Das Wasserkraftwerk Kachowka (rechts hinten) und die Staumauer des Stausees (Blick von der unteren, westlichen Seite) vor der Zerstörung. Foto: Wikipedia commons/Дзюбак Володимир/CC BY-SA 4.0

Während nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms große Teile der Südukraine überschwemmt sind, droht im Stausee selbst Wassermangel. Wir erklären, welche Folgen das für die Sicherheit des AKW Saporischschja hat.

Während nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms große Teile der Südukraine überschwemmt sind, droht im Stausee selbst Wassermangel. „Das Niveau liegt schon bei 12,50 Meter, das ist unterhalb des toten Punkts von 12,70 Meter“, sagt der Chef des Wasserkraftwerkbetreibers Ukrhidroenergo, Ihor Syrota.

Das bedeutet, dass kein Wasser mehr für die Trinkwasserversorgung der Ortschaften rundherum und die Kühlung des Kernkraftwerks Saporischschja am Südufer des Kachowka-Stausees entnommen werden kann.

Um wie viel Meter sinkt der Pegel des Stausees?

Laut Syrota fällt der Wasserspiegel im Stausee täglich um etwa einen Meter. Diese Tendenz wird seiner Schätzung nach noch eine Woche anhalten. Sollte der Damm bis in die Grundfesten zerstört sein, könne der Pegel auf bis zu drei Meter sinken. Damit werde der Dnipro auch in sein ursprüngliches Flussbett vor der Aufstauung zurückkehren.

Der Kachowka-Staudamm wurde in den 1950er Jahren errichtet, einerseits um Strom aus Wasserkraft zu gewinnen, andererseits um die Bewässerung der fruchtbaren Äcker in der Südukraine einschließlich der Halbinsel Krim zu gewährleisten.

Wo liegt der Kachowka-Staudamm?

Der Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk liegen in der Stadt Nowa Kachowka in dem von Russland besetzten Teil der ukrainischen Region Cherson. Der Fluss, der in dieser Gegend etwa die Frontlinie darstellt, wird in Nowa Kachowka zum sechsten und letzten Mal vor dem Schwarzen Meer auf 200 Kilometer Länge gestaut.

In der Nacht zum Dienstag wurde das Bauwerk zerstört, die Ukraine und der Westen machen Russland dafür verantwortlich. Moskau bestreitet dies und gibt Kiew die Schuld.

Ist das AKW Saporischja überflutet?

Das Kernkraftwerk Saporischja liegt am Südufer des Stausees, ist aber von den Überschwemmungen nicht betroffen. Das Absinken des Wasserpegels dort macht freilich perspektivisch die Kühlung der stillgelegten Reaktoren komplizierter. Akut besteht noch keine Gefahr, denn die Nuklearanlage verfügt über künstlich angelegte Kühlteiche.

Wie ist die aktuelle Lage am AKW Saporischschja?

In ihrem täglichen Update zur „kerntechnischen Sicherheit in der Ukraine“ schreibt die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS): „Die neueren Untersuchungen deuten nun darauf hin, dass die Pumpen wahrscheinlich auch dann noch betrieben werden können, wenn der Pegel des Stausees auf etwa 11 Meter oder möglicherweise darunter sinkt . . .“

„Darüber hinaus könne über einen Kanal des benachbarten Kohlekraftwerkes ebenfalls noch Wasser aus dem Stausee in den Kühlteich des KKW gepumpt werden, so der Generaldirektor der IAEA . . .“

„Seit dem Bruch des flussabwärts gelegenen Damms am Dienstag, sei der Wasserstand des Stausees um etwa 4,1 Meter gesunken und erreichte am 8.6. um 18 Uhr Ortszeit etwa die Marke von 12,7 Metern. Die stündliche Verlustrate liege demnach zwischen 4 und 7 Zentimetern pro Stunde.“

Wie sicher ist das Kernkraftwerk derzeit?

Saporischschja ist durch einen getrennten Kühlkreislauf und eine besondere Schutzschicht besser geschützt als die zwei Unfall-AKW Tschernobyl (Ukraine) und Fukushima (Japan).

