Julia Engelmann ist durch ihren Poetry Slam im Internet bekannt geworden. Foto: Marta Urbanelis

Berühmt-berüchtigt machte sie ein online tausendfach geteilter Gedichtvortrag, an dessen Erklärung bereits etliche firme Feuilletonisten scheiterten. Kaum jemand kennt weitere ihrer Werke. Am Donnerstag trat Julia Engelmann in Stuttgart im Wizemann auf.

Stuttgart - In ihrer „Stern“-Kolumne „Jede Woche, Baby“ agglomeriert sie Binsenweisheiten. Ein Video ihres Vortrags „One Day / Reckoning Text“ bei einem Bielefelder Poetry-Slam ergatterte auf Youtube abstruse neun Millionen Klicks. Angeblich spreche die 23-Jährige für ihre orientierungs- und antriebslose Generation. Es sei angemerkt, dass der Autor dieses Textes ebenjener angehört und noch nie jemanden traf, der sich von besagtem Text repräsentiert fühlt. Trotzdem: Jeder kennt diesen Bielefelder Videoclip. Mehr über Julia Engelmann wissen jedoch die wenigsten. Was treibt sie noch so? Am Donnerstag gastierte sie auf ihrer „Eines Tages, Baby“-Solotour in Stuttgart.

Ein heißer Tipp für liebestolle Jungspunde: Julia-Engelmann-Auftritte! Die Schlange vorm ausverkauften Wizemann bestand größtenteils aus Teenager-Mädchen, dazwischen auch Vertreter deutlich erfahrenerer Jahrgänge – Eltern oder Deutschlehrer, wer weiß?

Mit einem Selfie-Stick (der leider nicht funktionierte) im Anschlag latschte die Frau des Abends auf die Bühne. Dort fanden sich ein paar selbst gebastelte Pappsterne und eine Tafel mit der Aufschrift „Eines Tages, Stuttgart“. In gewohnt gespielt zurückhaltender Manier empfing sie das Publikum: „Wow, schon so viel gute Laune!“ Mit einem Griff in ihren Konfettieimer schleuderte sie einen Teil dessen Inhalts in die Luft, was sie fortan nach jedem Gedicht wiederholte. Irre Nummer.

Kunst muss offenbar nicht immer geistreich sein

„Stille Wasser sind attraktiv“ gab’s zum Start. „Es geht nicht um den Witz an sich, sondern darum, dass wir lachen“, heißt es darin. Möglicherweise geben diese Verse Aufschluss über das Phänomen Engelmann, das nach Anekdoten einen Lachanfall künstelt und bei Konfettiwürfen „Wooh!“ konstatiert: Kunst muss für manchen vielleicht gar nicht geistreich respektive eine Pointe nicht gelungen sein - Hauptsache, man quetscht sich ein Lachen aus der Lunge. Mit dieser Philosophie könnte man sich aber auch zu Hause zwei Stunden prustend vor den Toaster setzen.

Ihre Gedichte mit immer gleicher Rhythmik bestehen im Kern aus bürgerlichen Fragen nach Partner- wie Freundschaft und Selbstfindungsproblemen. Das Werk „Aka, btw, cu“ könnte da eine originelle Abwechslung sein, besteht allerdings lediglich aus alphabetisch aneinandergereihten Anglizismen. Apropos Abwechslung: Teufelsweib Engelmann spielt auch Gitarre! Wirklich schlimm ist nur ihr Coldplay-Cover „Viva la vida“, wobei man freilich in jedem Musikverein jemanden findet, der die Töne besser trifft.

Eine Künstlerin, vergleichbar mt Lena Meyer-Landrut

Engelmann ist keine überdurchschnittlich talentierte Poetin. Ganz und gar nicht. Aber ähnlich wie Lena Meyer-Landrut, die technisch sicher nicht zur Gesangselite zählt, ist sie eine nimmermüde Selbstverkäuferin, die Pubertätsnerven trifft. Dem Geschäftsmodell getreu suggeriert die Show auch Fannähe: Zwischendurch kommt’s zur Fragerunde. Ein junger Mann lud Engelmann zu seinem Geburtstag ein. Sie musste ihn enttäuschen: „Ich bekomme solche Anfragen oft, das wäre unfair.“ Ein Satz wie „Wenn die Kohle stimmt!“ würde die Karriere knicken. Unfreiwillig komisch geriet auch dieser Fan-Idol-Dialog: „Kannst du mal meiner besten Freundin hier neben mir Hallo sagen?“ Engelmann durchs Bühnenmikrofon: „Hallo.“

Zum Abschied ratterte sie selbstredend noch ihren Übererfolgstext runter. Möglicherweise nervt er sie selbst schon ein bisschen. Die sich anschließend bildende Schlange am Merchandise-Stand schien endlos, die Gäste zufrieden: Sie wollten das nette, leicht introvertierte Mädchen von nebenan, das Gedichte auf einer Bühne vorträgt, singt und als Schauspielerin arbeitete – Engelmann hat es gemimt.