Im Jes zu sehen: Hasko Webers „Nulli und Priesemut“ mit Gerd Ritter, Elisabeth Jakob und Alexander Redwitz (von links). Foto: Tobias Metz

Wie viel Bildungsarbeit kann eine Kultureinrichtung leisten? Immer dringender wird diese Frage für große und kleine Bühnen in Stuttgart. Auch das Junge Ensemble sollte eigentlich noch viel mehr tun, als es in der jetzigen Ausstattung leisten kann.

Stuttgart - Kürzlich sind die Freunde aus Italien zu besuch in Stuttgart gewesen. Kollegen vom Theater La Baracca aus Bologna, mit denen die Schauspieler und Regisseure des Jes drei Jahre lang zusammengearbeitet haben. Mit einem Theaterwochenende, bei dem die Italiener und die Deutschen ihre Versionen zu einem gemeinsamen Thema gezeigt haben, endete das Austauschprojekt, das der Fonds Wanderlust der Kulturstiftung des Bundes mitfinanziert hat.

„Wer solche Freunde hat“ ist ja Motto der Saison – und die Intendantin Brigitte Dethier zeigt mit ihren Mitstreitern eindrücklich, dass ihr Haus auch in dieser Spielzeit nicht ohne vermögende Freunde ist. Die Theaterleute zählten zu den ersten, die es geschafft haben, sich die Herren und Damen gewogen zu machen, die Mittel des neuen Ideenträger-Innovationsfonds-Geldtopfes des Landes Baden-Württemberg verteilen.

Vernetzung und Interdisziplinarität heißen die Zauberwörter, und so kommt es, dass das Jes und seine Partner mit 35.000 Euro unterstützt werden, damit im Frühjahr 2013 Räuber Hotzenplotz, Krabat und Co. das Jes aufmischen können. Beim Otfried-Preußler-Festival ist der Stuttgarter Thienemann-Verlag beteiligt, das Delphi-Kino zeigt Filme, es findet ein Symposium statt, und das Kunstmuseum lässt Kinder ein Kleiner-Wassermann-Kunstbuch machen. Neben Gastspielen und einem „Krabat“-Projekt mit dem Spielclub gibt es Geld für eine Produktion namens „Der starke Wanja“, die Preußlers faulen Sonnenblumenesser zum Helden hat. Ein Stück, bei dem Wanja, der dann doch irgendwann in die Puschen kommt, Prüfungen machen muss, und die Zuschauer sollen mithelfen. „Damit können wir wirklich etwas wagen“, sagt Brigitte Dethier, sprich: Bei der Inszenierung kann man künstlerisch Grenzen ausloten und muss nicht auf eventuelle Auslastungszahlen bei den Vorstellungen achten. „Ich bin sehr froh, dass wir hier Geld auch für eine rein künstlerische Arbeit bekommen“, sagt Dethier und spricht einen Punkt an, der das Theater sowohl stärkt als auch auf lange Sicht womöglich schwächt: die Theaterpädagogik.

„Wir könnten 20 Kitas mehr in unser Programm aufnehmen“

Das Theater macht neben Spielclubs für Kinder und Jugendliche auch pädagogische Arbeit in Schulen und Kindertagesstätten. Dieses Jahr gibt es eine enge Kooperation mit drei Stuttgarter Grundschulen, intensiviert wurden auch die Sprachförderprojekte in Kooperation mit dem Jugendamt in nun 25 Kindertagesstätten (Kitas). Dafür gibt es Geld und jetzt auch eine Pädagogen-Stelle mehr, aber: Dort müssen eben auch Stücke gezeigt werden können, und wenn viele Mitarbeiter an solche extrem zeitintensiven Projekte, die stets auch mit aufwendiger Vor- und Nachbereitung verbunden sind, geht den Künstlern, die wie so viele am Limit der Selbstausbeutung arbeiten, womöglich irgendwann die Puste aus. „Wir sind da an einer Leistungsgrenze angelangt“, sagt Dethier. „Wir haben viel mehr Anfragen, als wir bewältigen können, wir könnten 20 Kitas mehr in unser Programm aufnehmen.“ Dazu kommen all die Kooperationsanfragen von anderen Kultureinrichtungen, mehr als man sich wünschen kann, denn nicht nur personell, auch räumlich ist das Theater am Limit – auch da die Proberäume nur begrenzt nutzbar sind (sobald das Figurentheater Vorstellung hat, kann dort nicht mehr gearbeitet werden, weil die Räume übereinanderliegen und die Räume nicht schalldicht sind).

Noch ist Dethier erstaunlich bescheiden, wenn sie beispielsweise erzählt, wie sie sich freue, dass der Große beim Kleinen nachfragt (Staatsschauspielchef Hasko Weber wünschte sich, im Jes zu inszenieren, die gelobte Inszenierung „Nulli und Priesemut“ hatte kürzlich Premiere). Dabei hat sich in den vergangenen Jahren doch gezeigt: Das Jes ist eine Riesin in Sachen Nachwuchsarbeit, Kinder- und Jugendtheater – einmalig im Land sowieso, aber auch bundesweit und international höchst geachtet. Dethier lacht und sagt: „Mir gefällt’s in Stuttgart.“ Die Zukunft wird zeigen, ob es so bleibt. Alleinstellungsmerkmal nennt man so etwas wie das Jes – Stadt und Land wären gut beraten, die Theaterleute, allen voran Brigitte Dethier, auf eine Weise (weiter) zu unterstützen, dass nicht am Ende ein finanziell, personell und räumlich äußerst gut ausgestattetes Theater in München oder anderswo der Stuttgarterin ein unausschlagbares Angebot macht.