Vlade Divac (links) und der verstorbene Drazen Petrovic waren die Köpfe des jugoslawischen Weltmeisterteams, das nur durch den Krieg zu stoppen war. Foto: Dražen Petrović Foundation

Der 19. August 1990 hätte ein identitätsstiftender Tag in der Geschichte Jugoslawiens sein können. Stattdessen markiert der WM-Titel der Basketballer den Höhe- und Wendepunkt des Basketballsports auf dem Balkan, der anschließend in Nationalismus und Krieg versank.

Stuttgart - Es gibt sie. Jene Sportmomente, die sich für immer in das kollektive Gedächtnis einer Nation einprägen. Von denen die Alten noch Jahrzehnte später den Jungen erzählen. Die manches Mal gar das Selbstverständnis einer ganzen Nation prägen und auf Jahre verändern. Aus deutscher Sicht fallen einem „das Wunder von Bern“ 1954 oder „das Sommermärchen“ 2006 ein. „Wir sind wieder wer“, so könnte man das Gefühl beschreiben, das die 54er-Weltmeister dem noch immer von Krieg gebeutelten deutschen Volk zurückgaben und ihm halfen, so etwas wie eine nationale Identität wiederzuentdecken.

 

Auch der 19. August 1990 hätte ein solcher Tag sein können – der Tag, an dem die jugoslawischen Basketballer mit einer der besten europäischen Mannschaften der Geschichte in Argentinien Basketball-Weltmeister wurden. Nur, eine nationale Identität gab es in Jugoslawien 1990 nicht mehr. Der sich abzeichnende Zerfall der Sowjetunion hatte auch Auswirkungen auf den Zusammenschluss der Balkan-Staaten, wo bereits seit dem Tod des Diktators Tito im Jahr 1980 Unabhängigkeitsbestrebungen in den Teilrepubliken Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina zu spüren waren.

Jugoslawien auf dem Basketball-Thron

Aber auch in dem auseinanderdriftenden Vielvölkerstaat gab es ihn. Jenen Moment, in dem alle Streitigkeiten für einen kurzen Augenblick in den Hintergrund traten. In dem eine Gruppe von Spielern aus fast allen Teilrepubliken des Landes das große Jugoslawien ein letztes Mal auf den Thron der Sportwelt hievte und vergessen ließ, dass sie sich eher als Kroaten, Slowenen oder Serben fühlten.

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Es ist der 19. August 1990: Drazen Petrovic, Kapitän, Kopf und Superstar des Teams nimmt in Buenos Aires den WM-Pokal entgegen. Jubelstürme auf dem Parkett, unter den Zuschauern und vor den TV-Geräten in der Heimat. Die geschlagenen Sowjets können nur gratulieren. Die Sportwelt staunt über die Extraklasse der Jugoslawen. Aber schon Sekunden nach diesem Moment, der für die Einheit einer Sportnation hätte stehen können, wird jener Hass greifbar, der sich Jahre später in einem erbitterten Krieg niederschlug. Der Auslöser: Der in Serbien geborene Center Vlade Divac entriss einem Fan die kroatische Fahne und warf sie auf den Boden. Es war der Anfang vom Ende einer Jahrhundertmannschaft des Sports.

Aber der Reihe nach.

„Wir waren Brüder“

„Wir waren Brüder“, sagt Divac heute über jene Mannschaft, die 1990 in Argentinien auf beeindruckende Art und Weise Basketball-Weltmeister wurde. Die auf dem Weg zum Titel sowohl die USA als auch die Sowjetunion besiegte und der viele zutrauten, bei den anstehenden Olympischen Spielen in Barcelona 1992 das angekündigte „Dream Team“ aus den USA um Superstar Michael Jordan zu besiegen. Doch 1992 gab es Jugoslawien nicht mehr in dieser Form. „Es war nicht wichtig, wer woher kam“, erzählt Divac, der neben Petrovic Hauptgarant für den dritten WM-Titel des Vielvölkerstaates war.

