Während der Corona-Pandemie musste er etwas leiser auftreten. Doch sonst ist der Jugendgemeinderat eine lautstarke Stimme in der Esslinger Kommunalpolitik. Er feiert seinen 25. Geburtstag, und von 24. bis 26. Oktober stehen Neuwahlen an.
Er selbst wäre weder wählbar noch wahlberechtigt. Denn der Esslinger Jugendgemeinderat feiert in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag und hat damit die Altersobergrenze von 19 Jahren deutlich überschritten. Doch im Stadtgeschehen sieht das Nachwuchsgremium gar nicht alt aus. Es ist in seine wichtige Rolle hineingewachsen, meint Oliver Appelt, der innerhalb der Esslinger Stadtverwaltung auch für den Jugendgemeinderat zuständig ist. Vom 24. bis 26. Oktober stehen Neuwahlen an.
Herr Appelt, wird der Jugendgemeinderat nur geduldet oder kann er Einfluss nehmen?
In den 25 Jahren seines Bestehens hat sich der Esslinger Jugendgemeinderat zu einem wichtigen Entscheidungsgremium innerhalb der Stadt entwickelt. Über die Jahre hinweg ist das gegenseitige Vertrauen gewachsen, und die Verwaltung sowie andere kommunalpolitische Akteure sind offener gegenüber den Anliegen der jungen Erwachsenen geworden. Sozialbürgermeister Yalcin Bayraktar hat sogar einen festen Gesprächstermin pro Quartal mit Vertretern des Jugendgemeinderats eingerichtet. Die Beteiligungsformate der jungen Erwachsenen wurden aber auch per Gesetz in den letzten Jahren ausgeweitet. Sie haben ein Anhörungs- und Rederecht im Gemeinderat und können dort Anträge stellen. Außerdem ist je ein Jugendgemeinderat als beratendes Mitglied im Ausschuss für Bildung, Erziehung und Betreuung sowie im Kulturausschuss des Gemeinderates vertreten.
Welche Anliegen hat der Jugendgemeinderat in der Vergangenheit behandelt?
Einen großen Erfolg hat das Gremium mit der Installation einer festen Busverbindung in das Wohngebiet Egert in Esslingen-Zell mit vielen jungen Familien geschafft. Aber auch die Einrichtung der Nachtbusse und das freie WLAN in der Esslinger Innenstadt gehen auf das Konto des Jugendgemeinderats. Es wurde auch ein Antrag für einen Radweg in der Breslauer Straße gestellt – diesem Vorhaben wurde im Gemeinderat zugestimmt. Neue Themen, die der Jugendgemeinderat anpacken wird, werden gemeinsam im Einführungswochenende im November erarbeitet. Wir machen Anregungen und Vorschläge, aber keine Vorgaben.
Die Wahlbeteiligungen bei Jugendgemeinderäten lagen in der Vergangenheit zwischen 30 und 40 Prozent?
Mit Blick auf die Beteiligung bei anderen Wahlen ist das ein guter Wert. Leider interessieren sich aber Jugendliche, die in Stuttgart oder an einem anderen Ort außerhalb von Esslingen zur Schule gehen, weniger für die örtlichen Jugendgemeinderatswahlen. Zudem gibt es immer jemanden, dem der Termin für die Jugendgemeinderatswahlen wegen Studienfahrten, Projekttagen, Prüfungen oder aus anderen Gründen nicht passen.
Woher wissen Jugendgemeinderäte, was ihren Altersgenossen wirklich unter den Nägeln brennt?
Durch Gespräche, die sozialen Medien, persönliche Kontakte und private Freundschaften. Aber auch an den Schulen und in den Jugendhäusern werden immer wieder Anregungen an die Jugendgemeinderäte herangetragen. Sie sitzen zudem in zwei Ausschüssen und können an Gemeinderatssitzungen teilnehmen, sodass sie über aktuelle Fragen im Stadtgeschehen informiert sind.
Hat Corona der Arbeit des Jugendgemeinderates geschadet?
Corona war ein Härtetest. Wenn die Jugendlichen keine Lust auf eine Weiterarbeit im Gremium oder nun auf eine Kandidatur gehabt hätten, hätten sie das sehr leicht auf die Pandemie schieben können. Doch die Bereitschaft zur Mitarbeit und für Bewerbungen ist ungebrochen. Denn alle sind trotz erschwerter Bedingungen, etwa durch Online-Sitzungen, bei der Stange geblieben.
In vielen Städten und Gemeinden können keine Kandidaten mehr für den Jugendgemeinderat gefunden und gewonnen werden. Warum klappt das in Esslingen so gut?
Wir haben für die Wahl 2022 und die zu vergebenden 20 Sitze 35 Kandidaten gewinnen können. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten für ihre Aufgabe brennen und sich aktiv für die Sache einsetzen. Die Stadt Esslingen leistet sich mit mir einen hauptamtlichen Mitarbeiter, der unter anderem für den Jugendgemeinderat zuständig ist. Zusätzlich dazu gibt es seit einem Jahr in Person von Peter Komhard vom Amt für Soziales, Integration und Sport eine weitere Unterstützung des Gremiums, der insbesondere sein Netzwerk und seine guten Kontakte zu den Jugendhäusern und Jugendeinrichtungen einbringt. Und es ist sicher gut, dass die jungen Erwachsenen feste Ansprechpartner haben. Aber auch die Schulen engagieren sich sehr.
