Lukas Rüppel, Stephanie Schönfeld, Schirin Sanaiha, Gabriele Hintermaier und Boris Burgstaller (v.l.) in einer Probenszene des Stückes 'Kürzere Tage'. Foto: dpa

Das Staatsschauspiel enttäuscht mit einer müden Dramatisierung des Romans "Kürzere Tage".

Stuttgart - Mit der Dramatisierung des in Stuttgart handelnden Romans "Kürzere Tage" von Anna Katharina Hahn hätte das Staatsschauspiel Stuttgart am 31. Januar im Kammertheater bürgerliches Theater auf der Höhe der Zeit zeigen können. Die Chance wurde vertan.

Liebe, erfüllte und unerfüllte. Ein gutbürgerliches Viertel, das nur durch eine Staffel von einer Gegend gesellschaftlicher Verlierer getrennt ist - Anna Katharina Hahns Roman "Kürzere Tage" handelt auch davon. Es sind dies genau die Themen von "Stäffele to heaven". Das Staatstheater-Projekt über Liebe in Stuttgart stellt Fragen, zum Beispiel, ob sich Liebende aus ähnlichen sozialen und kulturellen Milieus finden oder nicht. Dem Roman der Stuttgarter Autorin kommt in diesem mehrteiligen Projekt eine zentrale Rolle zu. Umso erstaunlicher war die Theaterversion: ein Jugendstück.

Man sieht zu Beginn fünf Schauspieler auf dem Gestell mit Treppen, die von der Unterbühne bis zum Bühnenhimmel reichen, Hannes Hartmann hat es für das Projekt im Stuttgarter Kammertheater gebaut. In einer spöttischen Haltung setzen sie im Kanon sprechend die Zuhörer ins Bild. "Die Constantinstraße liegt still im Nachmittagslicht. Braungelbe Sandsteinhäuser wölben ihre verzierten Fassaden nach vorne wie frische Brote und Kuchen .. . das Nussaroma zerquetschter Blätter auf dem Gehweg". Was sie nicht sagen, ist: dass die Erzählerin Judith diese Idylle im schönen Lehenviertel in Stuttgart sieht, während sie, von Selbsthass und Ängsten geplagt, in ihrer Wohnung an sich selbst verzweifelt.

Man erfährt nichts davon, dass sie ihren Ehemann verachtet und immer noch einem zynischen, schönen Medizinstudenten nachheult. Man erfährt auch nichts von den Demütigungen, die sie noch erleben wird. Ebenso wenig klar wird die Beziehung der aus der besseren Gesellschaft stammenden Leonie und ihrem karrieristischen Heslach-Proleten, der seinen Aufstieg durch verschiedene Wohnorte geografisch markiert. Auch der Tod, der die lange glückliche Liebe eines dritten Paares beendet, wird mit Slapstick und Tütteligkeit abgetan.

Man sieht groteske Gestalten. Hysteriker mit Luxusproblemen, die polternd die Treppen hinauf- und hinunterrennen oder sich zwangsneurotisch am Geländer festklammern. Hass, Liebe und die mühsam errichtete Bürgerlichkeit interessieren die 1981 geborene Regisseurin Johanna Wehner nicht. Sie nimmt nur den 13-jährigen Marco (Lukas Rüppel), der von dem neuen Freund seiner Mutter verprügelt wird und der unaufhörlich wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen ruft: "Eino, ich komme." Er will zu Eino, der Ex seiner Mutter ist nach Estland heimgekehrt.

Um an Geld für die Fahrt nach Estland zu kommen, wird er einen Laden in der feinen Constantinstraße überfallen. Selbst dies erschließt sich schwer. In dem Tohuwabohu überdrehter Regiemätzchen und akrobatischer Übungen, dem gleichzeitigen Reden und Rennen, gelegentlich unterbrochen von weinerlichem Gehabe, gehen auch die präzisen, harten Milieuschilderungen Hahns unter. Das Tragische im vermeintlich Alltäglichen sieht die Regisseurin nicht.

Eine kluge Dramaturgie hätte aus einem großartigen Roman ein Stück machen können, das gesellschaftliche Verlogenheiten, die Befindlichkeiten der bürgerlichen Mitte seziert. Szenen gibt es in dem Roman, die schmerzen in ihrer Eindringlichkeit. Die mit nur 80 Minuten kurze und doch müde Theaterversion lässt einen fassungslos staunen. Welche Chance wurde hier vergeben, zeitgenössisches bürgerliches Theater zu machen, das sein Publikum trifft. Man bewundert Anna Katharina Hahn für die Contenance, mit der sie sich nach der Uraufführung verbeugte. Der Abend hat mit ihrem Roman kaum mehr als den Titel gemein.

Anna Katharina Hahn: Kürzere Tage. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main. 223 Seiten. 19,80 Euro. Weitere Termine der Theaterfassung im Kammertheater Stuttgart am 2., 19.–21., 26.–28. Februar, 12., 14., 25. März. Kartentelefon: 07 11 / 20 20 90.