Der Umsturz hat bei vielen die Schleusen der Frustration über ihre Arbeitswelt geöffnet.

Kairo - Hupend und unter einer Wolke von Abgasen wälzt sich die Verkehrslawine am Montagnachmittag durch die Kasr-al-Aini-Straße. Normal für Kairos Innenstadt, würde man meinen. Doch vor der Einmündung zum Tahrir-Platz stehen am Straßenrand immer noch die Kampfpanzer der ägyptischen Armee, die dort auf dem Höhepunkt der wochenlangen Unruhen vor dem Sturz von Präsident Husni Mubarak in Stellung gebracht wurden. Rund 200 Menschen aus dem nördlichen Randbezirk Matarija bahnen sich ihren Weg zwischen Kampfgerät und Autoschlange. „Das Brot ist zu teuer!“, skandieren sie.

Wut über schlechte Arbeitsbedingungen

Drei Tage nach dem vom Volk erzwungenen Rücktritt Mubaraks glimmt der revolutionäre Funke noch. Überall stehen vor Behörden- und Firmensitzen große Menschenansammlungen. Es sind die Mitarbeiter dieser Institutionen, die ihre Wut über schlechte Arbeitsbedingungen, über korrupte und unfähige Vorgesetzte hinausschreien. Während der Massendemonstrationen gegen das Mubarak-Regime war der Tahrir-Platz der Ort, wo jeder frei von der Leber weg seine Kritik an den Verhältnissen im Lande artikulieren konnte. Jetzt ist der Tahrir-Platz überall.

Vor dem staatlichen Volksverlag in der Kasr-al-Aini-Straße demonstrieren die Redakteure zweier Zeitungen. Diese hatten früher zum Volksverlag gehört, wurden aber infolge einer Umstrukturierung dem staatlichen Mega-Verlag Al-Ahram eingegliedert. „Dort sind wir nur Mitarbeiter zweiter Klasse, mit viel schlechteren Gehältern“, beschwert sich einer der Demonstranten. Die Menge verlangt deshalb die Rückkehr zu ihrem alten Arbeitgeber.

Die Mitarbeiter des Unternehmens für Elektronik-Projekte ein paar Straßen weiter leiden unter der vor mehreren Jahren erfolgten Privatisierung ihrer Firma. „Wir wollen endlich feste Verträge“, steht auf einem Bogen Packpapier, den sie am gegenüberliegenden Zaun angebracht haben. Die Mitarbeiter fordern die Wiederverstaatlichung. Tatsächlich waren die Privatisierungen der Mubarak-Ära wenig transparent. Häufig wanderten die Werte in die Hände der korrupten, mit dem Regime verbundenen Spitzenmanager.

Polizisten auf Protest-Meeting - Niedrige Löhne

Rund tausend Polizisten veranstalten ein Protest-Meeting vor dem Innenministerium. Zeit ihres Lebens waren sie der strengen Disziplin der Ordnungsmacht unterworfen, jetzt sind die Schleusen geöffnet. Jeder will seine Geschichte erzählen, seine Frustrationen loswerden. „Ich habe vor neun Jahren die Polizei verlassen“, sagt der 39-jährige Mohammed Maksud. „Ich hatte Streit mit meinem Vorgesetzten. Ich hatte ihn kritisiert, weil er seine Untergebenen wie Hunde behandelt hat.“ Jetzt will der frühere Polizei-Hauptmann wieder in das Korps zurückkehren.

Hauptthema sind hier die niedrigen Löhne der Polizisten aus den niedrigen Ränge. Einer beklagt, dass er entlassen wurde, weil er manchmal nicht zum Dienst erschienen war - er hatte Nebenjobs annehmen müssen. „Von 400 Pfund (50 Euro) im Monat kannst du keine Familie ernähren“, sagt er. „Natürlich mussten wir Bestechungsgelder nehmen“, entfährt es einem anderen. „Wie sollte es auch anders sein bei diesen Gehältern.“

Sonderangebote sollen Käufer locken

Doch in den Straßen und Gassen von Kairo behauptet sich gleichzeitig die vitale Normalität des urbanen Geschäftslebens. Ein Elektronikhändler hat seine Satellitenschüsseln auf die Straße vor dem Geschäft gestellt. In der Mitte der vordersten Schüssel prangt ein Papier: „Sonderangebot! Jetzt kaufen: Alle Elektronik-Geräte für euren Haushalt zusammen 2300 statt 5000 Pfund.“ Der Verkäufer Mohammed Sika, der sich als Sympathisant der Demokratiebewegung zu erkennen gibt, erläutert die Geschäftsstrategie des revolutionären Preisnachlasses: „Die jungen Ehepaare sollen es leichter haben, wenn unser Land in eine neue Zukunft geht.“