Schon beim Auftakt in Bietigheim-Bissingen wurden Wünsche und Vorschläge gesammelt. Foto: Phillip Weingand

Bildung, Sicherheit, Teilhabe – über diese und andere Themen diskutieren die Teilnehmer bei den Jugendkonferenzen. Wir waren bei der Auftaktveranstaltung und haben erfahren, was junge Menschen umtreibt.

Desinteressiert, verwöhnt und selbstbezogen – diesen Ruf genießt die jüngere Generation bei vielen Älteren. Doch viele junge Leute machen sich umfassend Gedanken über die Zukunft der Gesellschaft und die eigene, sie vertreten differenzierte Meinungen und suchen Mittel und Wege, ihren Wünschen Gehör zu verschaffen. Eine davon sind die 40 Jugendkonferenzen, die bis zum Mai 2025 in ganz Baden-Württemberg stattfinden.

 

Auf Initiative des Kultusministeriums diskutieren dort Schüler über ihre Sorgen und Wünsche zum gesellschaftlichen Zusammenleben. Die Lösungsvorschläge oder Forderungen, die sie dort erarbeiten, werden Kultusministerin Theresa Schopper und Sozialminister Manfred Lucha vorgetragen. Wir waren bei der Auftaktveranstaltung im Beruflichen Schulzentrum Bietigheim-Bissingen dabei und haben mit vier Gymnasiasten darüber gesprochen, welche Befürchtungen und Wünsche sie haben.

Joscha Teichmann sorgt sich um die Wirtschaft

Joscha Teichmann (18) aus Murr. Foto: Weingand

Der Zwölftklässler Joscha Teichmann macht sich unter anderem Sorgen um die Finanzierung von Herausforderungen in der Zukunft. „In vielen Bereich müsste man viel Geld investieren, zum Beispiel bei der Bahn, in der Medizin oder beim Militär, aber der Haushalt reicht dafür doch nicht wirklich aus“, sagt der Murrer. Auch in die Infrastruktur in Deutschland müsse viel Geld gesteckt werden. „Leider habe ich selbst auch noch keine Idee, wie sich diese Probleme lösen lassen“, meint Teichmann.

Er wünscht sich von der Politik, dass diese ihre Entscheidungen besser kommuniziert. „Wenn irgendwelche Entscheidungen getroffen werden, ist es für viele Menschen extrem schwer, das nachzuvollziehen, man hat dann das Gefühl, dass Dinge grundlos geschehen.“ Hier gelte es an der Transparenz zu arbeiten.

Shedy Musbahi hofft auf modernere Lehrpläne

Shedy Musbahi (19) aus Sersheim Foto: Weingand /

Den Dreizehntklässler Shedy Musbahi treiben vor allem Gedanken rund um das Thema Bildung um. „Die Entwicklung der Schule macht mir Sorgen. Oft sind die Themen doch veraltet, ich habe das Gefühl, dass der Lehrplan nicht mit dem Lauf der Zeit Schritt gehalten hat.“ Dazu gehöre auch der Fortschritt der Digitalisierung an Schulen und in Deutschland allgemein: „Da hinken wir anderen Ländern doch hinterher, und der Abstand wird immer größer.“

Musbahi wünscht sich, dass Schüler in den Schulen besser und praxisnäher über ihre Möglichkeiten informiert werden. „Ich habe das Gefühl, dass vor allem Ausbildungsplätze gefördert werden. Aber es wäre auch gut, wenn wir mehr Infos zu Studienplätzen bekommen würden.“ Er würde es auch begrüßen, wenn Schulen mehr Wissen darüber vermitteln würden, wie man sich später auf einen Job bewirbt.

Nevval Cindemir wünscht sich mehr Zugehörigkeitsgefühl

Nevval Cindemir (20) aus Freiberg Foto: Weingand

Die Dreizehntklässlerin Nevval Cindemir blickt etwas verunsichert in ihre eigene Zukunft. Sie würde sich mehr Begleitung wünschen. „Ich könnte mir vorstellen, etwas in Richtung Ingenieurwesen oder Informatik zu machen“, sagt sie. „Aber welche Studiengänge es da gibt und welcher der richtige für mich ist, kann mir keiner so richtig erklären.“ Sie lebe seit vier Jahren hier, habe Migrationshintergrund. „Deutsch ist nicht meine Muttersprache, da frage ich mich schon, ob ich das alles schaffe.“ Cindemir vermisst manchmal Unterstützung im Dschungel der Möglichkeiten und Angebote.

Für die Zukunft wünscht sie sich mehr Zusammenhalt der Gesellschaft – „und mehr Frieden natürlich.“ Sie selbst habe auch schon Diskriminierung erlebt – „selten, aber es kam schon vor.“ Dabei wünsche sie sich ein Zugehörigkeitsgefühl, „dass auch ich an der Gesellschaft teilhaben kann.“

Tim Rosenburg: Balance zwischen Innovation und Umweltverträglichkeit

Tim Rosenburg (18) aus Ilsfeld /Weingand

Auch der Zwölftklässler Tim Rosenburg sorgt sich um die Bildung im Land. „Es wird immer viel über den Lehrplan gesprochen, aber ich habe das Gefühl, dass sich da nicht wirklich etwas geändert hat“, sagt er. „Es ist einfach immer mehr Stoff, der in einen immer kürzeren Zeitplan gepackt wird.“ Besser fände Rosenburg weniger Schulstoff – „und dafür mehr Tiefe.“

Im Bereich der Bildung wünscht er sich mehr Praxisbezug. „Es sollte mehr berufsbezogene Fächer geben“, sagt er. Sein Wunsch an die Politik ist es, die richtige Balance zwischen Fortschritt und Umweltverträglichkeit zu finden. „Vor einiger Zeit war Deutschland doch ein innovatives und wirtschaftlich starkes Land“ – das habe in den vergangenen Jahren nachgelassen. „Einerseits zukunftsorientiert, andererseits umweltfreundlich. Das ist natürlich ein schmaler Grat, aber den muss man finden.“

Jugendkonferenzen

Teilhabe
Die Jugendkonferenzen sollen ein Mittel sein, mit dem junge Menschen ihre Ängste, Sorgen, aber auch Wünsche und Forderungen an die baden-württembergische Landesregierung weitertragen können. In diesem Jahr wurde die Zahl der Konferenzen von 10 auf 40 vervierfacht. Sie finden zwischen Oktober 2024 und Mai 2025 an ausgewählten Schulen im ganzen Land statt. Die Kick-Off-Veranstaltung war am Freitag im Beruflichen Schulzentrum Bietigheim-Bissingen – einer Schule, in der Demokratiebildung eine große Rolle spielt.

Bewerbung
Schulen, die eine solche Jugendkonferenz abhalten wollen, können sich ab Anfang Oktober über die Webseite der Jugendstiftung Baden-Württemberg um eine Teilnahme bewerben. Die bis dahin erarbeiteten Vorschläge und Forderungen werden am 12. November auf der Landesjugendkonferenz des Kultusministeriums an die Landesregierung weitergetragen.