Szene aus „Kein Plan“ Foto: Jes

Tanztheater mit Laiendarstellern? Wenn die Macher ihre Protagonisten ernst nehmen und sie choreografisch wie tänzerisch ­herausfordern, kann das gelingen. Messlatte ist hier wohl Pina Bauschs „Kontakthof“, wahlweise für Jugendliche oder Senioren.

Tanztheater mit Laiendarstellern? Wenn die Macher ihre Protagonisten ernst nehmen und sie choreografisch wie tänzerisch herausfordern, kann das gelingen. Messlatte ist hier wohl Pina Bauschs „Kontakthof“, wahlweise für Jugendliche oder Senioren.

Stuttgart - Nun ist mit „Kein Plan“ von Brigitte Dethier, Intendantin des Jungen Ensembles Stuttgart (Jes), und dem belgischen Choreografen Ives Thuwis-de Leeuw solch ein Experiment auch ohne Rückgriff auf ein schon bestehendes Werk gelungen und zudem an einem Ort, an dem normalerweise Sprechtheater im Zentrum steht. Das Stück über die Orientierungslosigkeit der Jugend vor dem Hintergrund unendlicher Möglichkeiten hatte am Samstag im Jungen Ensemble Stuttgart Premiere.

Bei allem Charme der gesprochenen Passagen: „Kein Plan“ verblüfft vor allem, wenn die fünf Jungs und Männer unterschiedlichen Alters sich zur Gruppe formieren, um allein in temporeichen Bewegungsfolgen das zu sagen, von dem ihre Münder zuvor und danach erzählen. Mit einer zornigen Wucht und zugleich fast zärtlich aus den Händen und Gelenken geführt, machen sie ihre innere Zerrissenheit, ihr Getriebensein durch familiäre und gesellschaftliche Erwartungen auf ebenso packende wie anrührende Weise sichtbar. Da zerteilen Handkanten den leeren Raum und den eigenen Körper in Abschnitte, zielen Zeigefinger in die Zukunft, reißt die Schulter den Oberkörper zurück, um ihn dann wieder nach vorne zu werfen. Dabei erstaunt die tänzerische Qualität des Zusammenspiels, das ein professionelles Niveau nicht nur punktuell erreicht, sondern durchhält.

Zu gerne wäre man Zeuge der intensiven Proben gewesen, in denen „Kein Plan“ entwickelt wurde – einem vom Regieteam vorgegebenen Thema folgend.

Geschickt sind die realen Biografien der drei Laiendarsteller und der zwei Ensemble-Mitglieder in das Verwirrspiel um die vielfältigen Möglichkeiten der Existenzen ins Bühnengeschehen verwoben. Ein Baugerüst dient symbolträchtig als Kulisse und Kletterparcours. Da ist zum einen der erfrischend spielfreudige Erik Laicher (Konfirmation: nächstes Jahr, Rente: 2068) oder der coole Oscar Gmelin mit der sonoren Stimme (prognostizierter Werdegang: Weltreisender für einen Monat, Abbrecher verschiedener Studien, Master der Philosophie, Absturz). Der mit echtem Zorn im Blick und im Leib feinnervig agierende Yannick Blomdahl wiederum wird sich nach Abi, Reisen und einem Freiwilligen Sozialen Jahr an diversen Kunsthochschulen bewerben: vergeblich, meint der Skeptiker.

Bleiben der Theaterpädagoge Frederic Lilje, der sich als Idealist zu erkennen gibt und sich bei aller Präsenz gelassen im Hintergrund hält, sowie der Schauspieler David Pagan, mit 35 Jahren der Älteste der fünf.

Seine biografischen Eckpunkte zeigen, an welchen Ereignissen sich die Weichen in die Zukunft stellen: seiner künftigen Frau begegnet und Deutsch gelernt, diese Liebe nicht getroffen – kein Deutsch gelernt. Manchmal reicht es schon, ob ein Kind Fin oder Finn heißt, um den Eindruck einer Person zu verändern. Der Qual der Wahl stellen sich die Protagonisten häufig durch Fragen: „18 mit Problem oder sorgenfrei 50?“ Oscar entscheidet sich für die schwierige Jugend. Cool oder witzig? Beides. Das gilt für „Kein Plan“ allemal.

Weitere Aufführungen: An diesem Montag, 30. Juni, und am 6. und 8. Juli, jeweils um 19 Uhr. Sowie am 7. Juli um 11 Uhr. Karten unter 07 11 / 21 84 80 18.