Idris Elba als Nelson Mandela (links) und Naomie Harris als Winnie Foto: Senator Film Verleih

Chadwicks Resümee nach den Dreharbeiten: „Mandelas Erbe und Ruhm sind enorm. Dass der Schritt für sein Volk in die Demokratie über den Frieden ging, macht ihn zur Legende. Aber es gibt noch Kämpfe und Diskriminierungen im Alltag.“

Im Jahre 2010 drehte der britische Filmregisseur Justin Chadwick in Keniea den Film „Der älteste Schüler der Welt“, produziert von Anand Singh. Und Singh kam auf Chadwick zu, als es um die Verfilmung von Mandelas Leben ging. Chadwicks Resümee nach den Dreharbeiten: „Mandelas Erbe und Ruhm sind enorm. Dass der Schritt für sein Volk in die Demokratie über den Frieden ging, macht ihn zur Legende. Aber es gibt noch Kämpfe und Diskriminierungen im Alltag.“
 
 
Mr. Chadwick, warum Mandela?
Das ist eine große Frage. Ich bin Brite, lebe in Manchester. So gesehen, ist Afrika weit entfernt. Ich habe 2010 in Kenia den Film „Der älteste Schüler der Welt“ gedreht; Produzent war Anant Singh. Er kam auf mich zu, als es um die Verfilmung von Mandelas Leben ging. Mandela hatte Singh das Recht übertragen, seine Autobiografie zu adaptieren. Er sagte zu Singh, der viele Kontakte nach Südafrika hatte: „Das ist eine südafrikanische Geschichte, erzähl du sie.“ Ich lebte ein Jahr in Südafrika, zuerst in Mandelas Geburtsort in der Region der Transkei, dann in Johannesburg. Ich war auf der Gefängnisinsel Robben Island, traf seine ehemaligen Mitgefangenen. Auch mit seiner Frau Winnie und den beiden Töchtern habe ich viel Zeit verbracht. Und mit Mandela selbst.
Schrieb Autor William Nicholson in diesen Jahren schon am Drehbuch?
Ja. Aber das, was er schrieb, erreichte mich nicht. Ich spürte keine Verbindung. Ich erzählte ihm von meinen Begegnungen, meinen Eindrücken von der Familie Mandelas, seinen Freunden und Kameraden. Und den starken Bildern, die die Fernsehberichte über Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis nach 27 Jahren Jahren Haft bei mir hinterlassen hatten. Wir hatten alle so lange auf diesen Moment gewartet und wussten nicht, wie er diese Jahre überstanden haben würde. Mandela war damals 71, ein alter Mann. Würde er ein gebrochener Mensch sein?
Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Es gibt eine wunderbare Geschichte, die authentisch zeigt, wie dieser Mann war oder geworden ist. Der Entlassungstermin stand fest, vor der Haftanstalt hatten sich Trauben von Menschen versammelt, um ihn zu begrüßen. Winnie, seine Frau, verspätete sich. Aber Mandela beharrte darauf, das Gefängnis Hand in Hand mit Winnie zu verlassen. Er wartete auf sie. Die Beziehung der beiden war schon gebrochen. Aber Mandela wollte, dass sie sich als Paar zeigen. Auch sie hatte gelitten, wurde von ihren kleinen Kindern getrennt, verhaftet und misshandelt. Diese Geschichte war die Schlüsselsituation. Ich wusste: Die Liebesgeschichte der beiden ist das Herzstück meines Films. Ihre Beziehung war wie ein Prisma, von dem alles ausstrahlte. So passte es auch für Nicholson.
Sie haben die Rolle des Nelson Mandela – abgesehen von den Kindheits- und frühen Jugendszenen – mit einem einzigen Schauspieler besetzt, mit Idris Elba. Wie fanden Sie ihn?
Mandela ist eine politische wie menschliche Ausnahmeerscheinung, aber ich hatte kein Interesse an einem ehrfürchtigen Porträt. Alle sprachen von ihm wie von einem Menschen, dessen Gegenwart auf andere wie elektrisierend wirkte, und davon, wie scharfsinnig er war und dass er jeden Raum zum Leuchten brachte. Diesen Menschen wollte ich zeigen. Idris Elba beeindruckte 2005 im Film „Als das Morden begann“, einer Geschichte über den Genozid in Ruanda. Als ich den Film sah, sagte mir mein Instinkt, dass Idris Elba auch der Rolle Mandelas gerecht werden würde. Als der Film fertig war, war Nelson Mandela schon sehr krank. Aber wir haben ihm vorher einige Aufnahmen von Idris Elba gezeigt. Er fragte: „Bin ich das?“ Das war eine gute Botschaft für uns.
Gab es bei Ihren Filmarbeiten in Südafrika Auflagen oder auch Misstrauen?
Im Gegenteil. Während der Dreharbeiten habe ich auch in Soweto gewohnt. Ich sagte den Menschen, ich komme von Manchester, das ist eure Geschichte, erzählt sie so ehrlich, wie sie ist. Wir haben Hunderte, ja Tausende Laiendarsteller auf die Beine gebracht. Manche waren so infiziert, dass sie zu den Dreharbeiten ihre ANC(African National Congress)-Uniformen mitbrachten. Alles ist echt: die Menschenmengen, die Musik, die Geräusche. Natürlich mussten wir aufpassen, vor allem bei den Unruheszenen. Da kochte Vergangenes hoch, das war sehr kritisch. In den Momenten hätte ich kein weißer südafrikanischer Uniformierter sein wollen. In dieses Wespennest haben wir die Kamera gehalten. Aber wir wollten Originalszenen, keine Kulissen. Ich wollte 360- Grad-Gefühlspanorama.
Hat Winnie Mandela je bedauert, dass sie – anders als ihr Mann Nelson – in ihrer aktiven ANC-Zeit der Gewalt nie abgeschworen hatte?
Nein. Bei einem Tee sagte sie zu mir: Alles, was diese alten Männer je tun wollten, war reden. Sie sah sich alleine als Frau der Tat. Als Europäer war ich von der westlichen Presse beeinflusst, was ihre Rolle im ANC-Kampf betraf. Als ich sie traf, war sie ganz anders: schön, zärtlich, wenn auch streng. Im Rückblick auf ihr Leben, auch auf die Trennung von Nelson, wirkte sie sehr ruhig. Sie hatte zwei kleine Kinder, als man sie im Gefängnis folterte. Sie hat ihre eigene Geschichte. Winnie Mandela ist heute die Einzige der ehemaligen Führungsriege des ANC, die noch in Soweto wohnt.
Wie erlebten Sie Südafrika heute, Jahrzehnte nach der Apartheid?
Mandelas Erbe und Ruhm sind enorm. Dass der Schritt für sein Volk in die Demokratie über den Frieden ging, macht ihn zur Legende. Aber es gibt noch Kämpfe und Diskriminierungen im Alltag.