Immer zur Stelle: Streetworker von Eva und Caritas im Europaviertel Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

OB Kuhn hat angesichts des drohenden Haushaltsdefizits eine Sparrunde verordnet. Angebote für Jugendliche, Kinder und Jugendliche sind erste Opfer. Die Stadträte sind über die Abläufe erzürnt.

Stuttgart - Die erste Sitzung des Jugendhilfeausschusses seit Beginn der Coronakrise sollte 41 Tagesordnungspunkte behandeln. Doch gleich zu Beginn setzte Isabel Fezer, Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, sieben Beschlussvorlagen ab. „Auf Bitte des Oberbürgermeisters“, wie sie sagte.

OB Fritz Kuhn hatte mit Datum vom 15. Mai 2020 eine „Anweisung“ an Referate und Ämter verfasst, „eine Priorisierung der Maßnahmen und Entscheidungsvorschläge“ vorzunehmen – auch für die, wofür der Gemeinderat im Dezember schon Haushaltsmittel bereitgestellt hatte. Angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die städtischen Finanzen – die Schätzung bewegt sich bei einer Lücke in Höhe von rund 550 bis rund 850 Millionen Euro – werden die Budgets für Sachkosten „nur zu 85 Prozent freigegeben“, heißt es in dem Brief an Referenten und Referatsleiter.

Fraktionen fehlt Zeit für Abstimmung

Nicht das Sparen an sich erzürnte die Stadträte am Montag, als der Jugendhilfeausschuss in voller Größe im Hospitalhof zusammenkam. Sie nahmen Anstoß daran, dass sie so kurzfristig vor vollendete Tatsachen gestellt worden sind und damit ihrer Gestaltungsmacht enthoben waren. „Wir haben im Rahmen der Haushaltsplanberatungen Schwerpunkte gesetzt. Wenn man einzelne Themen zurückstellt, dann geht das eigentlich nur in Absprache mit uns“, sagte Luigi Pantisano von der Fraktionsgemeinschaft Die Fraktion. Gabriele Nuber-Schöllhammer (Grüne) protestierte ebenfalls: „Das geht so nicht! Ich bin nicht nur erstaunt darüber, dass wir, der Jugendhilfeausschuss, als erste Geld einsparen sollen, ich bin auch sehr verärgert darüber.“ Sie hätte sich vor der Sitzung ein Zeichen der Bürgermeisterin gewünscht, dann hätten sich die Fraktionen noch abstimmen können. Iris Ripsam (CDU) beklagte die fehlende Zeit für Absprachen ebenfalls. „Hätten wir per Mail von abgesetzten Tagesordnungspunkten erfahren, dann hätten wir Zeit gehabt, die uns dringend erscheinenden Projekte zu benennen oder zu prüfen, ob bei allen Finanzierungsvorschlägen 15 Prozent hätten eingespart werden können.“ Isabel Fezer versuchte zu glätten: „Sie können die Punkte im Gemeinderat ja wieder aufrufen.“

Grüne mahnen Familienfreundlichkeit an

Abgesetzt sind die Förderung und der Ausbau der Kinder- und Familienzentren, der Beratungsangebote, der offenen Einzelangebote, der Abenteuer- und Aktivspielplätze, der Jugendfarmen, der Jugendberufshilfe, der Jugendhäuser, des Programms Kita für alle und der Senkung der Kita-Gebühren für Kleinkinder von Familiencard-Inhabern. Andreas Pohl, ehrenamtlicher Leiter des Aktivspielplatzes Raitelsberg, hat dafür kein Verständnis: „Wir betreiben die Aktivspielplätze seit Monaten unter finanzieller Eigenbelastung, halten die Plätze fit, wir haben sie den besonders belasteten Familien und ihren Begleitern vom Jugendamt geöffnet, und Sie nehmen die Vorlage von der Tagesordnung – ich bin geplättet.“ Stadtrat Vittorio Lazaridis (Grüne) warnte: „Zurzeit werden viele große Hilfspakete geschnürt. Die Familien fragen: Wo bleiben wir? Wir sollten genau hinschauen, was wir auf den Weg bringen, auch weil in diesem Sommer so viele Kinder wie noch nie in Stuttgart bleiben werden. Da müssen alle Träger und die Stadt gut zusammenarbeiten, um Angebote und Räume zu gestalten.“ SPD-Rätin Jasmin Meergans sieht „in den nächsten Wochen einen großen politischen Handlungsbedarf des Gemeinderats“.

Zu spät für Kurzarbeitergeld

Iris Ripsam hält es nicht für ratsam „zu allem Ja und Amen zu sagen, dann haben wir in der Zukunft ein finanzielles Problem“. Zur ungekürzten Finanzierung der Jugendhilfeangebote, die wegen Corona teils geschlossen bleiben mussten, bleibe dem Gremium aber „vermutlich nichts anderes übrig, als die Zustimmung, weil die Träger rückwirkend keine Kurzarbeit beantragen können“, so die CDU-Stadträtin. Das Referat für Jugend und Bildung hätte „viel früher schauen müssen, wo sich Finanztöpfe auftun, um den Haushalt zu entlasten“. Damit spielt Ripsam nicht nur auf die Möglichkeit des Kurzarbeitergeldes an, sondern auch auf Gelder aus dem Rettungsschirm für Sozialdienstleister, SodEG, die bei der Agentur für Arbeit beantragt werden können.

Verwaltungsausschuss entscheidet

SodEG geht bei der Finanzierung nicht über 75 Prozent der bisherigen Zahlbeträge hinaus, auch Kurzarbeitergeld wird nicht zu 100 Prozent gezahlt. Würde man die Differenz von 25 Prozent nicht ausgleichen, könnte Stuttgart 800 000 Euro pro Monat sparen, argumentiert das Wirtschaftsreferat. Isabel Fezer bleibt bei ihrer Empfehlung, die 314 Träger zu 100 Prozent zu fördern, was pro Monat mit rund 3,3 Millionen Euro zu Buche schlägt. Das Gremium nahm’s zur Kenntnis, An diesem Mittwoch entscheidet der Verwaltungsausschuss.