Ein Beschuss der Anlage müsse also nicht zwangsläufig zu einem kerntechnischen Unfall führen, berichtet GRS-Atomtechnik-Experte Sebastian Stransky. „Damit es zu einem solchen Unfall kommt, muss das Kühlsystem beschädigt sein.“

Die sicherheitstechnisch wichtigen Anlagen in der Ukraine seien in geschützten Gebäuden untergebracht, so Stransky weiter. „Sie würden einem Beschuss durchaus standhalten können. Das hängt allerdings auch von der Schwere des Beschusses ab.“ Der Reaktor selbst werde von einer Stahlbetonhülle geschützt, der einen Absturz eines kleinen Flugzeugs aushalten könne.

Welche Folgen hätte ein Stromausfall?

„Selbst wenn er beschädigt ist, bedeutet das nicht automatisch, dass es zu einem kerntechnischen Unfall kommt“, führt Sebastian Stransky weiter aus. Erst wenn dauerhaft der Strom ausfallen und das gesicherte Kühlwassersystem versagen würde und auch sämtliche Notstromaggregate ausfallen würden, würde es letzten Endes zu einem Ausfall der Nachkühlung kommen. Dies könne zu einer Kernschmelze führen.

Die Zerstörung der externen Stromversorgung der Anlage könnte laut dem Risikoforscher Nikolaus Müllner von der Universität für Bodenkultur in Wien im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze führen. Falls die Notfallgeneratoren vor Ort intakt bleiben, lassen sich die Reaktoren noch einige Tage weiterkühlen. Wenn auch diese Aggregate oder die Dieselvorräte für ihren Betrieb zerstört werden, bleiben laut Müllner maximal 15 Stunden bis zum Atomunfall.

Info: AKW Saporischschja

Kernschmelze
Der schlimmste Fall tritt ein, wenn einer der Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Saporischschja zerstört wird oder es aufgrund eines mehrfachen Stromausfalls zu einer Kernschmelze kommt. Versagen die Generatoren, würden die Brennstäbe bereits nach 90 Minuten gefährlich hohe Temperaturen erreichen – samt Kernschmelze.

Kühlwasser
Normalerweise erzeugen die Brennstäbe Hitze, welche von einem ersten Wasserkreislauf im Reaktor aufgenommen wird. Über Rohre wird die Wärme in einen zweiten Wasserkreislauf abgeleitet, es wird Dampf erzeugt. Dieser treibt eine Turbine an, die wiederum den Strom erzeugt. Auch Reaktoren, die nicht aktiv Strom erzeugen, müssen weiter gekühlt werden.

Stromversorgung
Kommt es zur Kernschmelze, kommt das Kühlwasser nicht in Kontakt zur Außenwelt – eigentlich. Denn bricht die Stromversorgung des AKW zusammen, und damit auch die Kühlversorgung, entsteht im Reaktor ein Überdruck. Kann dieser nicht über Ventile abgelassen werden, könnten die Reaktoren zerstört werden.

Radioaktive Verseuchung
Laut Karlsruher Institut für Technologie (KIT) würden im Falle eines größeren Atom-Unfalls wohl dieselben Stoffe freigesetzt wie im Jahr 1986 bei der Atomkatastrophe in Tschernobyl. Einige radioaktive Formen dieser Stoffe – etwa von Cäsium, Strontium und Iod - oder deren Verbindungen sind neben der Strahlengefahr auch noch giftig.

Folgen
Das hätte vor allem verheerende Folgen für die Ukraine. Aber auch anliegende Nachbarländer wie Belarus, Polen, die baltischen Staaten, Moldawien, Rumänien, Bulgarien und auch Russland könnten unter der austretenden Strahlung leiden. Experten gehen davon aus, dass in diesem Fall das Land in einigen hundert Kilometern Umkreis unbewohnbar werden würde. Die Ausdehnung hängt auch von der Windrichtung ab – bei dem häufig herrschendem Ostwind könnte die Radioaktivität nach Russland und Kasachstan getragen werden, bei anderer Windrichtung wäre auch ein Herüberwehen nach Mittel- und Westeuropa möglich.