Mehr als sieben von zehn Jugendlichen in Baden-Württemberg empfindet die Stimmung im Land als zunehmend feindlich. (Symbolbild) Foto: imago images/Roland Mühlanger/Bildagentur Muehlanger via www.imago-images.de

Sie hätten ihre „Jugend geopfert“ und seien „vergessen“ worden: Junge Menschen fühlen sich in der Pandemie an den Rand gedrängt, wie eine Studie zeigt. Aber sie können der Corona-Zeit durchaus auch Vorteile abgewinnen.

Stuttgart - Drei von vier Jugendlichen in Baden-Württemberg verspüren nach einer landesweiten Umfrage eine zunehmende Feindseligkeit in der Gesellschaft. Auf die Frage nach der gesellschaftlichen Stimmung in der Zeit der Corona-Pandemie haben 77 Prozent der befragten jungen Menschen geantwortet, die Stimmung sei feindseliger geworden, wie die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) am Donnerstag in Stuttgart mitteilte. Nur 11 Prozent seien der Ansicht, der Zusammenhalt sei durch Corona gestiegen. Weitere 12 Prozent sagten, es habe sich aus ihrer Sicht nichts durch das Virus verändert.

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An der Umfrage des Lüneburger Vereins „beWirken“ haben nach Angaben der Landeszentrale 2757 junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren teilgenommen. Sie äußerten sich auch zu den Themen Homeschooling, Freizeit und psychische Belastungen. Die LpB hat die Umfrage für den Südwesten ausgewertet. Allerdings differenziert die Erhebung nicht nach Alter, Bildungshintergrund und Ausbildungsgrad oder Herkunft.

„Gegenpart zur älteren Generation“

Nach der Studie sehen sich viele Jugendliche in der Pandemie auch als „Gegenpart zur älteren Generation“. „Das kann als Reaktion auf die politische Kommunikation mit Beginn der Pandemie gelesen werden“, sagte Angelika Barth, die Leiterin des Fachbereichs Jugend und Politik der LpB. Die Einschränkungen seien vor allem damit begründet worden, dass gerade Ältere und andere vulnerable Gruppen geschützt werden müssten. Es sei an die Solidarität der Jüngeren appelliert worden.

Diese Rücksichtnahme auf ältere Menschen kommentieren Jugendliche in der Studie allerdings häufig mit dem Argument, sie hätten nun Anspruch auf „Belohnung“. „Diese junge Generation will gehört und in politischen Entscheidungen explizit berücksichtigt werden“, sagte Barth. „Und das Gefühl, sie würden zu wenig beachtet, ist definitiv da.“ Viele sind laut Umfrage überzeugt, sie hätten ihre „Jugend geopfert“, die Politik habe sie „ignoriert“ und „vergessen“. „Wir sind für jeden der Buh-Mann, wenn wir uns auf einer Wiese treffen, um zu feiern“, heißt es in einer Antwort auf eine offene Frage in der Studie. „Wir waren über ein Jahr zu Hause, damit unsere Alten geschützt werden, es wird Zeit, dass auch endlich mal an uns gedacht wird!“

Jugendliche sehen Vorteile im Online-Unterricht

Die LpB-Mitarbeiterin betonte aber, es werde keineswegs alles als schlecht empfunden: Viele Jugendliche sähen Vorteile im Online-Unterricht und seien überzeugt, dass Schule und Studium künftig digitaler und flexibler werden müssten. Nicht nur Aufwand und freie Zeiteinteilung, sondern auch die Ortsunabhängigkeit, der flexible Zugriff auf Materialien, die unkomplizierte Kommunikation und die kleineren Klassen oder Lerngruppen täten dem Unterricht und Lernen gut. „Wenn es gelingt, diese Verbesserungen weiter auszubauen und dabei wieder soziale Kontakte und echte Begegnungen zu ermöglichen, können Schulen und Unis davon profitieren“, heißt es in der Studie.

Jugendliche stellten in der Erhebung auch die Vorteile von Abstandsregeln oder die positiven Folgen des Lockdowns für die Umwelt heraus. Außerdem sei die Gesellschaft empfindsamer geworden für psychische Ausnahmesituationen. „Während Corona war es plötzlich normal, über Gefühle wie Stress, Müdigkeit, Ausgelaugtheit zu sprechen, ohne dass dafür ein akuter Grund wie fünf Klausuren in einer Woche vorliegen musste“, heißt es in einer in der Studie zitierten Antwort eines Jugendlichen. In einem weiteren Kommentar heißt es, durch die Corona-Pandemie habe man sich verstärkt mit Problemen wie Rassismus oder Personalmangel im Pflegesektor oder Verschwörungstheorien auseinandergesetzt. „Wäre schön, wenn das so bleibt.“