Die Kabarettistin Anny Hartmann übt als rheinische Frohnatur und „Klima-Ballerina“ im Stuttgarter Renitenztheater knallharte Kapitalismuskritik.
Da die Klimakrise ohnehin schon überall im Hintergrund lauert, wundert es nicht, dass sich nicht allzu viele auch noch an einem Sonntagabend extra auf den Weg gemacht haben, wenn sie als Unterhaltungsthema ganz im Vordergrund steht. Jedenfalls ist das Renitenztheater zur besten „Terra X“-Zeit nur gut zur Hälfte besetzt, als die „Klima-Ballerina“ Anny Hartmann die Bühne entert. Dabei ist sie eine gewisse Größe im Kabarett, für Konstantin Wecker, dessen „Was mich wütend macht“ sie ohne Musik vorträgt, gar „die legitime Nachfolgerin des unvergesslichen Dieter Hildebrandt“. 2023 hat sie mit dem Deutschen Kleinkunstpreis zudem höchstoffizielle Anerkennung bekommen. Einerseits.
Andererseits habe sie vor Kurzem Post von der Staatsanwaltschaft Kassel erhalten mit der aber auch guten Nachricht, dass das Verfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten eingestellt worden sei, weil von einem Einzelfall auszugehen sei. Dies könnte in Zusammenhang mit dem „zivilen Ungehorsam“ der Letzten Generation stehen, an deren „Zukunftsdialog“ Anny Hartmann teilnahm. In Stuttgart sind ein paar Aktivisten eingeladen, um mit ihnen in der Pause zu diskutieren oder wenigstens einen Flyer zum geplanten Flughafenprotest „100 Jahre sukzessive Zerstörung unserer Umwelt“ entgegenzunehmen.
Mit der Frikadelle auf den Balkon
In der ersten Hälfte des Programms also arbeitet die „Klima-Ballerina“ brav die für sie neun Hauptlügen zum Thema ab, nicht ohne darauf hinzuweisen: „Es geht nicht ums Wetter“, das einem leidtun könne – „wird ständig verwechselt und kann es sowieso keinem recht machen“. Nein, es geht um den Klimawandel mit seinem menschengemachten Anteil, dem anthropogenen CO2 im Gegensatz zum biogenen. Es geht um Atomkraft und erneuerbare Energien, aber auch um die Spaltung der Gesellschaft durch die Stilisierung von „veganen Wanderern“. Eine Spaßbremse ist die ehemalige Angestellte der Sparkasse KölnBonn aber nicht, sondern in ihrem Glitzeroberteil viel mehr eine rheinische Frohnatur, die zwischen Häschen- und Chuck-Norris-Witzen auch erzählt, dass sie auf einer Party mit ihrer Frikadelle auf den Balkon gehen musste.
Könnte sie mit dem ersten Teil ihres Programms für gute Laune auf einem Grünen-Parteitag sorgen, so demonstriert Anny Hartmann nach der Pause, dass sie zwar politisch, aber nicht parteipolitisch ist. Sie warnt davor, dass es jetzt philosophisch werde, weil sie zwei Bücher von Richard David Precht geschenkt bekommen habe. In Wahrheit aber ist sie von deutlich härterem Lesestoff beeindruckt: „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ von Anne Morelli und „Angst und Macht: Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ von Rainer Mausfeld – mit dementsprechenden Auswirkungen auf ihr Programm.
Ist das noch Kabarett?
Aus der Volkswirtin als „ausgebildete Diplom-Idiotin“ ist eine scharfe Systemkritikerin mit radikalen Forderungen geworden: etwa Abschaffung der Dienstwagenprivilegien zugunsten eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs oder ein Prozent der Gewinne aus Kunsthandel und Fußballtransfers fürs Klima. Ist das noch Kabarett? Ja, aber eines, bei dem in guter Tradition nicht alles gefallen muss – nicht einmal allen, die extra dafür gekommen sind.