Er ist der Beschwörer der Groko-Gegner. Gebraucht hätte er diese Karriere „nicht zwingend“, sagt Kevin Kühnert im Interview. Foto: dpa

Juso-Chef Kevin Kühnert wurde nach seiner Wahl im November über Nacht zur Gallionsfigur der NoGroko-Bewegung in der SPD. Im Interview erklärt er, weshalb aus seiner Sicht alleine das schon ein Hinweis auf den kritischen Zustand der SPD ist.

Berlin - Nach Revolte klingt es nicht, was Kevin Kühnertim Interview erzählt. Weder hält er bei einem Nein zur Groko Rücktritt für notwendig, noch will er sich bei einem Ja beleidigt abwenden. Hauptsache, alles wird anders.

Herr Kühnert, weshalb glauben Sie, dass die Erneuerung in der Groko nicht möglich ist?
Es ist uns kaum noch gelungen, neben der Regierungspolitik und den dafür notwendigen Kompromissen als selbstbewusste Partei und eigenständige Gestaltungskraft aufzutreten. Das aber ist eine zwingende Voraussetzung für Erfolg.
Hat die Krise der SPD nicht eher damit zu tun, dass die SPD sich den Zukunftsfragen nicht gestellt hat?
Das stimmt. Ich will ja gar nicht per se ausschließen, dass eine Neuorientierung auch in einer großen Koalition möglich wäre. Aber dazu bräuchte es eine Parteiführung, die bereit ist, einen klaren Trennstrich zu ziehen zwischen der innerparteilichen Debatte über Konzepte der Zukunft und pragmatischer Regierungsarbeit. Es muss möglich sein, über höhere Mindestlöhne und ein höheres Rentenniveau zu diskutieren, selbst wenn unsere Regierungsmitglieder gezwungen sind, etwas anderes auszuführen. Diesen Widerspruch muss man aushalten. In den letzten Jahren war die SPD-Spitze dazu aber nicht bereit und mir fehlen die konkreten Vorschläge, warum das dieses Mal anders sein sollte.
Was sind denn die Zukunftsfragen?
Wir müssten bei der Frage der Arbeit der Zukunft unter den Bedingungen der Digitalisierung schon weiter sein. Ich finde es schade, dass nicht die SPD sondern die IG Metall es war, die zuletzt eine überfällige Debatte über das Verhältnis von Lebenszeit und Arbeitszeit angestoßen und gefordert hat, dass man auch flexibel seine Arbeitszeit reduzieren kann. Da geht es um die Frage, wie man technischen Fortschritt auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nutzbar machen kann und nicht nur für die Arbeitgeberseite, die durch Überwachungsmöglichkeiten und die ständige Erreichbarkeit der Angestellten massive Vorteile hat. Das ist eine Debatte, die uns auch gut zu Gesicht stünde.
Gilt beim Koalitionsvertrag der Satz nicht mehr: lieber ein kleines Stück vom Kuchen als gar keins?
Ich bestreite gar nicht, dass es in der Politik immer auch um Kompromisse geht und auch die Jusos wollen nicht erst dann regieren, wenn 100 Prozent SPD möglich ist. Aber es gibt nun mal einen großen Vertrauensverlust, sowohl gegenüber der eigenen Parteiführung, vor allem aber gegenüber der Union als möglichem Koalitionspartner. Viele stellen sich die Frage, was dieser vermeintlich sozialdemokratische Vertrag überhaupt wert ist, wenn die Zusammenarbeit so weiterlaufen sollte, wie wir das in den letzten Jahren erlebt haben.
Wie wird die Partei abstimmen?
Ich glaube, es wird knapp, so oder so.
Was machen Sie, wenn die SPD der Groko zustimmt? Was wird dann Ihre Aufgabe sein?
Ich würde mich bei einer Niederlage ganz sicher nicht beleidigt von der SPD abwenden. Eines aber ist in allen Veranstaltungen überaus deutlich geworden. Befürworter und Gegner eint die Einschätzung, dass unsere überragende Aufgabe die programmatische Erneuerung der SPD ist. Und die muss nach dem Sonntag ohne jeden zeitlichen Verzug beginnen. Dabei werde ich mithelfen.
Was passiert bei einem Nein?
Ich bin davon überzeugt, dass wir für einen Übergangszeitraum eine Minderheitsregierung bekämen. Umso schneller müsste dann der Erneuerungsprozess der SPD anlaufen. Wir haben ja ohnehin einen Parteitag am 22. April angesetzt. Da müssten dann neben der Neuwahl des Parteivorsitzes auch schon inhaltliche Pflöcke eingeschlagen werden.
In der Parteispitze wird geraunt, bei einem Nein müsse vermutlich der gesamte Vorstand zurücktreten. Panikmache?
Bei einem Bundestagsergebnis von 20,5 Prozent ist kein einziges Vorstandsmitglied zurückgetreten. Schon gar nicht der Vorsitzende. Da finde ich es schon abenteuerlich, ausgerechnet bei einem Mitgliederentscheid mit Rücktritten zu drohen, falls dieser nicht im Sinne der Parteispitze ausgeht.
Würden Sie in jedem Fall gern mit Andrea Nahles die Erneuerung starten?
Wir Jusos sind davon überzeugt, dass auch die neue Aufstellung der SPD vom Ergebnis des Sonntags abhängt. Und deshalb halten wir uns bis dahin auch mit Einschätzungen zu einzelnen Personen zurück.
Wie fühlt man sich als 28- Jähriger in der Rolle der Gallionsfigur der Groko-Gegner? Noch im November waren Sie weitgehend unbekannt…
Den Hype hätte ich persönlich jetzt nicht zwingend gebraucht. Und ich finde es auch bedenklich, dass es nun ausgerechnet der Juso-Vorsitzende sein muss, der stellvertretend für einen relevanten Teil der SPD-Mitglieder diese Auseinandersetzung führt. Das zeigt, dass jener beachtliche Anteil in der SPD, der meiner Argumentation folgt, in der Parteiführung überhaupt nicht repräsentiert wird. Ein wirklich funktionierender Vorstand müsste eigentlich die verschiedenen Gruppen und Interessen einer Partei abbilden. Das ist im Moment nicht der Fall.
Viele in der SPD sehen in Ihnen eine wichtige Figur der Zukunft. Was soll aus Ihnen bloß werden?
Ich weiß, dass zuletzt immer wieder die Rede davon war, mir würden Angebote gemacht. Um das klar zu sagen: Niemand muss Kevin Kühnert ein Angebot machen, sondern egal wie das am Sonntag ausgeht: Es muss ein Angebot an die Jusos und all diejenigen geben, die unserer kritischen Position folgen. Es geht nicht um Jobaussichten, es geht um die SPD.

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kevin-kuehnert-auf-no-groko-tour-wo-er-ist-schlaegt-das-herz-der-spd.e859aca3-c9df-42fd-9450-0aa7e1a8b3e0.html