafür 75 Euro an, die Fahrtkosten kommen hinzu. Sonja Fertig darf in diesen Fällen kein Geld aus dem Budget nehmen, das jährlich vom Land zur Verfügung gestellt wird. „80 000 Euro pro Jahr sind das, die wir jährlich neu beantragen müssen und wofür es erst Ende Juni einen Bewilligungsbescheid gibt“, sagt Sonja Fertig. Das führe dazu, dass in der Zwischenzeit viele Anfragen von Eltern abgelehnt werden müssten. Weil sich das Jahresbudget aber am ausgegebenen Geld des Vorjahres bemesse, würde der Landeszuschuss stetig sinken, was eigentlich nur mit Hilfe eines Kredits zu vermeiden sei.
Ehrenamt wird ausgebremst
„Jährlich gehen mindestens 500 Anfragen bei uns ein, im Jahr 2016 haben wir weit über 500 bewilligt“, sagt die Vermittlerin. Anspruch darauf haben beispielsweise Eltern von Schulkindern für Elternabende, allerdings nicht für Einschulungsfeiern oder Elterninformationsabende beispielsweise mit der Polizei oder anderen Institutionen, noch für andere Schulveranstaltungen.
Noch nicht einmal ein Vater, der ein Ehrenamt übernimmt, kann sich auf das Land verlassen. Diese Erfahrung hat Andreas Frucht gemacht. Der 47-jährige Technische Zeichner ist Vater zweier Kinder und war von der 1. bis zur 8. Klasse seines Sohnes Elternbeirat an einer allgemeinbildenden Schule. Sechs Jahre lang hat auch er den Dolmetscher selbst bezahlt oder sich mit Bekannten beholfen, die für ihn in Gebärdensprache übersetzt haben, was zwischen Elternvertretern, Lehrern und Rektoren zu besprechen war. „Vor zwei Jahren wollte ich endlich Klarheit, habe mit der Schulleitung Unterschriften gesammelt und sie bei unserem Landratsamt eingereicht.“ Das Amt lehnte abermals ab. „Daraufhin habe ich mein Amt aufgegeben“, sagt Andreas Frucht. „Wir brauchen ein Gesetz, das uns die Chance gibt, bei allem, was in und rund um die Schule geschieht, dabei sein und auch ein Ehrenamt ausüben zu können“, dass ist die Lehre, die Andreas Frucht gezogen hat.
Gehörlose wollen Rechtsanspruch
Das Land Baden-Württemberg hat bis heute keine gesetzliche Grundlage geschaffen, um gehörlosen Eltern einen Rechtsanspruch zu gewähren. Dabei gäbe es gute Beispiele aus allen anderen Bundesländern. In Bremen stehen Gehörlosen sogar 30 000 Euro pro Jahr zur Verfügung, damit sich die Betroffenen auch in Alltagsdingen Dolmetscherhilfe holen können, zum Beispiel bei Amts- und Rechtsgeschäften. Mit einer Kampagne wollen die Gehörlosen nun die Landesregierung Baden-Württemberg wachrütteln
Bis zum 31. Juli sammeln sie Unterschriften für einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Übernahme von Dolmetscherkosten bei Elternabenden, Elterngesprächen und Veranstaltungen in Schulen und Kindergärten sowie die Erhöhung des jährlichen Budgets für weitere wichtige Bereiche in Bildung und Betreuung. „Wir haben bereits mehr als 1500 Unterschriften mit der Online-Petition (openpetition.de/!dolmetscher) gesammelt und hoffen, bis zum Ende die 3000 zu knacken“, sagt Andreas Frucht.