Die Schüler – im Bild Elena (17) hatten bei Ihrem Auftritt im Buchhaus Wittwer aufmerksame Zuhörer. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Über Schüler wird viel gesprochen, mit ihnen selbst weniger, noch seltener haben sie das Wort. Bei „Jugend präsentiert Wissen“ setzen wir ein anderes Signal.

Stuttgart - Moderator Tom Hörner unterbricht seine Ansage für einen Moment, bittet das Publikum um Verständnis – sein Handy klingelt. „Ja, das Wochenende ist schön gewesen“, spricht er laut ins Telefon. Er sei wandern gewesen, könne jetzt aber leider nicht weiterreden, er müsse moderieren . . . Das Ganze ist natürlich inszeniert, nur ein Spaß, doch die 30 Zuhörer im Buchhaus Wittwer verstehen sofort, was damit ausgedrückt werden soll: das Handy, unser ständiger Begleiter.

Die Einlage des Moderators ist die perfekte Überleitung zu den ausgewählten Schülervorträgen des Abends. „Leben mit dem Smartphone. Sind wir Schüler Sklaven der Technik geworden?“, hat Jonah, Schüler des Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums, seine Arbeit überschrieben, die im Rahmen des sogenannten Seminarkurses – der Alternative zum mündlichen Abitur – entstanden ist. Der 17-Jährige hat dafür Interviews geführt, Studien ausgewertet und eine eigene Umfrage unter Schülern gestartet. Ein Ergebnis: Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2013 besitzen knapp 80 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren ein Smartphone.

Zwar existieren nur wenige Erkenntnisse über die exakte Nutzungsdauer, doch nimmt das Smartphone einen immer breiteren Raum im Leben (nicht nur) der Jugendlichen ein: „Auch beim Essen liegt es heute oft selbstverständlich wie Messer und Gabel auf dem Tisch“, sagt Jonah. Die durchschnittliche Smartphone-Zeit der von ihm befragten Schüler lag bei rund 260 Minuten täglich – wobei der geringste Teil auf das Telefonieren entfiel. Plastisch schildert der 17-Jährige, wie sich die Lebenszeit verteilt, wenn man diese Zahl hochrechnet: „Mit 60 Jahren wird man 14 Wochen geküsst, aber mehr als zehn Jahre online gewesen sein.“

Dazu passen die am Dienstag vorab veröffentlichen Ergebnisse der JIM-Studie 2014 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Demnach wird die Informationsflut und ständige Erreichbarkeit mittlerweile auch von den Jugendlichen selbst als problematisch wahrgenommen. 64 Prozent der 12- bis 19-Jährigen stimmten der Aussage zu, dass sie zu viel Zeit mit dem Handy verbringen. Mehr als die Hälfte ist von der Fülle eingehender Nachrichten genervt. Dennoch befürchtet jeder Vierte, ohne Smartphone etwas zu verpassen.

Auch Jonah berichtet vom Teufelskreis des „Fear of Missing-out“ (Fomo) genannten Gefühls, dann nichts mehr vom Leben mitzubekommen. Er schildert das zigfache reflexhafte Aktivieren des Geräts pro Tag und beschreibt die Glücksmomente, die sich bei Nutzern einstellen können, wenn sie dabei eine neue Nachricht entdecken. Ein suchthaftes Verhalten? Unter Fachleuten gingen die Meinungen auseinander, schildert der Schüler. Während die Landesstelle für Suchtgefahren nur von einem „problematischen Gebrauch“ spreche, lägen auch wissenschaftliche Arbeiten vor, die von einer Sucht ausgingen.

Sind die Jugendlichen nun Sklaven der Handy-Technik? Für sich selbst verneint der junge Smartphone-Nutzer die Frage – die Beschäftigung mit dem Thema habe ihn sensibler für die Risiken gemacht. Entscheidend sei der bewusste Umgang damit. In einer Handy-Etikette schlägt Jonah Smartphone-freie Zeiten und Räume vor: „Beim Essen, im Schlafzimmer und im Gespräch sollte man aufs Handy verzichten.“ Die Ausführungen überzeugen. Am Ende bietet Moderator Hörner an – abermals ein Spaß – sein zweites Handy zu verschenken . . .

Eigentlich sind Präsentationen wie diese nur für den Schul- und Hausgebrauch bestimmt. Viel zu schade, fand unsere Zeitung, denn Jugendliche haben etwas zu sagen und können öffentliche Diskussionen durch ihre Beiträge bereichern. Das zeigen auch die beiden anderen Seminarkurs-Präsentationen des Abends. Der 17-jährige Felix, Schüler des Stuttgarter Karls-Gymnasiums, hat sich mit dem Thema Computerspiele auseinandergesetzt und ist dabei der Frage nachgegangen, welchen Einfluss sie auf die Gesellschaft haben. Er skizziert die unterschiedlichen Genres und schildert die negativen Folgen von Killerspielen: „Die Abstumpfung gegenüber Gewalt.“ Positive Effekte könnten dagegen von Strategiespielen ausgehen. Dazu zählt Felix die Vernetzung über Länder- und Kulturgrenzen hinweg. Zudem streicht er die wirtschaftliche Bedeutung der Branche heraus: „Allein in Deutschland gibt es 700 Unternehmen, die solche Spiele herstellen.“ Der Ratschlag des 17-Jährigen: Computerspiele nicht verteufeln, sondern überlegt nutzen.

Alena, Schülerin des Stuttgarter Hölderlin-Gymnasiums – Dritte im Bunde – hat sich für ein „weiches“, deshalb aber nicht weniger lebensnahes Thema entschieden: „Das Bild des Menschen in Zeiten raschen Wertewandels.“ Es geht um Selbstverwirklichung, den Triumph des Individualismus und die Schwierigkeiten, die sich daraus für den Menschen ergeben – bis hin zu einem „Sinnvakuum“. „Werte sind einem Verdampfungsprozess ausgesetzt“, sagt die 17-Jährige, die ihre Überlegungen zu einem selbst gedrehten, originellen Lehrfilm vorträgt. Der Weg dürfe aber nicht zurückführen zu vorgegebenen Werten, meint Alena. Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensstilen etwa sei fester Bestandteil einer liberalen Gesellschaft. Die Herausforderung bestehe darin, mit ständiger Veränderung zu leben, ohne die eigenen Werte infrage zu stellen. Einsichten, die nicht etwa altklug, sondern erfreulich frisch klingen.