Thomas Märkle Foto: Gottfried Stoppel

Die Eugen-Nägele-Jugendherberge in Murrhardt ist wegen der Coronakrise seit Mitte März geschlossen. Jetzt startet der Dachverband mit einer Onlinepetition – es ist ein Hilferuf.

Murrhardt - Der große Essensraum: steht leer. Die 31 Schlafzimmer mit zusammen 112 Betten: sind alle nicht belegt. Ein Werktag im sommerlichen Frühling, Stippvisite in der Eugen-Nägele-Jugendherberge in Murrhardt (Rems-Murr-Kreis). Im Aufenthaltsraum ist es still, nur die Wanduhr tickt monoton. An einem der viele Tische sitzt einsam und verlassen Thomas Märkle, der Leiter der Herberge.

Er ist eigentlich ein fröhlicher Mensch, doch seit Mitte März ist alles anders. Vor rund sechs Wochen wurde das idyllisch am Ortsrand gelegene Haus wegen der Coronakrise geschlossen, so wie alle insgesamt 47 Jugendherbergen im Land. Märkle will zwar Optimist bleiben. Doch das fällt ihm offenkundig schwer. Normalerweise ist das Haus während der Schulzeit oft sehr gut besucht.

Märkle und sein kleines Team haben sich spezialisiert auf Schullandheime für vierte Grundschulklassen. Die Kinder und ihre Lehrer erkunden die Umgebung, etwa die wildromantische Hörschbachschlucht im Schwäbischen Wald. Märkle ist dann Mädchen für alle und für alles. Ständig sei was los im Haus, und jetzt das: Stille, nichts als Stille.

„Ich weiß, was ich vermisse“, sagt der 60-Jährige, die vielen Kinder und auch seine anderen Gäste, Wanderer zum Beispiel. Und die stornierten Aufenthalte der Viertklässler werden ganz bestimmt nicht nachgeholt. Der Herbergsvater ist in Kurzarbeit. Die paar Stunden, die er noch im Dienst ist, verbringt er mit Kontrollgängen. Er prüft, ob alle Rauchmelder funktionstüchtig sind. Er dreht regelmäßig alle Wasserhähne auf, damit sich in den Leitungen keine Legionellen sammeln. Er macht Gartenarbeit und streicht die Wände, „solange noch Farbe da ist“.

Neu gekauft werde nämlich fast nichts mehr, Ausgaben seien tabu. Wo immer möglich werde gespart. Die eine fest angestellte Vollzeitkraft und die vier Teilzeit-Mitarbeiter der Herberge seien alle in Kurzarbeit null. Märkle sagt, er versuche, das Haus so in Schuss zu halten, dass es flott wieder belegt werden könnte für Sondernutzungen. Etwa für den Fall, dass das Land, der Kreis oder die Stadt schnell eine Unterkunft brauchen. In der Jugendherberge Neckartal in Stuttgart zum Beispiel wurde unlängst eine Fieberambulanz eingerichtet. Die Herberge in Mannheim wurde zu einer Krankenhausstation für sogenannte Routine-Quarantänefälle.

Kurzarbeit null für alle Mitarbeiter

Räume für Abiturienten zur Vorbereitung auf die Prüfungen

Märkle macht sich Gedanken über die Zukunft seiner Herberge. Er könnte sich vorstellen, Abiturienten zur Vorbereitung auf die Prüfungen zu beherbergen, jeder Schüler bekäme ein eigenes Zimmer, Abstand halten sei auch in Lerngruppen in den große Räumen sehr gut möglich. Und im kommenden Jahr würde der Leiter gerne Ferien für Großeltern und für Enkel anbieten, denn „die haben was nachzuholen“. Zurzeit sollen Omas und Opas wegen des Coronavirus bekanntlich keinesfalls ihre Enkel treffen.

„Wir sind zwischen alle Stühle gefallen und da hängen wir noch“, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH) Baden-Württemberg, Jörg Hoppenkamps. Keins der staatlichen Rettungsprogramme komme für das DJH in Frage. Vom Land sei den 47 Jugendherbergen immerhin gestattet worden, Geld, das eigentlich für Investitionen gedacht war, jetzt als Betriebskostenzuschüsse zu verwenden. Auch eine Landesbürgschaft wurde zugesagt. Mit Hilfe dieser Kredite sei es wohl möglich, die Talsohle durchzustehen. Das Problem werde aber nur in die Zukunft verschoben, denn Kredite müssten halt zurückbezahlt werden.

Hoppenkamps erwartet, dass die Herbergen noch mindestens bis Ende Mai zu bleiben. Dem Landesverband werde dieses Jahr „eine zweistellige Millionensumme“ fehlen. Ob einige DJH-Häuser womöglich für immer geschlossen werden müssten, sei seriös nicht zu beantworten. Derzeit würden dauerhaften Schließungen aber nicht diskutiert.

„Bleibt das ein oder andere Haus auf der Strecke?“

Das DJH sei eigentlich davon ausgegangen, dass die abgeschlossen Betriebsausfallversicherung, die auch eine Pandemiefall einschließe, für den Schaden aufkommt. Hoppenkamps erzählt von „einem spannenden Streit“. Denn die Versicherung wolle nicht bezahlen. Die Herbergen seien nicht wegen eines Coronafalles geschlossen worden, so die Argumentation der Versicherung, sondern lediglich präventiv. Und dieser Fall sei eben nicht mitversichert.

Der Dachverband hat deshalb nun über das eine Onlinepetition gestartet. Ohne staatliche Hilfen stünden die Jugendherbergen in Deutschland vor dem endgültigen Aus. Deshalb müssten die Herbergen ebenfalls unter einem staatlichen Rettungsschirm Schutz finden, so die Forderung. In der ersten Woche nach dem Start wurde die Petition von mehr als 32 000 Unterstützern unterzeichnet.

Thomas Märkle in Murrhardt erlebt die Zeit als beklemmend. Sein Haus sei abgeschottet, dabei sei es doch eigentlich dafür gebaut wurde, zwischenmenschliche Kontakte zu fördern. Der Optimist Märkle sagt aber auch: „Wenn es einen Weg gibt, dann finden wir den.“ Der Mann, der seit 30 Jahren beim DJH arbeitet, blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Er fragt sich: „Bleibt das ein oder andere Haus auf der Strecke?“ Seine Jugendherberge in Murrhardt verfügt aber über einen Trumpf: Sie ist benannt nach Eugen Nägele, einem der Gründungsväter des heutigen DJH.