Die Musiker Lambert Colson, Liam Byrne, Philipp Lamprecht und Elina Albach (von links) sorgten für außergewöhnlich farbige Klangbilder. Foto: Rainer Kellmayer

Musikerin Elina Albach hat das musikalische Material der Monteverdi-Oper „L’Orfeo“ erst seziert und dann wieder neu komponiert. Das Podium überträgt per Livestream eine minimalistische Fassung der Opern-Produktion.

Esslingen - Dramatische Kraft, Emotionen und menschliche Abgründe: Alles, was eine Oper ausmacht, hat Claudio Monteverdi in sein 1607 in Mantua uraufgeführtes Bühnenwerk „L’Orfeo“ gepackt. Es beleuchtet in freier Interpretation den Mythos der griechischen Tragödie um Orpheus und Eurydike. Wenn sich eine innovative Musikern wie Elina Albach mit diesem Stoff beschäftigt, darf man Besonderes erwarten. Getreu ihrem Credo, dass „barocke Musik zeitgemäß ist, jedoch stetig neue Impulse braucht“, hat die Expertin für alte Musik das musikalische Material der Monteverdi-Oper erst seziert und dann wieder neu komponiert.

Kammermusikalischer Minimalismus

Das Ergebnis übertrug das Podium Esslingen am Sonntagabend in einem Livestream aus dem Evangelischen Gemeindehaus am Blarerplatz. Ausgestrahlt wurde eine auf das Wesentliche reduzierte Fassung des „Orfeo“ in neuem Klanggewand: mit kreativen Ansätzen, die Hürden zwischen den Genres abbrachen und Altes mit Neuem kombinierten. Mit dem Stream der auf kammermusikalischen Minimalismus heruntergebrochenen Opernproduktion, setzte das Podium einen markanten Schlusspunkt des Themenmonats April, in dem das Festival mit „Past Forward“ einen Blick in die Zukunft der klassischen Musik wagte.

Das Unterfangen war mutig: Kann man eine Oper, die im Original mit Solisten, Chor und Orchester besetzt ist, und in deren Zentrum mit Orpheus ein begnadeter Sänger der Antike steht, auf vier Instrumentalisten reduzieren und zugleich auf eine Dramaturgie und ein Bühnenbild verzichten? Das Experiment gelang, obwohl einige Stränge des Operngeschehens der Begrenzung des Streams auf eine Stunde zum Opfer fielen. Hierfür entschädigten außerordentlich farbige Klangbilder und die gelungene musikalische und optische Realisation, bei der den Gambeninstrumenten die Partie des Orpheus zugewiesen war und dessen Frau, die Nymphe Eurydike, durch verschiedene Zinken- und Blockflötenklänge symbolisiert wurde.

Ätherisch schöne Klänge und melismatische Melodiefragmente

Den Prolog eröffnete Philipp Lamprecht mit einem Pianissimo-Trommelwirbel – dann schichteten sich über einem Pedalton ätherisch schöne Klänge und melismatische Melodiefragmente auf. Lambert Colson entlockte verschiedenen Zinken trompetenähnliche Klänge und setzte den tänzerischen Partien mit der Blockflöte helle Klangkronen auf, trefflich unterstützt von Handtrommeln und Tambourin. Mit seinem umfangreichen Schlagzeug-Equipment sorgte Philipp Lamprecht für steten Wechsel der Klangfarben – mal mit verschiedenen Stabspielen fein kolorierend, dann mit einem ganzen Arsenal an Schlaginstrumenten klare Akzente setzend, und schließlich mit der Landsknechtstrommel und unter gewaltigem Glockeneinsatz hohe Phonzahlen ansteuernd. Den Gegenpol setzten die reflektierenden Aktionen der Gamben. Ob Liam Byrne mit gekonntem Strich für betörende Gesanglichkeit sorgte oder zu ausgefeilten Dialogen mit den Blasinstrumenten ansetzte – stets bewegte er sich auf nobler Klangspur: instrumentaltechnisch gekonnt und geschmackvoll phrasierend.

Den vor wechselnden Bildprojektionen ablaufenden Klangaktionen gab Elina Albach auf Truhenorgel und Cembalo akkordisches Fundament. Gekonnt schattierte sie die verschiedenen Klangebenen, hielt die Fäden in der Hand und koordinierte die sich verzahnenden Abläufe reibungslos. Ein donnernder Trommelschlag setzte den Schlusspunkt unter die Liebestragödie um Orpheus und Eurydike, die durch die Übertragung der Gesangspartien auf Instrumente eine besondere dramatische Wirkung entfaltet hatte.