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Divac und Petrovic – an jenem kongenialen Duo lässt sich die ganze Geschichte dieser Jahrhundertmannschaft, aber auch die Geschichte Jugoslawiens erzählen. Die Träume, die Triumphe, aber auch die Tragödien und das Leid, das die Unabhängigkeitsbestrebungen und der anschließende Krieg über die Region in den 90er-Jahren brachten. Petrovic, Jahrgang 1964, wuchs im kroatischen Šibenik auf, Divac (1968) im serbischen Prijepolje. Ihr Basketballtalent sorgte dafür, dass sich die Wege der beiden im Vorfeld der Olympischen Spiele 1988 kreuzten. Petrovic galt bereits als bester Basketballer auf dem europäischen Kontinent, Divac aufgrund seiner 2,16 Meter Körpergröße als riesiges Center-Talent. „Ich kannte Drazen nicht“, erzählt Divac Jahre später in einer ESPN-Dokumentation, sagt aber: „Ich hatte gehört, dass er in der Liga einmal 112 Punkte erzielt hatte.“ Ein Rekord, der noch heute gilt. Debütant Divac und Superstar Petrovic wurden im Trainingslager in einem Zimmer untergebracht. Daraus entstand eine Freundschaft, die sich durch den späteren Wechsel der beiden in die nordamerikanische Basketball-Profiliga NBA noch vertiefen sollte.

1988 reicht es „nur“ für Olympia-Silber

Bei den Olympischen Spielen 1988 zeigte sich, welch Potenzial in der jugoslawischen Mannschaft steckt, bei der acht der elf Akteure aus Kroatien kamen. Erst im Finale mussten sich Petrovic und Co. der Sowjetunion beugen. „Wir waren noch nicht soweit“, sagt Divac. Das nächste Ziel der jungen Truppe war die EM im eigenen Land. In Zagreb, der heutigen Hauptstadt Kroatiens, spielte die Mannschaft 1989 alles an die Wand und gewann souverän den Titel. Petrovic wurde zum besten Spieler des Turniers gekürt und der Mozart des Basketballs – so der Spitzname des damals 25-Jährigen – wechselte wie Divac im selben Sommer noch in die USA.

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„Wir sprechen jeden Tag miteinander“, erzählt Petrovic nach dem Wechsel einem US-Fernsehteam. Das helfe, das Heimweh zu vergessen. Während die beiden in den USA in unterschiedlichen Clubs spielten, kamen sie im Sommer 1990 ein letztes Mal zusammen. Zur WM in Argentinien, wo sie der Basketballwelt zeigen wollten: „Wir können alle schlagen.“

„Vlade versteht nicht, was er angerichtet hat“

Was sie beinahe auch taten. In der Vorrunde unterlagen sie jedoch Puerto Rico, was der Mannschaft als Wachmacher für den Rest des Turniers dienen sollte. In den K.-o-Spielen hatten weder die USA noch die Sowjetunion ein Rezept gegen den schnellen und technisch anspruchsvollen Basketball der Jugoslawen. Der Lohn: der WM-Titel und ein letzter unbeschwerter Jubel unter dem roten Stern der jugoslawischen Flagge. Aber nur bis zu jenem Moment, den in Kroatien viele als Moment der Schande ansehen. Von dem der Serbe Divac aber noch heute sagt, er hätte nicht die kroatische Fahne entehren wollen – aber es sei ein jugoslawischer und kein kroatischer Sieg gewesen. Toni Kukoc, wie Petrovic Kroate und zwei Jahre später Teamkollege von Michael Jordan in den USA, sagt heute: „Vlade versteht bis heute nicht, was er angerichtet hatte.“

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Die meisten Kroaten empfanden Divac’ Aktion als einen Affront, als ein politisches Statement, und es verdichtete sich unter den kroatischen Teammitgliedern das Gefühl, eine eigene, eine kroatische Basketballmannschaft solle bei künftigen Turnieren teilnehmen – dabei gab es den Staat Kroatien noch gar nicht. „Die Frage stellte sich für uns gar nicht“, sagt Kukoc. „Es war klar, dass wir auf der Seite unserer Familien stehen – und die sind kroatisch.“ Das sah auch Petrovic so und brach den Kontakt zu Ex-Kumpel Divac ab.

Das Land versinkt in Krieg und Chaos

Der Hass auf Divac ist in Kroatien heute noch so groß, dass man gar die Freundschaft zwischen ihm und Petrovic anzweifelt. Dabei sagt Petrovic’ Bruder Aleksandar, die beiden habe eine „großartige Freundschaft“ verbunden. Der Balkan aber versank im Krieg. Mehr als 100 000 Menschen verloren bis zur Jahrtausendwende ihr Leben. Da Petrovic am 7. Juni 1993 bei einem Autounfall starb, erlebte er weder das Kriegsende noch hatte er die Chance, den Streit mit Divac beizulegen.

Der WM-Titel stiftete keine nationale Identität. Was heute bleibt sind die Narben eines unerbittlichen Krieges und unter den Basketballern jener Generation das Gefühl, eine große Chance verpasst zu haben. „Eine Tragödie“, sagt Divac.

In jederlei Hinsicht.