Gibt es denn den typischen Jugendgemeinderat?
Eine Frauenquote benötigt der Jugendgemeinderat nicht. Denn die Mitglieder sind mehrheitlich weiblich, und die letzten drei Vorsitzenden des Gremiums waren dies auch. Und es ist auch ein gewisses Übergewicht an Gymnasiasten zu erkennen.
Warum sind Schüler anderer Schulformen so wenig vertreten?
Die aktuellen Jugendgemeinderäte gehen vor einer Wahl an alle weiterführenden Schulen und stellen sich und ihre Arbeit vor. Eine Begründung, warum sich vermehrt Gymnasiasten anmelden, ist schwierig zu beantworten, da bei der Schultour sehr viele Schülerinnen und Schüler aller Schularten generelles Interesse an einer Mitarbeit im Gremium zeigen und sich Informationsmaterialien von mir zuschicken haben lassen
Ist der Zeitaufwand für einen Jugendgemeinderat hoch?
Es ist sicherlich nicht so, dass keine Zeit mehr für andere Aktivitäten bleiben würde. Es stehen sechs öffentliche Sitzungen im Jahr an. Interne Sitzungen werden alle zwei Wochen außerhalb der Schulferien abgehalten. Es herrscht aber keine Anwesenheitspflicht. Der Zeitaufwand hängt aber auch immer von der Übernahme eines Amtes ab. Die bisherige Vorsitzende Helin Cengiz hat sich sehr stark eingebracht.
Warum sollte sich junge Mensch für eine Tätigkeit im Jugendgemeinderat interessieren?
Weil sie auf allen Ebenen davon profitieren. Sie bekommen Kontakte, lernen ehrenamtliches Engagement kennen, erfahren, wie eine Stadtverwaltung funktioniert und welche Probleme vor Ort gerade aktuell sind. Unsicherheiten werden abgebaut, die freie Rede trainiert, ein gutes Auftreten erlernt. Sie dürfen aber auch Fehler machen und werden nicht von Anfang an ins kalte Wasser geworfen. Wenn sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen und sich fragen, ob die Tätigkeit etwas fürs Leben bringt, werden sie diese Frage mit „Ja“ beantworten.
Sie sind seit 22 Jahren für den Esslinger Jugendgemeinderat zuständig. Ist es schwierig, den Kontakt zu den jungen Erwachsenen zu halten und nicht amtsmüde zu werden?
Nein, überhaupt nicht. Mir macht die Aufgabe nach wie vor großen Spaß. Ich arbeite sehr gerne mit jungen Menschen zusammen und bin ich auch in meiner Freizeit Trainer einer Frauen-Tischtennis-Mannschaft mit vielen jugendlichen Spielerinnen in Sindelfingen. Wichtig ist aber, dass man sich nicht anbiedert, nicht krampfhaft in den Jugendslang verfällt oder jugendliche Verhaltensweisen nachahmt. Authentizität ist wichtig und Ehrlichkeit.
Der Esslinger Jugendgemeinderat
Person
Oliver Appelt wurde 1972 in Stuttgart geboren, ist in Weil der Stadt aufgewachsen und wurde zum Diplom-Verwaltungswirt ausgebildet. Nach einer zweijährigen Tätigkeit bei der Kassenärztlichen Vereinigung trat er im Februar 2000 in die Dienste der Stadt Esslingen. Er ist Ratsschreiber, Sachgebietsleiter Innerer Dienstbetrieb, kümmert sich um die Geschäftsstelle des Gemeinderates und ist für den Jugendgemeinderat zuständig. In seiner Freizeit trainiert er die Jugend-Damen-Bundesliga-Mannschaft im Tischtennis in der dritten Bundesliga in Sindelfingen.
Kandidaten
Wählbar für den Jugendgemeinderat sind alle 14- bis 19-Jährigen, die ihren Hauptwohnsitz seit mindestens drei Monaten in Esslingen haben. Der Ort des Schulbesuchs spielt keine Rolle. Die gleiche Personengruppe ist auch wahlberechtigt. Die Jugendgemeinderatswahlen finden vom 24. bis 26.10.2022 an allen weiterführenden Esslinger Schulen statt. Zusätzlich dazu besteht am Mittwoch, 26. Oktober, zwischen 16 und 20 Uhr im Neuen Rathaus( im Trausaal im Erdgeschoss die Chance zu wählen. an. Pro Kandidat kann eine Stimme vergeben werden. Es müssen mindestens sieben und höchstens 20 Bewerber angekreuzt werden. Die Stimmen werden am Donnerstag, 27. Oktober, ausgezählt. Die Ergebnisbekanntgabe der JGR-Wahlen erfolgt am Donnerstag, 27.10., ab 18 Uhr im Bürgersaal im Alten Rathaus.
Gremium
Der Esslinger Jugendgemeinderat hat 20 Sitze und wird auf zwei Jahre gewählt. Wegen der Corona-Pandemie war das letzte Gremium ausnahmsweise drei Jahre im Amt. Vorsitzende war bisher Helin Cengiz, die aber wegen Erreichen der Altersgrenze nicht mehr antreten kann. Nach einem Einführungswochenende am 12. und 13. November werden die Inhaber verschiedener Ämter wie Vorsitzender oder Pressewart aus den Reihen des Rates neu gewählt.