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Im Fall Harry Wörz stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen zweiten Hauptverdächtigen ein

Karlsruhe - Seit fast drei Jahren führte die Karlsruher Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den zweiten Hauptverdächtigen im Fall Harry Wörz, den Polizisten Thomas H. Nachfragen wurden mit der immer gleichen Antwort versehen: Der Fall sei so außergewöhnlich, ein Ende nicht absehbar.

Am Montag nun die Mitteilung der Behörde: Die Ermittlungen werden eingestellt. Nach dem Freispruch für Harry Wörz 2009 habe „kein ausreichender Verdacht für eine Anklageerhebung“ festgestellt werden können. „Problematisch war neben der wechselvollen Prozessgeschichte und dem erheblichen Zeitablauf die sich daraus ergebende Konsequenz einer beschränkten Beweiskraft von Beweismitteln“, heißt es in der Mitteilung. Auf Deutsch: Die Tat lag einfach zu lange zurück.

In der Nacht auf den 29. April 1997 war es, als die Pforzheimer Polizistin Andrea Z. in ihrer Wohnung mit einem Schal so schwer gewürgt wurde, dass sie bis heute ein Pflegefall ist. Aussagen über den Täter kann sie keine mehr treffen. Harry Wörz, ihr damaliger getrennt von ihr lebender Mann, wurde verdächtigt, für schuldig befunden und verurteilt. Viereinhalb Jahre saß er im Gefängnis. 2009 wurde ihm dann, nach unzähligen Verfahren, Revisionen und Wiederaufnahmeverfahren, die Unschuld attestiert. Die Richter am Mannheimer Landgericht hoben zugleich den einstigen Zeugen Thomas H. in den Stand des neuen Hauptverdächtigen. Sie formulierten die Vermutung, wonach statt Wörz der Kollege und Geliebte von Andrea Z . für den versuchten Totschlag an der damals 26-Jährigen verantwortlich zu machen sei.

Der suspendierte Verdächtige erhält Beamten-Bezüge weiter

Die Karlsruher Staatsanwaltschaft nahm daraufhin die Ermittlungen auf. „Wir sind sehr weit gegangen und haben nicht nur die Akten noch einmal durchgelesen“, erklärte Pressestaatsanwalt Rainer Bogs am Montag. Alles „nicht völlig Fernliegende“ sei erneut untersucht, sämtliche Spuren „differenziert hinterfragt“worden. Allein, ein neuer Verdachtsmoment habe sich nicht aufgedrängt.

Für Bogs gibt es in diesem heiklen Fall kein „denklogisches Entweder-oder“. Das heißt: Wenn Wörz nicht der Täter war, muss es nicht zwangsläufig Thomas H. gewesen sein – was umgekehrt genauso gilt. Denkbar ist laut Staatsanwaltschaft sogar ein möglicher dritter Täter. Konkrete Anhaltungspunkte für diese These hätten sich aber auch keine ergeben – also wird die Akte nun geschlossen

„Man soll nie nie sagen“, antwortete Bogs auf die abschließende Frage nach den jetzt noch vorhandenen Erfolgsaussichten der Staatsanwaltschaft. Die einzig realistische Chance auf Aufklärung dürfte in einem Geständnis des Täters liegen. Offizielle Ermittlungen werden keine mehr geführt, auch nicht vonseiten des Regierungspräsidiums Karlsruhe und der Landespolizeidirektion.

Was nun aus dem heute 53-jährigen Polizisten wird, ist ebenfalls noch unklar. Thomas H. ist seit Beginn der Ermittlungen vom Dienst suspendiert. „Wir müssen das Geschehene jetzt nacharbeiten und prüfen, wie es weitergeht“, sagte ein Sprecher von H.s Dienststelle, der Polizeidirektion Pforzheim. In den nächsten Tagen soll ein Gespräch stattfinden. In den drei Jahren seiner Freistellung erhielt der Verdächtige nach Angaben des Sprechers seine Bezüge mit „geringen Abzügen“ weiter. Es habe die Unschuldsvermutung gegolten. Und Harry Wörz? Dessen langjähriger Anwalt Hubert Gorka war am Montag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, Wörz hat sich komplett zurückgezogen. Für Gorka war der Fall schon mit dem Freispruch vor dem Mannheimer Landgericht 2009 abgeschlossen, endgültig dann mit der Bestätigung durch den Bundesgerichtshof ein Jahr später. „Nach all den Jahren würde mich natürlich brennend interessieren, wer der Täter ist“, sagte Gorka damals.

Wörz hat sich zurückgezogen

Sein einstiger Mandant hat zuletzt dem „Spiegel“Einblicke in sein Seelenleben gewährt – im Mai 2012. Demnach geht es dem bundesweit bekannt gewordenen Gas- und Wasserinstallateur alles andere als gut. Er leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und kann keiner geregelten Arbeit nachgehen. Von der Karlsruher Generalstaatsanwaltschaft bekam er für 1676 Tage unschuldig im Gefängnis 42 000 Euro Haftentschädigung – 25 Euro pro Tag. Der Beweis seiner Unschuld hat ihn nach eigenen Angaben an die 70 000 Euro gekostet. Noch immer kämpft der 46-Jährige für eine Kompensation über die eigentliche Haftentschädigung hinaus, für all die langen Verfahren und falschen Beschuldigungen.

Und noch immer kreisen seine Gedanken permanent um das, was in jener April-Nacht 1997 geschehen sein könnte. Solange der wahre Täter nicht gefasst ist, könne er das Kapital nicht schließen, sagte er im vergangenen Jahr. „Es ist, als würde ich versuchen vorwärtszuschauen und dabei verkehrt herum stehen.“