Mit etwa 36.200 Klagen haben sich die Sozialgerichte im Südwesten im vergangenen Jahr beschäftigt. Foto: dpa-Zentralbild

Obwohl es weniger Klagen an den Sozialgerichten im Land gibt: Belastung der Richter ist weiter hoch.

Stuttgart -Eine transsexuelle Frau, die von ihrer Krankenkasse eine Brustvergrößerung bezahlt haben will. Ein Deutscher, der in Thailand  lebt, vom Heimatstaat aber Sozialhilfe fordert: Mit etwa 36.200 Klagen haben sich die Sozialgerichte im Südwesten im vergangenen Jahr beschäftigt. Bei einem Drittel davon ging es um Hartz IV. Doch auch außergewöhnliche Fälle wie oben beschrieben landen immer wieder bei den Richtern.

 

Ob außergewöhnliche Klage oder nicht: Die Belastung der Sozialgerichte im Land sei  unverändert hoch, sagte die Präsidentin des Landessozialgerichts, Heike Haseloff-Grupp. „Wir haben jahrelang im Dornröschenschlaf gelebt. Prinz Hartz IV hat uns wachgeküsst“, sagte sie. Die Zahl der Klagen an den Sozialgerichten ist leicht zurückgegangen. Von 37.200  im Jahr 2010 auf 36.200 im vergangenen Jahr.

Woran das genau liegt, konnte Haseloff-Grupp nicht sagen. Sicher sei aber: Die durchschnittliche Verfahrensdauer von etwa einem Jahr  hat sich nicht verringert. Grund: Die Richter hätten verstärkt Altfälle in den Blick genommen und abgearbeitet. „Verfahren sollten aber  nicht länger als zwei Jahre dauern“, sagte Haseloff-Grupp. Nur zehn Prozent aller Fälle seien mehr als zwei Jahre alt.

Weniger unerledigte Verfahren

„28,7 Prozent aller Klagen, die bei den Sozialgerichten erhoben worden sind, befassen sich mit Fragen der Grundsicherung für Arbeitssuchende“, sagte Haseloff-Grupp. Deutlich nach unten gegangen sei die Zahl der unerledigten Klageverfahren. Etwa 40.000 solcher Verfahrenhabe es Ende 2010 gegeben. Ein Jahr später waren es 1500 weniger.

Neben Hartz-IV-Streitigkeiten bekommen die Richter aber auch andere Themen auf den Tisch. Rente etwa als zahlenmäßiger Spitzenreiter, dann das Schwerbehindertenrecht, gefolgt von der Arbeitslosen- der Kranken- und der Unfallversicherung. An den acht Sozialgerichten im Südwesten arbeiten derzeit etwa 120 Richter, am Landessozialgericht in Stuttgart sind es 45. Im Folgenden ausgewählte Beispiele aus dem Justizalltag:

Ausgewählte Beispiele aus dem Justizalltag

Brustvergrößerung: Eine Frau, in einem Männerkörper geboren, ließ lsich operieren – zur „Geschlechtsangleichung“. Die Kosten hierfür, sowie für eine vorangegangene Östrogentherapie, wurden von der Krankenkasse übernommen. Nach der Therapie hatte sich eine „mäßige seitengleiche weibliche Brust entwickelt“, wie es in den Ausführungen des Landessozialgerichts heißt.Doch die Frau hielt diese Entwicklung nicht für ausreichend. Sie beantragte bei ihrer Krankenkasse die Kosten für eine operative Brustvergrößerung.  Die lehnt dies ab – und wurde vom Landessozialgericht bestätigt. Für Transsexuelle gälten keine anderen Maßstäbe als für genetische  Frauen. Und die würden – auch bei erheblichem psychischen Leidensdruck – von den Krankenkassen keine Brustvergrößerung bezahlt bekommen. „Operationen am gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, stellen grundsätzlich keine notwendige Behandlung dar“,  urteilte das Landessozialgericht.

Sozialhilfe: Ein Deutscher, der seit einigen Jahren in Thailand lebt, beantragte Sozialhilfe in Deutschland – aufgrund der Pflege und Erziehung seiner kleinen Tochter. Das Landessozialgericht wies dies zurück und machte deutlich „dass Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten“. Der Mann hatte angegeben, seine Tochter lebe bei ihm, spreche die deutsche Sprache nicht und werde im buddhistischen Glauben erzogen – zudem kümmere sich die Mutter zu wenig um das gemeinsame Kind.

Seniorenstudium: Eine Frau (Jahrgang 1950) wollte ihr Seniorenstudium bei der Berechnung ihrer Rente anrechnen lassen.  Das Sozialgericht Freiburg lehnte dies ab, die Frau ging beim Landessozialgericht in Stuttgart in Berufung. Dort betonten die Richter, die Frau habe ein Zusatzstudium mit dem Titel „Journalistische Bildung“ absolviert. Die Frau habe damit lediglich das Ende ihrer versicherungspflichtigen Tätigkeit und den Start ihrer Rente überbrücken wollen.