In einem bislang einzigartigen Projekt wollen das Oberlandesgericht Stuttgart und die Universität Tübingen bei der Ausbildung junger Juristen eng zusammenarbeiten. So sollen der Rechtsstaat gestärkt, Freiheit und Demokratie besser verteidigt werden.
Bislang deutschlandweit einzigartig wollen das Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) und die Universität Tübingen künftig eng kooperieren. Ziel ist es, so OLG-Präsident Andreas Singer und Prorektorin Professor Karin Amos, den Rechtsstaat zu stärken. Erfahrene Richter sollen einerseits an der Universität mit lehren. Andererseits sollen Professorinnen und Professoren im Nebenamt verstärkt als Richter am OLG eingesetzt werden.
„Die zentrale Herausforderung unserer jungen Richterinnen und Richter ist es, die an der Universität erlernten Kenntnisse in den zahlreichen Verfahren an den Gerichten anzuwenden. Bereits im Studium kommt der praxisnahen und am Prozessrecht orientierten Anwendung des Erlernten deshalb eine immer wichtigere Rolle zu“, ist Singer überzeugt. Deshalb werden ab dem kommenden Wintersemester Richter aus dem Bezirk des Stuttgarter OLG zusammen mit den Studenten aktuelle Fälle aus dem Zivilrecht diskutieren und lösen.
„Die an der gerichtlichen Praxis ausgerichtete Vorlesungsreihe deckt Themen aus dem Kernbereich des Prüfungsstoffs für das Erste juristische Staatsexamen ab und sorgt so für eine ideale Verbindung zwischen Wissenschaft und der Vorbereitung auf das Examen“, ergänzt Amos.
Im Gegenzug sollen nicht nur Professoren als nebenamtliche Richter in den Senaten des OLG eingesetzt werden. Tübinger Jura-Studierende sollen zudem beim höchsten Gericht in der Landeshauptstadt Hilfe bekommen, attraktive Praktikumsplätze an den Gerichten zu finden.
Zusammenarbeit in den Bereichen Zivil-, Straf- und Familienrecht
Die Entscheidung, enger mit der Universität in Tübingen zu kooperieren, sei auf deren Ausnahmestellung zurückzuführen, betont Singer: „Die juristische Fakultät genießt durch die lebendige Verbindung zwischen Wissenschaft und Lehre einen exzellenten Ruf in der Ausbildung.“ Der Rechtsstaat sei auch in Zukunft auf diese Exzellenz dringend angewiesen.
Perspektivisch, sagt Dekan Professor Jens-Hinrich Binder, „wollen wir unsere Kooperation auf das Straf- und Familienrecht ausdehnen. Gerade im Strafrecht ist das Oberlandesgericht Stuttgart mit seiner erstinstanzrechtlichen Zuständigkeit in großen Staatsschutzverfahren besonders geeignet, um den Studierenden wertvolle Einblicke in Verfahren zu bieten und ihnen gleichzeitig die Bedeutung der Gerichte für die Verteidigung unserer Freiheit und unserer Grundrechte zu vermitteln.“
Rechtsstaat stärken, Demokratie und Freiheit verteidigen
Aktuell verhandeln die Richterinnen und Richter des 3. Strafsenats das Verfahren des Generalbundesanwalts gegen neun Angeklagte, die der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß angehören. Zuvor hatte der 5. Senat bis zum vergangenen November zur Rechtsterrorgruppe S. in Stuttgart-Stammheim verhandelt. Vor dem OLG war auch der Fall des islamistisch motivierten Terroristen verhandelt worden, der im Dezember 2017 einen Anschlag auf den Karlsruher Weihnachtsmarkt plante.
„Es wird in den kommenden Jahren entscheidend darauf ankommen, die Abwehrkräfte der freiheitlichen Gesellschaft gegen extremistische Bedrohungen zu stärken. Dazu sind wir auf unseren Nachwuchs dringend angewiesen“, sagen Singer und Binder. „Jede und jeder einzelne zählt. Eine Zukunft wird unsere Verfassungsordnung nur dann haben, wenn in Zeiten, in denen die freiheitliche Demokratie und ihre rechtsstaatlichen Strukturen herausgefordert werden, auch junge Menschen bereit sind, sich für die Freiheit, die Demokratie und das Recht einzusetzen.“