Nach einer Geburt sind zehn Prozent der Familien auf Hilfe angewiesen Foto: dpa-Zentralbild

Die Tagesordnung des Jugendhilfeausschusses war ausufernd und enthielt gleich mehrere Vorschläge der Verwaltung zur präventiven Sozialarbeit. Debattiert wurde nicht. Stattdessen verwiesen die Fraktionen auf die Haushaltsplan­beratungen im Dezember.

Stuttgart - Die Themen, die Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer dem Jugendhilfeausschuss des Gemeinderats präsentierte, waren breit gefächert. Hilfen, Projekte und deren Ausweitung sowie Nachholbedarf vorhandener Konzepte wurden in Vorlagen präsentiert, die allesamt Familien und Kinder stärken sollen.

Dass damit aber zumeist ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf verbunden ist, stellte die Stadträte vor ein Problem: „Wir werden wegen der Haushaltsplanberatungen im Dezember kein Statement abgeben“, stellte Iris Ripsam (CDU) kurz angebunden fest, und in den meisten Fällen folgten ihr die Vertreter der anderen Fraktionen.

Seit Jahren haben sich die Stadträte diese Zurückhaltung in den Ausschüssen auferlegt, um dem Votum der Fraktionen nicht vorzugreifen. Dort will man sich austauschen, die Vorschläge der Verwaltung im Gesamten betrachten und so zu eigenen Überzeugungen und Anträgen zum Haushalt kommen.

Ein Vertreter der Caritas hat in der jüngsten Sitzung des Ausschusses Anlauf zu einer fachlichen Erörterung genommen, doch er wurde unterbrochen: „Sie reden pro domo“, warf ihm CDU-Stadträtin Iris Ripsam vor. Übersetzt: Er würde für sein eigenes Konzept, sein eigenes Haus werben.

Ripsam rührte damit an einem strukturellen Problem des Ausschusses. Der Fachausschuss des Gemeinderats ist so zusammengesetzt, dass nicht nur die benannten zehn Stadträte, sondern auch sogenannte sachkundige Bürger – zum Beispiel Elternvertreter – und fünf stimmberechtigte Vertreter der kirchlichen und freien Jugendhilfeträger dem Gremium angehören. Die PraxisErfahrungen aus der Wohlfahrtspflege sollen für den fachlichen Input sorgen, doch gelegentlich – wie in diesem Fall – taucht der Vorwurf auf, die Vertreter der Wohlfahrt verträten im Ausschuss insbesondere eigene Pfründe.

Der Einwurf Ripsams erzürnte Heinz Gerstlauer, den Vorsitzenden der Evangelischen Gesellschaft (Eva). „Was Sie machen, ist gespenstisch!“, sagte er. „Das ist wie in einem Gespensterwald, da kann man reinrufen, doch vorm 18. Dezember kommt nichts raus. Man kann doch inhaltlich diskutieren und in der Haushaltsplandebatte trotzdem zu einem anderen Ergebnis kommen.“ Doch für die Stadträte war die Diskussion hier beendet. Zumindest die öffentliche, denn jetzt liegen die Vorschläge der Verwaltung in den Fraktionszimmern. In zwei Runden bringen sie hinter verschlossenen Türen ihre Vorschläge ein, am 17. und 18. Dezember finden die letzten öffentlichen Gemeinderatssitzungen statt – zuerst zu den geplanten Personalstellen, am zweiten Tag geht es acht bis zehn Stunden um alle Anträge zum Haushalt. Bei mehr als 500 bis 700 Tagesordnungspunkten bleibt für Detailfragen kaum Zeit, mehr als die Hälfte wird entsprechend der Vorberatung pauschal beschlossen. Alexander Kotz, Fraktionschef der CDU, findet das Verfahren im Vergleich zu früher trotzdem besser: „Damals haben die Fraktionen übers Jahr Anträge gestellt, und die Stadt kam zur Haushaltsberatung mit Vorschlägen. Eine Beratung war in dieser kurzen Zeit kaum möglich.“ Ohne Beratung in der Fraktion könnten die Stadträte hingegen im Ausschuss kaum Prioritäten setzen, „und ohne sie ergibt sich dann wohl eine recht akademische Diskussion“.

Kritik gab es aber auch an der Sozial- bürgermeisterin. „Warum kamen die Themen gesammelt?“, fragt Vittorio Lazaridis (Grüne). Und: „Wie sollen wir die in gebotener Tiefe in nur einer Sitzung diskutieren?“

Leise Zustimmung zu den Präventionskonzepten äußerten immerhin drei Vertreter: „Wir begrüßen, wenn sich dafür ein Posten im Haushalt fände“, sagte Christian Walter von SÖS-Linke-plus, Judith Vowinkel (SPD) sah ebenfalls eine „Notwendigkeit“. Rose von Stein (Freie Wähler) äußerte „Wohlwollen“ und hofft, „dass wir uns das alles dank guter Gewerbesteuereinnahmen von Porsche und Daimler leisten können“.

Worüber im Jugendhilfeausschuss nicht diskutiert wurde

Die frühe Förderung von Familien wird in Stuttgart seit 2010 umgesetzt. Ziel ist es, Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen und Kinder zu schützen. Die Stadt möchte die Beratung der Eltern von Neugeborenen von zwei auf künftig fünf Geburtskliniken ausweiten, zwei weitere Teams für Hausbesuche bilden und die Familienpatenschaften ausweiten. Kosten: jährlich ca. 500 000 Euro zusätzlich.

Die Stadtteil- und Familienzentren sollen die Beziehungen der Stadtteilbewohner festigen und Nachbarschaften fördern. 13 gibt es bereits, vier neue sollen hinzukommen. Eine hauptamtliche Koordination sowie die Qualifizierung des hauptamtlichen Personals werden angestrebt. Der finanzielle Mehrbedarf für die Jahre 2016 und 2017 ist auf rund 800 000 Euro beziffert.

Die Schulsozialarbeit ist in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut worden. Aktuell sind an 26 Grund- und Werkrealschulen, drei reinen Werkrealschulen, 19 Realschulen und 13 beruflichen Schulen insgesamt Sozialpädagogen (68,5 Stellen) in dieser Funktion tätig. Für die flächendeckende Versorgung sieht die Stadt noch Nachholbedarf an reinen Grundschulen, an Sonderschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen. Insgesamt wären das 23,25 zusätzliche Stellen an 44 Standorten. Für jede Stelle erhalten die Träger eine jährliche Förderung in Höhe von rund 44 000 Euro, das Land zahlt 16 700 Euro Zuschuss pro Stelle. Insgesamt würde der Ausbau für die nächsten zwei Jahre 666 000 Euro kosten. Zuschüsse für die Sozialarbeiter an Privatschulen empfiehlt die Stadtverwaltung nicht.

Ernährungsbildung und -pädagogik betreibt das Jugendamt seit 2014 in verschiedenen städtischen Kindertagesstätten. Eine Ökotrophologin und Ernährungsberaterin hat 70 Aktionen gestaltet und Kindern gesunde Lebensmittel und das Kochen nahegebracht – so erfolgreich, dass das Konzept ausgeweitet werden soll. Die Erzieherinnen sollen dazu geschult werden. Fachbegleitung und Sachaufwand: jährlich 70 000 Euro. (czi)