Einfach nur seine Arbeit machen, das scheint nicht mehr möglich in dieser vom Kreativitätsdruck überforderten Gesellschaft, sagt René Pollesch mit seinem klugen Stück, das er am Samstag für das Staatsschauspiel Stuttgart im Kammertheater uraufgeführt hat.
Einfach nur seine Arbeit machen, das scheint nicht mehr möglich in dieser vom Kreativitätsdruck überforderten Gesellschaft, sagt René Pollesch mit seinem klugen Stück, das er am Samstag für das Staatsschauspiel Stuttgart im Kammertheater uraufgeführt hat.
Stuttgart - „Oh, oh, oh!“ Astrid Meyerfeldt breitet die Arme aus. „Oh, ist das schön. Das ist ja ganz wunderbar.“ Der weiße Hammer. Auf das Staunen folgt ein resolutes „Den nehm’ ich.“ Ein gigantischer Lufthammer, bühnenhoch, wenn er, wie jetzt, prall aufgepumpt ist. Damit könnte sie jetzt ihre Kreativität bearbeiten. Obwohl – sie ja gerade nicht: „ich bin gar nicht kreativ“, ereifert sie sich gelegentlich. „Ich würde meinen Job verlieren, wenn ich kreativ wäre.“
Zu der herumliegenden Sichel passt der Hammer aber auch nicht mehr. Marx? Kapital? Produktivkräfte? Kein Thema mehr. Ohnehin weiß kein Mensch mehr so recht, was die Arbeit überhaupt sein soll; aber jeder überhöht sie, vergöttert sie, was dann auch das Jesusgemälde auf der Bühne von Janina Audick erklärt und all der Reliquienplunder, der auf einer ins Nirgendwo führenden Treppe platziert ist. Arbeit, Kreativität, Glaube, Liebe – um diese Begriffe kreist René Polleschs Text „Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist“, den der Autor und Regisseur am Samstag im Stuttgarter Kammertheater uraufgeführt hat.
Der Abend lebt von einer Mischung aus Theorie und Körpertheater. Schöne komplizierte Sätze, die auf einen niederprasseln, die einen berühren und verwirren und überfordern. Erzählungen, bei denen die Sprecher den Faden verlieren, ihn unter irgendeinem Gerümpel oder einem Requisit wieder finden, werden wild mit anderen Erzählungen, mit Krimi- und Theoriefragmenten kombiniert. Das sind Pollesch-Glücksmomente, die man seit „Smarthouse 1+2“ 2001 immer wieder auch in Stuttgart erleben konnte und auch an diesem Abend erlebt.
Ein Diskurs dieses Mal, der erstaunlich bodenständig wirkt, weil er von Arbeit handelt, etwas also, das (fast) jeder kennt. Und so sieht man vier Menschen dabei zu, wie sie sich abarbeiten an der Arbeit und an dem Kreativitätszwang, der (vermeintlich) Selbstverwirklichung garantiert – nicht nur in der Kunst, sondern überall: „Jeder Horst in der Verwaltung denkt plötzlich, er müsste ein Künstler sein.“.
Christian Schneeweiß zum Beispiel soll wie ein Model einfach nur mal auf- und abgehen, Johann Jürgens schärft ihm ein: „Du musst nichts dazu machen. Ja, ich weiß, du bist nicht so schön wie die Models, die da auf dem Laufsteg gehen, du bist nur ein Schauspieler. Aber mach einfach, was die machen. Du musst nicht witzig sein, aus Angst, es würde nicht reichen“ – was aber bei Christian Schneeweiß nur zu einem verständnislosen Blick führt. Wer macht schon einfach nur seine Arbeit? Keiner. Weil heute jeder glaubt, er müsse auch noch kreativ sein. Und so kommt man bei dieser einstündigen Performance von der Kreativität rasch zum Thema Glauben, zur Überlegung, ob es nicht vielleicht reicht, Leute zum guten Leben anzuhalten, auch wenn man selber vielleicht gar nicht gut ist.
Zu einem Schlagabtausch, der von der Religiosität zur Sprachakt-Theorie führt und zu der Frage, ob gewisse Aussagen immer auch praktische Folgen haben müssen: „Ist es nicht offensichtlich“, fragen sie sich, „dass etwas schrecklich Gewalttätiges darin liegt, einem anderen Menschen seine Leidenschaft für ihn offen zu zeigen? Die Tatsache, geliebt zu werden, ist nun mal eine zutiefst traumatische Erfahrung.“ Sobald Johann Jürgens „Ich liebe dich“ sagt, kugelt Peter Kurth sich sofort auf ihn und küsst ihn ab, und Astrid Meyerfeldt windet sich zwischen ihnen durch und stürzt sich auf Christian Schneeweiß.
Dies tut sie, wenn sie nicht gerade eine Schauspielerin spielt, die von großen Rollen träumt, auf die riesige Leinwand auf der Bühne zeigt und sagt „Ist das eine Leinwand? Ich hasse Video!“ – hinter der Bühne aber winkt sie eifrig den Kameramann her, damit sie ihre Botschaften möglichst in Großaufnahme in die Kamera sprechen kann. Gerade Slapstickszenen funktionieren besonders gut, wenn einer allein im Bühnenuntergrund verschwindet und zu zweit wieder herauffährt und alle dabei ungerührt munter durcheinander weiterreden über Sherry und Katholizismus, über Seenotrettungskreuzer, Mollusken und Schnurrbärte.
Und immer wenn Schnelligkeit und Hysterie sich paaren und das Geschehene und das Gesagte eben nicht übereinstimmen, gelingen tolle Momente.
Nicht alle kommen aber mit den hochtourigen, von postmodernen Denkern inspirierten Pollesch-Sätzen klar, die Tempo und gewisse Distanz bei den Sprechenden erfordern. Und so wirkt der Rhythmus allzu schleppend, wenn die vier Darsteller sich am Bühnenrand zum Theorietalk zusammensetzen und Christian Schneeweiß und Johann Jürgens zögern, sich hineinzudenken in das, was sie sagen, anstatt die Sätze wie bizarre Vasen vor sich hin zu stellen, um darüber zu staunen. Oder sich zu distanzieren. Oder aber sich auch mal über 50-jährige Achtsamkeitsvertreter, „die auf der Straße energetisch in einen Apfel beißen“, ernsthaft in Rage zu reden wie Peter Kurth.
Kein ganz großer, aber ein amüsanter, kluger Abend.
Weitere Termine: 6., 7., 9., 12.–14., 17. Oktober, 9., 10. November, 1., 3., 6. Dezember. Karten 07 11 / 20 20 90. Mehr unter: www.schauspiel-stuttgart.de